Berlin. In der Nordsee haben Forscher 2022 deutlich weniger Seehunde gezählt als sonst. Sie haben eine Vermutung, woran das liegen könnte.

Das Wattenmeer zählt zu den am stärksten geschützten Naturparks in Deutschland. Seehunde kommen hier zahlreich vor. Urlauberinnen und Urlauber ziehen verzückt ihre Kameras, wenn sie sie auf den Sandbänken faulenzen sehen. Doch nun haben Forschende festgestellt: Die Zahl der Seehunde im Nationalpark Wattenmeer ist in diesem Jahr deutlich gesunken.

Bei der jährlichen Zählung wurden im Sommer 23.652 Seehunde gezählt. Dabei handele es sich um die niedrigste Zahl seit 2011, teilte das Gemeinsame Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven mit. Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der Tiere um zwölf Prozent gesunken. Auch weniger Jungtiere wurden gezählt, hier wurde ein Rückgang von 22 Prozent verzeichnet. Die Daten beziehen sich auf das gesamte Wattenmeer, also auf den deutschen, dänischen und den niederländischen Anteil an dem Nationalpark. Lesen Sie auch: Nordsee – "Aliens" im Wattenmeer – Urlaubsziel verändert sich

Seehunde in der Nordsee: Forschende rätseln über Ursache für sinkende Population

Fachleute sind noch uneins, worauf die sinkende Seehund-Population zurückzuführen sein könnte. Möglicherweise nähere sich der Bestand der Kapazitätsgrenze des Wattenmeeres an und werde durch begrenzte Ressourcen wie etwa Nahrung eingeschränkt. Die Zählungen sprächen dafür, "liegen aber deutlich unterhalb der Zahlen, die wir in einem solchen Szenario erwarten würden", sagte Anders Galatius, der Hauptautor des Berichts. Aus den Zählungen eines einzigen Jahres seien außerdem keine eindeutigen Schlussfolgerungen möglich. Auch interessant: „La Niña“: Folgt nach Hitze-Herbst ein warmer Winter?

Fachleute beobachten die Seehunde im Wattenmeer genau. Im Juni, zur Fortpflanzungszeit der Tiere, sowie während des Fellwechsels im August, erfolgen die systematischen Zählungen. Zu dieser Zeit sind die Seehunde bei Ebbe häufiger auf den Sandbänken zu sehen. Auch spannend: Rauchverbot – Nordseeinsel Norderney geht gegen Kippen vor

Im Juni wurden demnach 8515 Jungtiere registriert; im Vorjahresmonat waren es 10.903 Tiere. Die Zahlen waren in allen Teilen des Wattenmeeres rückläufig. Auch während des Fellwechsels wurden weniger Tiere gezählt als sonst. Einzig in Dänemark wurde eine Verdopplung um mehr als 100 Prozent beobachtet. Lesen Sie auch: Salzgehalt in der Oder wieder erhöht – Ursache ungeklärt

Dieser tote Seehund wurde am Hafenstrand von Hörnum angespült.
Dieser tote Seehund wurde am Hafenstrand von Hörnum angespült. © Henrik Jacobs

Wattenmeer: Seehund-Population entwickelt sich grundsätzlich positiv

Grundsätzlich entwickeln sich die Seehund-Bestände seit Jahren positiv, wie es auf der Webseite des Nationalparks Wattenmeer heißt. In Deutschland dürfen die Tiere nicht bejagt werden. Bedroht sind sie aber trotzdem: von Wasserschmutzung, Krankheiten wie der Seehund-Staupe und Störungen durch den Menschen. Seehunde reagieren auf Störungen mit Flucht, was vor allem für Jungtiere gefährlich werden kann: Sie robben über den rauhen Sand und können sich dabei den noch nicht vollständig verheilten Nabel aufreißen, was zu einer lebensgefährlichen Nabelentzündung führen kann. Werden die von den Muttertieren getrennten sogenannten "Heuler" von Rettern aufgegriffen, landen sie häufig in Seehundaufzuchtstationen, wo sie aufgepäppelt werden.

Seehunde gelten als ein wichtiger Bioindikator für den Lebensraum Wattenmeer. Anzahl und Gesundheitszustand lassen auch Rückschlüsse auf die Wasserqualität und den Fischbestand zu. (mja/mit dpa)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.