Berlin. Der Mord an zwei Polizisten in der Pfalz war offensichtlich die Tat eines Wilddiebs. Er ist nicht der einzige, der ohne Erlaubnis jagt.

Der Jäger wollte im Saarland Füchse schießen – und wäre fast von einem Wilderer überfahren worden. Es geschah im September 2017: Gegen 22 Uhr, so berichtet es der Mann dem „Spiegel“, hörte er einen Schuss. Etwas entfernt entdeckte er einen weißen Bus. Er sei mit seinem Gewehr auf das Fahrzeug zugegangen, als plötzlich der Motor aufheulte und der Bus direkt auf ihn zufuhr. Im letzten Moment habe er zur Seite springen können.

Am Steuer saß Andreas S., einer der beiden mutmaßlichen Mörder der zwei jungen Polizisten in Rheinland-Pfalz. „Ich habe mit meiner Kopflampe in den Wagen reingeleuchtet“, berichtet der Fuchsjäger, „da habe ich ihn gesehen.“

Hat Deutschland ein Wilderer-Problem?

Schon damals war der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzende 38-Jährige also gefährlich. Vor einer Woche erschoss er zusammen mit einem Kompagnon offenbar die Beamten, um zu verhindern, dass sein illegaler Wildfleischhandel auffliegt. Bei ihm gefundene Belege legen nahe, dass Andreas S. allein zwischen September und Anfang Januar rund 40.000 Euro mit gewerbsmäßiger Wilderei einnahm.

Je mehr Details über dieses Geschäftsmodell ans Licht kommen, desto drängender scheint die Frage: Hat Deutschland ein Problem mit Wilderern, die nachts heimlich durch die Wälder schleichen?

Im Nationalpark Berchtesgaden hat ein Unbekannter mit einer sogenannten Pistolenarmbrust auf einen Auerhahn geschossen.
Im Nationalpark Berchtesgaden hat ein Unbekannter mit einer sogenannten Pistolenarmbrust auf einen Auerhahn geschossen. © picture alliance/dpa/Nationalpark Berchtesgaden | Carolin Scheiter

Die Zahl der Wilderei-Fälle ist auf einem Höchststand

Das Bundeskriminalamt verzeichnet seit Jahren leicht steigende Zahlen, 2020 registrierte das BKA 1080 Fälle von Jagdwilderei – der höchste Stand seit 15 Jahren. Mitunter legen Wilderer selbst gebaute Schlingen oder Fallen aus, die die Tiere nicht gleich töten, sondern ihnen qualvolle Verletzungen zufügen. Lesen Sie mehr: Wilderer sind in deutschen Wäldern auf dem Vormarsch

Dem Augsburger Verein Soko Tierschutz wurde kürzlich ein Video zugespielt, das die brutalen Methoden zeigt: Darin ist zu sehen, wie ein Jäger ein verwundetes Wildschwein im Hinterhof eines Hauses leidvoll mit einem Taschenmesser schlachtet. Während das Tier lauthals um sein Leben kämpft, lachen umstehende Männer und rufen „Waidmannsheil“. Diese „Rohheit und Brutalität“, so der Verein, sei entsetzlich, man habe Strafanzeige gestellt.

Deutscher Jagdverband: „Es gibt sicher eine Dunkelziffer“

Anruf bei Torsten Reinwald, dem stellvertretenden Geschäftsführer des Deutschen Jagdverbands in Berlin. Der 50-jährige Biologe beschäftigt sich seit den 1990er-Jahren mit Wilderei, er glaubt, dass die vom BKA registrierten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind: „Es gibt sicher eine Dunkelziffer.“

Die Kaltblütigkeit, mit der die Polizistenmörder vorgegangen seien, mache ihn fassungslos. „So eine Dimension hat es zumindest in den letzten 30 Jahren in Deutschland nicht gegeben.“ Er glaubt aber, dass die Zahlen nicht wirklich aussagekräftig sind: In die Wilderei-Statistik gingen etwa auch Autofahrer ein, die aus Versehen ein Kaninchen überfahren und es mitnehmen, um es zu Hause in der Küche zu verwerten.

Wilderer setzen sogar illegale Nachtzieltechnik ein

In jener Nacht, in der die Polizisten starben, waren Andreas S. und sein Komplize wohl unterwegs, um Nachschub für den Wildfleischhandel zu besorgen. In seinem Wagen fanden Ermittler später 22 tote Damhirsche, in einem Lager 20 weitere ausgeweidete Wildtier-Kadaver.

„Wahrscheinlich haben die Männer illegale Nachtzieltechnik benutzt und vom Auto aus geschossen“, vermutet Torsten Reinwald. Nachtzielgeräte, das sind in der Regel kleine Wärmebildkameras. Mit ihnen können Jäger ein Ziel trotz völliger Dunkelheit anvisieren – laut Reinwald sogar in 200 Metern Entfernung.

Ermittlungen in der Szene sind riskant. In Österreich erschoss ein Wilderer 2013 drei Beamte und den Fahrer eines Rettungswagens. Auch er wollte seiner Festnahme entgehen – wie die beiden Polizistenmörder in der Pfalz.