Berlin. Laut „Financial Times“ wusste der Axel-Springer-Konzern früh von Verfehlungen von Reichelt. Der Ex-Bild-Chef sei aber geschützt worden.

Fast vier Monate ist es her, dass der Medienkonzern Axel Springer den damaligen Chefredakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, entlassen hat. Vorausgegangen waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs. Reichelt soll demnach sexuelle Beziehungen mit Volontärinnen und jungen Kolleginnen eingegangen und dabei das Machtgefälle ausgenutzt haben.

Der 41-Jährige weist den Vorwurf des Machtmissbrauchs bis heute vehement zurück. Nach einer am Dienstag veröffentlichten Recherche der „Financial Times“ (FT) steigt nun jedoch der Druck auf Axel Springer – denn demnach sollen Verantwortliche des Medienkonzerns mehr gewusst haben, als sie in der Öffentlichkeit Preis gaben.

Julian Reichelt: Ex-Bild-Chef wurde im vergangenen Oktober entlassen

Schon im Frühjahr 2021 wurden die Vorwürfe gegen Reichelt erstmals laut, Axel Springer ließ von der Wirtschaftskanzlei Freshfields eine Compliance-Untersuchung durchführen. Reichelt wurde kurzzeitig suspendiert, konnte aber seinen Posten wieder aufnehmen. Im Oktober aber veröffentlichte die „New York Times“ neue Vorwürfe – zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt für Axel Springer.

Der Medienkonzern hatte erst wenige Wochen zuvor verlauten lassen, das amerikanische Nachrichtenunternehmen „Politico“ zu übernehmen – der Kaufpreis soll mehr als eine Milliarde Dollar (rund 870 Millionen Euro) betragen haben. Nach den Enthüllungen zur Causa Reichelt entließ Springer den Bild-Chef. Die Presserecherchen hätten neue Erkenntnisse geliefert, hieß es damals.

Julian Reichelt wurde im Oktober von seinen Aufgaben als Bild-Chefredakteur entbunden.
Julian Reichelt wurde im Oktober von seinen Aufgaben als Bild-Chefredakteur entbunden. © dpa | Jörg Carstensen

Julian Reichelt: Axel-Springer-Konzern wusste laut „FT“ früh Bescheid

Doch so neu waren die Erkenntnisse im Hause Springer möglicherweise nicht – das legen zumindest Recherchen der „Financial Times“ nahe.

In dem am Dienstag veröffentlichten Bericht zitieren die Journalisten aus einem Gespräch eines leitenden Angestellten mit einem Vorstandsmitglied: Würden die Erkenntnisse aus dem Bericht des Compliance-Verfahrens ans Licht kommen, werde es „für uns sehr schwierig. Wir sitzen alle im selben Boot“, sagte demnach ein Vorstandsmitglied schon im Frühjahr. Bereits vor der Untersuchung sollen die Vorwürfe gegen den Chefredakteur bekannt gewesen sein.

Nächtliche SMS, Sex im Hotel und gefälschte Scheidungspapiere

Von nächtlichen SMS mit „romantischen oder körperlichen Sehnsüchten“ über Sex im Hotel bis hin zu gefälschten Scheidungspapieren reichten laut „FT“ die Vorwürfe gegen Reichelt. Da Reichelt seinen Liebhaberinnen Gefälligkeiten zuteil werden ließ, seien die Ermittler von Freshfields zu dem Schluss gekommen, dass ein „schwerwiegendes Fehlverhalten der Geschäftsführung“ vorgelegen habe, zitiert die „FT“ eine mit den Vorgängen vertraute Person.

Ein ehemaliger Chefredakteur habe einer Freundin sogar abgeraten, ihre Tochter zum „Bild“-Praktikum zu schicken, weil junge Frauen als „Freiwild“ angesehen würden, heißt es in dem Bericht der „Financial Times“ weiter.

Axel-Springer-Konzernchef Döpfner soll Gegenuntersuchung eingeleitet haben

Trotz der Anschuldigungen, die demnach Vorfälle über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren umfassen, habe sich Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner, der 2020 einen Großteil der Konzernaktien von Friede Springer geschenkt bekam, auch nach den Ermittlungen weiter für Reichelt eingesetzt. Der Konzernchef habe sogar eine Gegenuntersuchung gegen eine Ex-Freundin Reichelts sowie gegen weitere Personen angeregt, darunter zwei Satiriker und der Schriftsteller Benjamin Stuckrad-Barre, und dazu einen Anwalt beauftragt.

Ein Sprecher von Axel Springer erklärte gegenüber unserer Redaktion, dass der Artikel ein „irreführendes Bild“ zeichne. Gegenüber der „Financial Times“ hatte Axel Springer mitgeteilt, dass man nicht alles richtig gemacht habe. Der größte Fehler sei demnach gewesen, dass man Reichelt zu lange vertraut habe. Julian Reichelt selbst teilte der Zeitung mit, dass die Vorwürfe bezüglich eines Fehlverhaltens „Lügen“ seien, die von einer „besessenen Ex-Freundin fabriziert und inszeniert“ worden seien.