Norilsk. Ein Drittel der russischen Böden besteht aus Permafrost, der wegen des Klimawandels taut. Russlands Bürger sind die Leidtragenden.

Die Stadt Norilsk in der russischen Region Krasnojarsk gilt als nördlichste Großstadt der Welt. Etwa 175.000 Menschen leben hier, 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Die Industriestadt, die bekannt für die Nickelproduktion ist, steht auf Permafrost. Der Boden unter Norilsk ist also das ganze Jahr über vereist - noch.

Denn dieser Permafrostboden taut - Schuld daran ist der Klimawandel. Der sorgt nicht nur für Hitzewellen in Südeuropa oder Überschwemmungen in Deutschland, sondern wirkt sich vor allem auf die Arktis aus.

Riesige Löcher in den Straßen und abrutschende Hänge sind die gefährliche Folge für die Einwohnerinnen und Einwohner Norilsks. Und auch Wohnhäuser sind von den tauenden Permafrost betroffen. Es bestehe die Gefahr, dass sie einstürzen, warnt der Ingenieur Ali Kerimow. Er und andere Expertinnen und Experten haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben in Norilsk und am Nordpolarmeer sicherer zu machen.

Permafrost: Häuser werden auf Pfählen gebaut

Das ist auch bitter nötig: Denn die meisten Häuser in Norilsk stehen auf langen Pfählen. Diese Bauweise ist in vielen Permafrostgebieten ganz normal. Die Pfähle reichen weit in den gefrorenen Boden hinen. "Sie sind 10 bis 30 Meter tief", erklärt Kerimow, Direktor der Forschungs- und Produktionsgesellschaft Fundament.

Mit dieser Bauweise soll verhindert werden, dass die Gebäude bei Temperaturschwankungen kollabieren. Diese Rechnung scheint allerdings nicht mehr aufzugehen: Tiefe Risse an den Außenwänden einiger Häuser zeigen, dass der Boden in Bewegung ist.

Der Klimawandel ist Schuld am tauenden Permafrost

Grund dafür ist die Klimaerwärmung. Denn, wenn es immer heißer wird, senkt sich der Boden tiefer ab. Kerimow erklärt, dass die Pfähle Häuser dann kaum noch vor dem Einsturz bewahren könnten. Der Boden könne so um einen ganzen Meter absacken, wenn der Permafrost in drei bis fünf Metern Tiefe aufgetaut sei.

Tauende Permafrostböden sind nicht nur in Norilsk, sondern in ganz Russland ein Problem. Fast zwei Drittel des flächenmäßig größten Landes der Erde sind dauerhaft gefroren. Und wenn der Permafrost taut, sacken nicht nur die Böden ab. Denn in der riesigen irdischen Tiefkühltruhe liegen konserviert große Mengen an Pflanzen- und Tierresten, die noch nicht von Mikroben zersetzt wurden. Erst wenn der Boden auftaut, werden die winzigen Lebewesen aktiv.

Abgesackte Permafrostböden zerstören nicht nur Städte, sondern auch Küstenlinien.
Abgesackte Permafrostböden zerstören nicht nur Städte, sondern auch Küstenlinien. © Alfred-Wegener-Institut / George Tanski

Permafrostböden können Treibhausgase freisetzen

In vielen Regionen Russlands ist das keine Zukunftsmusik, sondern schon jetzt Realität. "Die Erderwärmung lässt sich nicht mehr bestreiten", sagt Mathias Ulrich, Geograf an der Universität Leipzig, der Deutschen Presse-Agentur (DPA). "Die Arktis ist das Epizentrum der globalen Erwärmung. Nirgendwo sonst auf diesem Planeten ist sie so ausgeprägt wie dort."

Ein Forscherteam des Alfred-Wegener-Instituts untersucht die durch tauenden Permafrost entstandene Küstenerosion in Sibirien.
Ein Forscherteam des Alfred-Wegener-Instituts untersucht die durch tauenden Permafrost entstandene Küstenerosion in Sibirien. © Alfred-Wegener-Institut / Paolo Verzone

Eine folgenschwere Entwicklung für die Permafrostböden, die vor allem in Alaska, Kanada, in Sibirien und der Mongolei zu finden sind. Denn wenn der Frost taut, sackt nicht nur die Erde ab. Forschende fürchten, dass auch große Mengen von Treibhausgasen wie Methan oder Kohlendioxid freigesetzt werden könnten. "Das wiederum würde den Treibhauseffekt noch weiter verstärken", prognostiziert Ulrich.

Ein Team um den Bonner Wissenschaftler Nikolaus Froitzheim hat nun zudem herausgefunden, dass im Hitzesommer 2020 im Norden Sibiriens in zwei Gebieten mit Kalkstein viel Methan freigesetzt worden ist. Die Experten befürchten, dass die bisher mit Eis und Gashydrat gefüllten Kluft- und Höhlensysteme im Kalkstein durch die Erwärmung durchlässig geworden sind und das schädliche Gas in die Atmosphäre gelangt ist. Die Untersuchung ist in dem Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) veröffentlicht worden.

Norilsk dokumentiert Permafrostschäden akribisch

In Permafrostgebieten spüren viele Menschen die Folgen der beginnenden Klimakatastrophe schon jetzt. Vor ihrer Haustür stürzen Straßen, Wege und Gebäude ein.

In Norilsk werden die Vorkommnisse akribisch dokumentiert. Auf einer Liste des Bürgermeisters Dmitri Karassjow stehen 240 Gebäude, die wegen Permafrostschäden saniert werden müssen oder nicht mehr bewohnbar sind. "Wir müssen alles tun, um die Häuser zu stabilisieren, damit es nicht zu Unfällen kommt", mahnte Karassjow kürzlich bei einer deutsch-russischen Rohstoffkonferenz.

Fünf Millionen Menschen wohnen auf Permafrostöden

Geograf Mathias Ulrich erklärt die Tragweite der tauenden Permafrostböden: Über 1000 Siedlungen und Städte mit zusammen etwa fünf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern seien derzeit laut Studien auf tiefgefrorener Erde erbaut, sagt der Experte. "Prognosen gehen davon aus, dass in 30 Jahren 42 Prozent dieser Siedlungen permafrostfrei sind. "Allein in Russland könnten demnach 20 Prozent aller Bauwerke und 19 Prozent der Infrastruktur von den Folgen der Klimaerwärmung betroffen sein.

Müßig zu erwähnen, dass es viel Geld kosten wird, die in den nächsten Jahren entstehenden Schäden zu beheben. Das russische Umweltministerium schätzt die Kosten bis 2050 auf umgerechnet 57 Milliarden Euro. Geld, das an anderer Stelle fehlen könnte, etwa für Sozialausgaben.

Ingenieur: Permafrostböden müssen überwacht werden

Dabei sind Umweltkatastrophen keine Zukunftsangst, sondern heute schon real. Im Frühjahr 2020 liefen in der Nähe von Norilsk etwa 21.000 Liter Diesel aus einem beschädigten Tank, dessen Stützen im auftauenden Boden versunken waren. Umweltschützer sprachen danach von einer Katastrophe für die Natur.

Unglücke wie dieses sollen zukünftig verhindert werden. Deshalb plädiert der Ingenieur Kerimow für regelmäßige Überwachungen von gefrorenen Böden. "Das Überwachungssystem sollte so aufgebaut sein, dass Änderungen der Bodentemperatur und eine mögliche geringere Tragfähigkeit des Fundaments fünf bis zehn Jahre im Voraus vorhergesagt werden können." Dann bliebe genug Zeit, um Mittel und Wege zu finden, "geeignete Maßnahmen" für mehr Sicherheit rechtzeitig umzusetzen.

Norilsk: Seit 2002 werden nur noch kleine Gebäude gebaut

Schon jetzt werden mitunter Fundamente und Böden künstlich gekühlt, damit Häuser auf schmelzendem Permafrost nicht zusammenbrechen. Dabei greifen die Experten auf sogenannte Thermostabilisatoren zurück. Der Permafrost-Experte und sein Team forschen zudem an neuen Materialien für Fundamente, die Temperaturschwankungen besser gewachsen sind.

Ohne neue Lösungen könnten in Zukunft wohl keine Gebäude mehr gebaut werden - oder Schäden wären vorprogrammiert. Auf neue Hochhäuser verzichte Norilsk bereits, sagt Bürgermeister Karassjow. Seit 2002 wurden nur noch kleinere Gebäude auf dem tauenden Boden gebaut. (mit dpa)