Jakutsk/Berlin. Im sibirischen Jakutsk herrschen minus 50 Grad – und es wird noch eisiger. Die Bewohner der Großstadt ächzen unter der Extremkälte.

Die Kälte ist brutal, aber wenigstens müssen sich die Händler keine Sorgen machen, dass ihre Ware verdirbt. Auf dem Bauernmarkt von Jakutsk, umgeben von Wohnblocks, ist es so schattig, dass eine Tiefkühltruhe das Essen aufwärmen würde. Also lagert alles an der frostklirrenden Luft.

Die Fische sind steinhart gefroren, Verkäufer haben sie auf die Schwanzflossen gestellt und nebeneinander gruppiert, als seien sie ein Strauß schuppiger Blumen. Auch Wurst und Geflügel, gehäutete Pferdeköpfe, in Plastiktüten angebotene Milch und was es sonst noch gibt an den schneebedeckten Ständen – alles ist vereist. Ein Freiluftmarkt mit Frischegarantie.

Jakutsk im fernen Osten Russlands gilt als kälteste Großstadt der Welt, die Einheimischen sind mit dem Leben in der Kältekammer vertraut. Doch was die mehr als 300.000 Bewohnerinnen und Bewohner dieser Tage mitmachen, ist selbst für sibirische Verhältnisse ungewöhnlich: Zuletzt sind die Temperaturen dort auf minus 50 Grad Celsius gefallen, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet.

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Eisige Arktisluft bringt Jakutsk Rekordkälte

„Es ist das erste Mal, dass es im Winter so kalt ist“, sagt die dick eingepackte Fischverkäuferin Marina Levina gegenüber dem Sender Euronews und ächzt: „Es fällt mir schwer, zu sprechen und zu atmen. Wir tragen Hunderte Schichten Kleidung, ich kann mich kaum bewegen.“ Die aktuelle Kälteperiode verlange vor allem Auswärtigen viel ab: „Leute von außerhalb, die hier Fisch verkaufen, frieren bis auf die Knochen.“ Viele der Händler auf dem Markt tragen Fellmäntel und sogenannte Walenki – sibirische Filzstiefel, gefüttert mit Zeitungspapier.

Die Fische sind steinhart gefroren: Dieser Markthändler in Jakutsk wartet bei einer Zigarette auf Kundschaft.
Die Fische sind steinhart gefroren: Dieser Markthändler in Jakutsk wartet bei einer Zigarette auf Kundschaft. © Bloomberg via Getty Images

Die Kälte verwandelt Jakutsk in einen erbarmungslosen Eisschrank. Wer auf der Straße unterwegs ist, bleibt immer in Bewegung, denn stehend drohen Erfrierungen. Lokale Wetterbehörden gehen davon aus, dass die Temperaturen in den kommenden Tagen auf bis zu minus 62 Grad Celsius sinken könnten.

Dass es schon in normalen Wintern häufig minus 40 Grad kalt wird, liegt am subarktischen Kontinentalklima: Die Hauptstadt der russischen Teilrepublik Jakutien steht auf einem nie tauenden Permafrostboden und in Senken, in denen sich die Kälte staut. Nun weht auch noch besonders eisige Luft aus der Arktis herüber.

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Jakutsk in Sibirien: Zum Aufwärmen geht es ins kuschelige Gletschermuseum

Der neuseeländische Fotograf Amos Chapple hat Jakutsk immer wieder bereist, er ist fasziniert vom Extremklima und weiß um die alltäglichen Schwierigkeiten der Menschen. Es sei zum Beispiel kaum möglich, Abflussrohre zu verlegen, weswegen sich die meisten Toiletten in Form von Plumpsklos draußen befänden. Die Kälte mache auch das Ausheben von Gräbern schwer – der Boden müsse vor einer Beerdigung erst aufwendig aufgetaut werden.

Im Sommer kann es zwar über 30 Grad warm werden. Nur sind die Sommer kurz, der Winter dauert von Oktober bis Mai. Manche zieht es während der aktuellen Kältewelle zu einer der stolzesten Sehenswürdigkeiten, nämlich ins Museum des Ewigen Frosts am Stadtrand von Jakutsk. Das befindet sich in einer möblierten Eishöhle in einem Gletscher, die Temperatur beträgt zwischen minus sechs und minus 15 Grad. Im Vergleich zu draußen ist es also geradezu kuschelig.

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In Jakutsk trägt man Fellmantel, Fellmütze und Filzstiefel.
In Jakutsk trägt man Fellmantel, Fellmütze und Filzstiefel. © Bloomberg via Getty Images

Den Menschen reicht es, dermaßen ungemütlich mögen sie es nicht mal in Sibirien. „Mir ist so kalt, es fühlt sich wie der kälteste Winter überhaupt an“, klagt die Studentin Sargylana Pavlova. Ihr Problem: „Meine Schuhe sind nicht warm genug. In den Gebäuden ist es warm, aber draußen sehr kalt. Wie soll man sich darauf einstellen?“ Nur die Kinder dürften gut drauf sein: Sie haben kältefrei, ab minus 50 Grad fällt die Schule aus.

Es gibt einen Ort, an dem sie über die bibbernden Großstädter müde lächeln. Das Dorf Oimjakon ist die kälteste dauerhaft bewohnte Ortschaft der Welt und zwei Tagesreisen entfernt. Dort wurden schon mal um die minus 70 Grad gemessen. Den Marktbesuchern in Jakutsk würde man dort wohl zurufen: Stellt euch nicht so an.