Berlin. Gruppe aus NRW steigt auf 3774 Meter hohe Wildspitze. Das Wetter ist schlecht. Die Männer stürzen ab. Die Retter versuchen alles.

Das Gelände ist blockig, der Anstieg auf das in 3468 Meter Höhe liegende Mitterkarjoch steil, gerade beim Abstieg riskant. So steht es in Handbüchern für Bergsteiger. An diesem ersten Freitag im September bläst ein Tief aus Italien kalte Luft in die Ötztaler Alpen. Es hat geschneit. Und zwei Alpinisten einer Bergsteiger-Gruppe entscheiden, umzudrehen. Zurück in Richtung Breslauer Hütte.

Doch drei Männer steigen weiter auf, in Richtung Gipfel. Laut Medienberichten sind sie befreundet, wollen die Wildspitze besteigen, 3774 Meter hoch, südwestlich von Innsbruck. Ein „alpiner Klassiker“, wie es heißt. In der Gruppe dabei ist auch Martin G. aus Nordrhein-Westfalen, Pflegerischer Leiter in einem Krankenhaus, 50 Jahre alt.

Tödlicher Unfall in den Alpen: Um 11 Uhr ist es gerade 0,3 Grad Celsius

Am Vormittag sinkt die Temperatur. Die nahegelegene Wetterstation am Pitztaler Gletscher zeigt um 11 Uhr gerade noch 0,3 Grad Celsius an. Trotz des schlechten Wetters steigt Martin G. mit zwei Freunden weiter auf. Sie erreichen noch den Gipfel, wird die Polizei später vermelden.

Für den Abstieg wandern die drei vom Gipfel der Wildspitze über den Nordwestgrad in Richtung Taschachferner, ein großer Gletscher mit vielen Spalten. Wer hier absteigt, braucht Seile, Pickel, Steigeisen, Kletterausrüstung und Helme. Die Gruppe seilt sich an, der eine mit dem anderen, eine Technik, um sich vor Stürzen in Gletscherspalten zu schützen.

Die Männer stürzen zehn Meter in Gletscherspalte

In einer Pressemitteilung schreibt später die Polizei: „Noch vor dem Erreichen des Gletscherbeckens stürzte die Gruppe aus bisher unbekannter Ursache mehrere Meter weit über eine Firnflanke.“ Diese Flanken aus Schneefeldern fallen meist steil vom Hang ab. Die Gefahr abzurutschen ist groß.

Nach dem Sturz von der Flanke, so die Polizei, fallen die drei Bergsteiger in eine Gletscherspalte, zehn Meter tief. Die drei Deutschen stecken fest. Sie sind verletzt. Martin G. schwer.

Die Freunde sind auf 3650 Meter Höhe, gerade einmal 120 Höhenmeter vom Gipfel. Laut Polizeibericht gelingt es einem aus der Gruppe, per Handy einen Freund in der Hütte unterhalb des Gipfels zu erreichen. Dort lösen die Männer den Notruf aus. Es ist etwa 14 Uhr.

Zu schlechtes Wetter zum Fliegen

Bergretter aus dem Bezirk Imst fliegen per Hubschrauber vom Pitztal in Richtung Einsatzort. Doch das Wetter ist zu schlecht. Sie können nicht in diese Höhe fliegen. Mehr als 400 Meter unterhalb der Unfallstelle müssen die Retter zu Fuß den Hang hochklettern. Dann erreichen sie die Gletscherspalte.

Bilder des Tiroler ORF zeigen den Trupp der Helfer. Männer in dicken Daunenjacken, angeseilt, mit Helm und Eispickel, mitten im Schnee, um sie herum dichte Wolken. Unterhalb der Nordwand der großen Wildspitze.

Es ist 17.20 Uhr, die Einsatzkräfte bergen die Verletzen aus der Spalte, legen sie auf Tragen. Doch jetzt beginnt ein schwieriger Abstieg. Die Retter entscheiden sich, über den Gletscher in Richtung Mittelbergjoch zu steigen. Es ist der leichteste Weg, zudem gut angebunden ins Tal. Doch dafür müssen die Rettungskräfte noch einmal rund 200 Höhenmeter aufsteigen.

Es ist 18.30 Uhr. Mehr als vier Stunden sind seit dem Notruf vergangen.

Ein Notarzt begleitet die Verletzten

Vom Mittelbergjoch aus setzt sich die Rettungskette fort: Pistenraupen bringen die Verletzten zur Mittelbergjochbahn. Dann bringt die Pitz-Express-Bahn die verunglückten Bergsteiger ins Tal. Martin G., der 50 Jahre alte Mann aus NRW, ist schwer verletzt, lebt aber noch. Ein Notarzt begleitet den Mann in die Universitätsklinik Innsbruck.

Die anderen beiden Verletzten bringen die Rettungskräfte in ein Krankenhaus in Zams. Die Polizei schreibt: Im Einsatz standen neun Bergrettungsortsstellen, insgesamt rund 60 Einsatzkräfte, Bergrettungsarzt, ein weiterer Notarzt. Die Retter wurden durch zwei Hubschrauber sowie durch den Polizeihubschrauber unterstützt.

Martin G. konnten die Ärzte nicht mehr retten. Er stirbt nach Polizeiangaben an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Die anderen sollen nur leicht verletzt sein. Die Polizei ermittelt derzeit, was genau zu dem Unfall und dem Sturz in die Spalte führte.

Vierstündiger Rettungseinsatz in Lechtaler Bergen

In dem Heimatort von Martin G. in Nordrhein-Westfalen trauerten die Menschen am Wochenende. Fußballspiele wurden abgesagt, G. war Vorsitzender des lokalen Vereins. Im Krankenhaus, G.s Arbeitgeber, sagten sie eine Feier für Mitarbeiter ab.

Der tödliche Sturz von Martin G. war in den vergangenen Tagen kein Einzelfall. Neben Martin G. starben zwei weitere Deutsche.

  • Mehr als vier Stunden brauchten Bergretter in den Lechtaler Bergen, um zu Fuß zu einem Wanderer zu gelangen, der im Nebel von einem leicht beschneiten Berggrat in den Tod gestürzt war
  • Der 50-Jährige aus der Nähe von Stuttgart stolperte laut Polizei auf dem Weg von der Wannenspitze zu einem benachbarten Gipfel
  • Der Mann wurde 250 Meter unterhalb des Grates gefunden und erst am Samstagmorgen mit einem Hubschrauber geborgen
  • Seine drei unverletzten Kollegen erlitten einen Schock

Rätsel um Todesfall in Nassereith

Aus unbekannter Ursache stürzte zudem ein 60 Jahre alter Pforzheimer beim Klettern in Nassereith in sein Seil und blieb kopfüber hängen. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Eine Obduktion wurde angeordnet, um festzustellen, ob er wegen eines akuten gesundheitlichen Problems abstürzte.

Vor allem das Wetter ist immer wieder Ursache für Unfälle. In den Bergen kann es schnell umschlagen. Nebel und Schnee behindern die Sicht.

Bergsteiger sichern sich in schwierigem Gelände mit Gletscherspalten und Flanken gegenseitig mit Seilen, eine sogenannte Seilschaft. Doch die Sicherung gerade an steilen Firnflanken ist laut Experten äußerst schwierig. Stürzt einer, kann er andere leicht mitreißen.

Nach Untersuchungen des Deutschen Alpenvereins unterscheiden sich Fallgeschwindigkeiten bei Stürzen in Firn und Eis nur geringfügig vom freien Fall. Gerade wenn Schnee wiederholt auftaut und gefriert, werden Bergtouren riskant.

„Historisch niedrig“

Und so kommt es immer wieder kommt es zu Unfällen bei Bergtouren. Dennoch gilt auch: Das Unfall-Risiko im Bergsport ist laut Experten „historisch niedrig“. Das geht aus der unlängst veröffentlichten Bergunfall-Statistik des Deutschen Alpenvereins hervor.

2018 sind demnach insgesamt 1178 Mitglieder des Vereins von Unfällen und Notfällen betroffen gewesen. 2017 waren es noch 1245 – also 67 mehr. Bei den tödlich Verunfallten ist der Rückgang laut Alpenverein noch viel deutlicher ausgeprägt.

Die Rückgänge der Unfälle mit Todesfolge würden einem Trend entsprechen, der bereits über viele Jahre anhalte, so der DAV. Erstmals sind in der Statistik nun auch die Fälle von „Blockierungen“ zurückgegangen, also Notsituationen, in denen Bergsteiger zwar unverletzt sind, aber weder vor noch zurück kommen.

Der Grund für diese Notlagen ist laut Experten meist: Überforderung. Bergwanderer und Hobby-Alpinisten muten sich zu viel zu. Auch der Klimawandel erhöht das Risiko in den Bergen.

Handy als Lebensretter

Fast jeder hat heute ein Handy mit auf Tour und kann rechtzeitig einen Notruf absetzen. Die Wettervorhersagen werden besser. All dies sind Gründe für den Rückgang tödlicher Unfälle in den Bergen.

Nach Ansicht von Experten des DAV hängt der Rückgang bei den Unfällen auch mit den Warnungen und Appellen zusammen, die der Verein an seine Mitglieder in der Vergangenheit ausgegeben hatte. Dies beginne langsam zu fruchten, so DAV-Sicherheitsforscher Christoph Hummel.

(Quellen: dpa, DAV, Polizei Österreich und eigene Recherchen)