Köln. Er ist einer der bekanntesten deutschen Verbrecher: Thomas Drach soll an Raubüberfällen auf Geldtransporter beteiligt gewesen sein.

Die drei Überfälle waren spektakulär, brutal und minutiös geplant. Eine Maschinenpistole kam zum Einsatz, zwei Geldboten wurden durch Schüsse schwer verletzt. Immer waren die Täter mit im Ausland gestohlenen Autos geflohen, hatten die Wagen unweit der Tatorte angezündet und die Flucht mit einem bereitstehenden zweiten Fahrzeug fortgesetzt.

Sie gingen so professionell vor, dass Ermittler lange spekulierten, ob Mitglieder der ehemaligen Roten-Armee-Fraktion (RAF) an den Überfällen in Köln und Frankfurt am Main beteiligt gewesen sein könnten. Am Dienstag die überraschende Wendung.

Die Polizei nimmt einen Verdächtigen fest, der tatsächlich auf eine kriminelle Vergangenheit zurückblickt, mit der RAF indes nichts zu tun hat: den verurteilten Reemtsma-Entführer Thomas Drach. Mehr zum Thema:Keine Spur nach Geldtransporter-Überfall am Flughafen Köln

Überfälle auf Geldtransporter in Köln und Frankfurt

Ohne seinen Namen zu nennen, berichteten Polizei und Staatsanwaltschaft in Köln, die niederländische Polizei habe am Dienstagmorgen einen vom Kölner Amtsgericht erlassenen Europäischen Haftbefehl gegen einen 60-jährigen deutschen Staatsbürger vollstreckt.

Der Mann sei dringend verdächtig, an Überfällen auf Geldtransporter in Köln im März 2018, am Flughafen Köln/Bonn im März 2019 und in Frankfurt im November 2019 beteiligt gewesen zu sein. Der Beschuldigte stamme aus dem Rheinland und habe in Deutschland keinen festen Wohnsitz. „Die Staatsanwaltschaft hat die anschließende Auslieferung des 60-Jährigen nach Deutschland bereits beantragt“, heißt es.

Mehrere Medien, darunter die Deutsche Presse-Agentur und der „Spiegel“, berichten übereinstimmend, dass es sich um Thomas Drach handelt. Jenen schillernden Geiselnehmer, der vor einem Vierteljahrhundert den Hamburger Millionär und Mäzen Jan Philipp Reemtsma (68) entführte, ihn wochenlang in einem Kellerversteck gefangen hielt und einen Millionen-D-Mark-Betrag erpresste.

Drach hielt sein Opfer in einem Verlies gefangen

Der 60-Jährige wuchs im Kölner Umland auf. Mit der Reemtsma-Entführung ging er in die Kriminalgeschichte ein – nie zuvor hatten Kidnapper ein so hohes Lösegeld erpresst: 15 Millionen D-Mark und 12,5 Millionen Schweizer Franken.

Der entführte Jan Philipp Reemtsma wird mit einer Waffe bedroht.
Der entführte Jan Philipp Reemtsma wird mit einer Waffe bedroht. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ho

Drach und seine Komplizen hatten den prominenten Sozialforscher im Frühjahr 1996 vor seinem Haus in Hamburg-Blankenese überwältigt. Viereinhalb Wochen lang hielten sie ihn angekettet und in Todesangst in einem Verlies in der Nähe von Bremen fest. Nach der Geldübergabe gelang es Drach zunächst, sich nach Südamerika abzusetzen.

1998 wurde er in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires gefasst und Ende 2000 in Hamburg zu vierzehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Das Opfer verarbeitete seine Erlebnisse 1997 in dem Buch „Im Keller“.

Reemstma-Entführer hat Lösegeld wohl verprasst

2013 wurde Drach entlassen – und tauchte erneut ab. Zunächst soll er bei einem Freund auf Ibiza gelebt haben, später habe er sich dann im deutsch-niederländischen Grenzgebiet aufgehalten. Ein Teil des Lösegeldes ist bis heute verschwunden. Das Hamburger Landeskriminalamt geht seit Jahren davon aus, dass der Entführer die Banknoten verprasst hat und pleite ist.

Kam er deshalb auf die Idee, Geldtransporter auszurauben? Dem Gefassten werde gemeinschaftlicher schwerer Raub in drei Fällen und ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen, teilte die Staatsanwaltschaft Köln mit. Auch interessant:Was ein Gefangener in Angst mit der RAF-Fahndung zu tun hat

Verhaftet wegen mehrerer Geldtransporter-Überfälle: Reemtsma-Entführer Thomas Drach. Hier verlässt er nach 15-jähriger Haft das Gefängnis.
Verhaftet wegen mehrerer Geldtransporter-Überfälle: Reemtsma-Entführer Thomas Drach. Hier verlässt er nach 15-jähriger Haft das Gefängnis. © dpa | TV News Kontor

Entscheidende Hinweise auf den nun Festgenommenen erhielten die Ermittler durch Videoaufzeichnungen des Überfalls am Flughafen Köln-Bonn und durch die Untersuchung eines sichergestellten Fluchtwagens. Die niederländische Polizei jagt noch zwei mutmaßliche Komplizen.

RAF-Mitglieder im Verdacht

Dass die Behörden zunächst ehemalige RAF-Mitglieder in Verdacht hatten, lag an auffälligen Parallelen zu vergleichbaren Fällen. Konkret soll es sich um Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette handeln, die seit Jahrzehnten untergetaucht sind.

2016 wurden die Ermittlungen gegen die Linksterroristen wieder intensiviert, nachdem die Sicherheitsbehörden eine Serie von Raubüberfällen auf Geldtransporter in Norddeutschland mit dem Trio in Verbindung gebracht hatten.

Zuletzt war die Gruppe der dritten RAF-Generation aufgrund einer Handy-Ortung unter anderem in den Niederlanden vermutet worden – von dort wurden die Fluchtfahrzeuge gestohlen, die 2018 und 2019 bei den Überfällen in NRW und Hessen genutzt wurden. Lesen Sie hier:Erddepot gefunden: Führt die Spur zur Rote Armee Fraktion?

Der Kriminelle stammt aus bürgerlichen Verhältnissen

Sollte Drach tatsächlich dahinterstecken, wird er erneut für viele Jahre in einer Zelle verschwinden. Das Gefühl kennt er schon: Der Mann aus Erftstadt stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen – sein Vater war leitender Mitarbeiter beim Haushaltsgerätehersteller Miele –, rutschte aber früh ins kriminelle Milieu ab.

Bereits im Alter von 13 Jahren brach der Junge Autos auf, mit 18 überfiel er einen Supermarkt. Weil er 1981 zusammen mit seinem Bruder, bewaffnet mit Schrotgewehren, eine Kölner Bank ausraubte, wurde er zu einer Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt. Nach seiner Entlassung soll er sich auf dunkle Geschäfte in Osteuropa eingelassen haben – bis er schließlich Jan Philipp Reemtsma entführte.

Die niederländischen Behörden wollen den Verdächtigen am Mittwoch in Amsterdam dem Haftrichter vorführen.