Washington. Welche Themen unterrichtet werden, ist in den USA Gegenstand bitterster Auseinandersetzungen geworden. Eltern gehen auf die Barrikaden.

Es herrscht Kulturkrieg in amerikanischen Klassenzimmern. Welche Bücher gelesen und welche Themen aus welchem Blickwinkel unterrichtet werden, vor allem wenn es um Sklaverei, Rassismus, Geschlechterfragen und Sexualität geht, ist in der toxischen Post-Trump-Ära an öffentlichen Schulen Gegenstand bitterster Auseinandersetzungen geworden.

Bei Schulratssitzungen landauf, landab kommt es zu Wortgefechten, Tumulten, Handgreiflichkeiten. Mitglieder werden angefeindet, bedroht oder abgewählt, manche Schuldirektoren suspendiert. Manchmal muss die Polizei anrücken, um Schlimmeres zu verhindern. Justizminister Merrick Garland hat das FBI eingeschaltet. Die Bundespolizei soll der Eskalation begegnen.

Der Bücherkampf hat Einzug in die große Politik gehalten

Auslöser ist der mit hysterisch noch gelinde beschriebene Zoff um die sogenannte Critical Race Theory, kurz CRT. Dahinter steht ein akademisches Konstrukt aus den 80er-Jahren. Es fußt verkürzt auf der Prämisse, dass Rassismus systemimmanent ist und sich seit Ende der Sklavenzeit 1865 bis heute mehr oder minder durch alle Gesellschaftsbereiche zieht; auch durch Recht und Gesetz.

Zwar steht CRT in keinem Bundesstaat im Schulcurriculum, es ist reines Uni-Thema. Aber in „Black Lives Matter“- und „Georg Floyd“-Zeiten lässt sich damit gut Empörung erzeugen, der gesondert weiße, latent konservative Mittelschichtseltern zu Berserkern werden lässt. Sie wittern – Zitate aus Schulratssitzungen – „linke Indok­trinierung“ ihrer Sprösslinge, „Gehirnwäsche“ oder gar „psychischen Kindesmissbrauch“.

Im Bundesstaat Virginia spannen Eltern ihre Kinder mit in ihren Kulturkampf ein: „Ich bin kein Unterdrücker“ heißt es auf den Plakaten bei dieser Protestkundgebung in Leesburg. Der Vorwurf dahinter: Schon in der Schule werde Kindern eingeredet, dass Schwarze von Weißen unterdrückt würden.
Im Bundesstaat Virginia spannen Eltern ihre Kinder mit in ihren Kulturkampf ein: „Ich bin kein Unterdrücker“ heißt es auf den Plakaten bei dieser Protestkundgebung in Leesburg. Der Vorwurf dahinter: Schon in der Schule werde Kindern eingeredet, dass Schwarze von Weißen unterdrückt würden. © AFP | Andrew Caballero-Reynolds

Lehrer, heißt es wahrheitswidrig in sozialen Medien, brächten mit CRT-Lektionen dem Nachwuchs bei, sich über die Hautfarbe zu definieren und im schlimmsten Fall gegenseitig zu hassen. Dabei, so die verbreitete Meinung auf der politischen Rechten, habe Amerika doch seinen Frieden mit der eigenen Vergangenheit gemacht. Strukturelle Ungleichheit und Benachteiligung gibt es nach dieser Lesart nur in der Parallelwelt der Linken.

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Was mediale Brandstifter wie Fox News und Co. im Sommer tagelang hochzogen, trug zuletzt Früchte. Im Bundesstaat Virginia, der im Norden an die Hauptstadt Washington grenzt, hat der Bücherkampf Einzug in die große Politik gehalten und gerade eine Wahl mitentschieden.

Nachdem der demokratische Kandidat für den Gouverneursposten in Richmond, Terry McAuliffe, im Wahlkampf sagte, Eltern sollte nicht gestattet werden, an der Aufstellung von Lehrplänen öffentlicher Schulen mitzuwirken, lenkte der republikanische Kontrahent Glenn Youngkin den Sturm der Empörung fix auf seine Mühlen. Er versprach analog zu einem halben Dutzend anderer Bundesstaaten CRT rigoros zu verbieten. Obwohl Youngkin weiß, dass die Critical Race Theory an keiner einzigen Schule im Commonwealth Virginia unterrichtet wird. Das Thema, das laut Umfragen vor der Wahl in dieser Woche das zweitwichtigste in Virginia war, ungenutzt liegen zu lassen, wollte sich der 54-Jährige nicht vorwerfen.

Republikaner will bestimmte Worte aus öffentlichen Schulen verbannen

Der Geschäftsmann – und neue Gouverneur – baute bei seiner Kampagne den Fall Laura Murphy ein. Die vierfache Mutter aus Fairfax County im Speckgürtel Washingtons will partout das Buch „Menschenkind“ der schwarzen Pulitzer-Preis-Trägerin Toni Morrison aus dem Verkehr gezogen wissen.

Ihr Sohn Blake, inzwischen an der Uni, habe schlecht geträumt, nachdem der Stoff, der im Pantheon amerikanischer Literatur seinen verdienten Platz hat, durchgenommen wurde. Toni Morrison erzählt in dem hochkarätig verfilmten Werk die Geschichte der Sklavin Sethe. Als ihr die Häscher auf den Fersen sind, tötet sie ihre zweijährige Tochter, um ihr das Schicksal der Versklavung zu ersparen. Frau Murphy findet, Oberstufenschülern im Fach Englisch könne das nicht zugemutet werden. Das Schulministerium von Virginia hat die Zensur abgelehnt. Murphy kämpft weiter und setzt nun auf den neuen Gouverneur Youngkin.

Mit nur einem Buch hält sich Matt Krause nicht auf. Der 41-Jährige will Generalstaatsanwalt von Texas werden. Obwohl dort mit Ken Paxton ein Ultrarechter sitzt. Um sein Profil zu schärfen, hat Krause, republikanischer Abgeordneter im Landeskongress von Austin, eine Liste von 850 (!) Büchern erstellt, bei denen es vorwiegend um Rasse, Sexualität, gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Abtreibung und Pubertät geht. Quasi eine Fahndungsliste. Krause will sie nicht mehr im Unterricht sehen. Alle Schulbezirke im 28-Millionen-Einwohner-Bundesstaat sollen mit Fristsetzung angeben, ob sie die besagten Werke im Bestand haben. Die Lehrergewerkschaft ist empört und spricht von illegaler Schnüffelei.

Matt Krause wird derzeit nur von Chuck Wichgers getoppt. Der Republikaner aus Wisconsin hat ein Gesetz ins Parlament von Madison eingebracht, das bestimmte Worte aus öffentlichen Schulen verbannen würde: „Weiße Vorherrschaft“, „systematischer Rassismus“, „soziale Gerechtigkeit“, „inklusive Bildung“ oder „Multikulturalismus“, um nur einige zu nennen, sollen künftig tabu sein.