Hamburg. Ein Hamburger Polizeieinsatz mit mehreren Beamten gegen einen 15-Jährigen sorgt für hitzige Diskussionen. Ein Fall von Polizeigewalt?

Eine Wand, an der in Anlehnung an Polizeigewalt in den USA der Schriftzug „I can’t breathe“ („Ich kann nicht atmen“) prangt, davor ein Jugendlicher – und um ihn herum bis zu acht Polizisten, die ihn anschreien und niederringen. Ereignet hat sich diese Szene am vergangenen Montag in der Hamburger Neustadt. Ein Handyvideo des Einsatzes sorgt für kontroverse Diskussionen.

In dem Video ist zu sehen, wie sich der Teenager zunächst gegen vier Beamte heftig wehrt und sie immer wieder von sich schubst, woraufhin einer der Polizisten einen Schlagstock zückt. Schließlich eilen vier weitere Polizisten herbei. Der Junge wehrt sich weiter. „Auf den Boden!“, schreit einer der Polizisten wiederholt. Doch der Jugendliche wirkt verunsichert und wimmert. Er kommt der Aufforderung nicht nach.

15-Jähriger wird zu Boden gebracht und beklagt, keine Luft mehr zu bekommen

Die Polizisten versuchen nun mit Körpereinsatz, den Jungen auf den Boden zu bringen. Immer mehr Zeugen beobachten das Geschehen. Sie fordern die Polizisten auf, ruhig zu bleiben. „Das ist ein Junge, das kann doch nicht wahr sein“, ruft eine Frau. „Was tun sie ihm an? Er macht doch nichts!“ Irgendwann fixieren die Beamten den Jugendlichen, woraufhin dieser ruft, keine Luft mehr zu bekommen.

Gerechtfertigtes Durchgreifen? Oder unverhältnismäßige Polizeigewalt? Über diese Frage wird seit der Veröffentlichung des Videos diskutiert. Zunächst kursierte vor allem eine kurze Fassung des Videos, auf dem nicht zu sehen ist, wie der junge Mann die Polizisten von sich schubst.

Gegenüber der „Bild“ sagte der Zehntklässler, dass er die Polizisten provoziert habe. Gewehrt habe er sich aber nur, weil er gegen die Wand gedrückt worden sei, wo er keine Luft mehr bekommen habe – er sei Asthmatiker.

Polizei setzte Pfefferspray bei Überwältigung des Teenagers ein

Wie die Polizei am Dienstagmittag mitteilte, habe sich der Vorfall ereignet, weil der Jugendliche zum wiederholten Male mit einem E-Roller auf dem Fußweg unterwegs gewesen sei. Ein Stadtpolizist habe den 15-Jährigen daraufhin kontrollieren wollen. Dieser Aufforderung sei der Jugendliche nicht nachgekommen.

Mit Hilfe von Pfefferspray sei es den Beamten schließlich gelungen, den Teenager auf den Boden zu halten und zu fesseln. „Dabei wurden die Einsatztechniken so kontrolliert, dass es dem Jugendlichen jederzeit möglich war, zu atmen“, hieß es.

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Die Polizei betonte, das Video zeige deutlich, dass die Beamten gewillt gewesen seien, den Widerstand mit einfacher körperlicher Gewalt zu beenden und den Jugendlichen zu Boden zu bringen. „Solche Einsätze erzeugen häufig Bilder, die Fragen aufwerfen.“ Der Einsatz werde nun vom Dezernat Interne Ermittlungen überprüft.

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Für eine sofortige Aufklärung sprach sich die Hamburger Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir aus. Sie fragte auf Twitter: „Was war euer Ziel ausgerechnet vor dieser Schrift an der Wand“. Die Flüchtlingshilfsorganisation Seebrücke erklärte, dieser Vorfall sei nur einer in einer ganzen Reihe ähnlicher Übergriffe, „die immer wieder von der Hamburger Polizei gegen Persons of Color verübt werden“.

Polizeigewerkschaft sieht in dem Video keine Polizeigewalt

Die Gewerkschaft der Polizei will in dem Video keine „Polizeigewalt“ erkennen. „Bei der öffentlichen Diskussion sehen wir aber Tendenzen, die zu einer Schwächung des Rechtsstaates führen können. Beinahe hat man das Gefühl, Polizeigewalt und latenter Rassismus sollen um jeden Preis herbeigeschrieben werden.“ Das seien auch die Folgen der Äußerungen der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Diese hatte im Juni erklärt, in deutschen Sicherheitsbehörden herrsche „latenter Rassismus“.

Auch der Satiriker Jan Böhmermann meldete sich zu Wort: Er twitterte zu der Erklärung der Polizei, sie verhalte sich taktisch wie ein 15-Jähriger, der sich wegen einer harmlosen Ordnungswidrigkeit plötzlich mit dem Rücken zur Wand stehend von acht Bewaffneten umzingelt sehe und angebrüllt werde: „Sie leistet sinnlosen Widerstand.“

Jugendlicher soll polizeibekannt sein

Ein Polizeisprecher erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, der Jugendliche sei wegen zweier Attacken auf Lehrkräfte bereits polizeibekannt. Für die Beamten sei es auch nicht einfach gewesen, mit ihm umzugehen. Der 15-Jährige sei 1,85 groß. Zudem boxe er in einem Verein.

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) warnte vor reflexartigen Vorverurteilungen. Um solche Videoausschnitte bewerten zu können, sei es entscheidend, den kompletten Sachverhalt zu kennen. Die Hamburger Bevölkerung erwartete von ihrer Polizei zu Recht, dass sie Recht und Gesetz notfalls auch gegen Widerstand durchsetze. „Niemand darf sich durch schlichte Gegenwehr einer rechtmäßigen polizeilichen Maßnahme entziehen können.“

In Düsseldorf sorgt derzeit ein ähnlicher Fall für Aufsehen: Ein Polizist hatte einen ebenfalls 15-jährigen Jugendlichen vor einem Schnell-Restaurant in der Düsseldorfer Altstadt mit seinem Knie am Kopf fixiert und so am Boden gehalten. Nun wird gegen den Beamten ermittelt. Lesen Sie hier mehr: Polizist kniet sich auf Junge (15) – Anwalt verteidigt es

(dpa/raer)