London. Die Designerin Vivienne Westwood brachte Provokation und Politik in die Mode. Auch bei einem Treffen mit der Queen bleibt sie Rebellin.

Queen Elizabeth ehrt Mode-Königin Vivienne Westwood 1992 mit dem Orden des Empires. Die Designerin macht brav den Hofknicks – war die damals 51-Jährige damit im Establishment angekommen? Aber nicht doch! Vor dem Buckingham-Palast schleudert sie in bester Marilyn-Monroe-Manier ihren Kostümrock und offenbart, dass sie keine Unterwäsche trägt.

„Es war mir nicht bewusst, dass die Fotografen praktisch auf die Knie fallen würden und das Resultat glamouröser ausfallen würde als geplant“, erinnert sie sich später. Die Queen, so sei ihr zugetragen worden, hätte sich jedenfalls sehr über die Fotos amüsiert.

Kreative, explosive Verbindung: Westwood und Malcolm McLaren.
Kreative, explosive Verbindung: Westwood und Malcolm McLaren. © Mirrorpix/Getty Images | Getty Images

Noch im selben Jahr wie die Queen starb nun auch Vivienne Westwood, im Alter von 81 Jahren, „friedlich und umgeben von ihrer Familie, in Clapham, London“, so die Mitteilung ihrer Hinterbliebenen. „Die Welt braucht mehr Menschen wie Vivienne, um sie besser zu machen.“

Sie hinterlässt ihren 25 Jahre jüngeren Ehemann Andreas Kronthaler, mit dem sie seit 1993 verheiratet war, und zwei Söhne: Vater von Joseph Corre ist Sex-Pistols-Legende Malcolm McLaren, Corre ist Mitgründer der Dessous-Firma Agent Provocateur. Ben Westwood stammt aus ihrer ersten Ehe mit Derek Westwood.

Nicht weniger als eine Revolution hat Vivienne Westwood angezettelt, wer kann das schon von sich behaupten. Ohne sie wäre die Punk-Bewegung undenkbar. Sie befreite die Mode von dem Vorurteil, oberflächlich und elitär zu sein, begriff sie als Statement, als Politik und Provokation. Sie setzte den knalligen Kontrapunkt zu einem tristen Großbritannien, das gezeichnet war vom wirtschaftlichen Niedergang der 70er-Jahre und vom Nordirland-Konflikt, zum steifen Königshaus und später zur repressiven Regierung von Margaret Thatcher.

1991 traf Westwood Prinzessin Diana, 15 Jahre später wurde sie selbst geadelt.
1991 traf Westwood Prinzessin Diana, 15 Jahre später wurde sie selbst geadelt. © shutterstock | Shutterstock

Dabei blieb sie immer urbritisch, trug das Bild eines anderen, eines wilden, innovativen Großbritanniens in die Welt. Sie zeigte, dass eine Frau ihre reifen Jahren nicht Tee trinkend im Tweet-Kostüm Tee verbringen muss, dass man sexy sein kann, sich einen jüngeren Mann nehmen darf und man nie zu alt ist, um auf die Barrikaden zu gehen: Als Klimaaktivistin leistete sie zivilen Ungehorsam.

2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen britischen Premiers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnung durch Fracking zu protestieren. Noch im vergangenen Jahr sorgte sie mit einem Protest für die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange für Aufsehen: Im knallgelben Outfit saß sie vor einem Gerichtsgebäude in London in einem überdimensionalen Vogelkäfig. Eine Nummer kleiner hatte sie es nicht.

Typisch britisch an ihr: Nie nahm sie sich zu wichtig, nie wirkte sie verbissen. Was sie tat, tat sie mit Freundlichkeit und selbstironischem Humor.

Landmädchen, Lehrerin, Ladenbesitzerin

Westwood küsst Ehemann Andreas Kronthaler, ein Designer aus Österreich.
Westwood küsst Ehemann Andreas Kronthaler, ein Designer aus Österreich. © AFP | PATRICK KOVARIK

Als Mädchen auf dem Land, ihre Eltern arbeiteten unter anderem im Verkauf, träumte sie davon, in einer Märchenwelt mit schönen Kleidern zu beeindrucken. Früh zeigt sie künstlerische Begabung. „Als Kind aus der Arbeiterklasse hatte ich keine Ahnung, wie ich mit Kunst meinen Lebensunterhalt verdienen sollte.“

Also wird sie Lehrerin, heiratet früh, bekommt einen Sohn. Abends schneidert sie sich ihre Kleidung selbst.

Alles ändert sich, als sich, als sie den 18-jährigen Kunststudenten Malcolm McLaren kennenlernt. Sie schmeißt ihr altes Leben hin. Mit ihm eröffnet sie eine Boutique in der King’s Road, zwischenzeitlich heißt der Laden schlicht „Sex“, unter dem Namen „World’s End“ besteht er bis heute.

Zum Teufel mit der Perfektion, sagen sie sich. Ihre Mode ist asymmetrisch, zeigt Risse, wird von Sicherheitsnadeln zusammengehalten, die Grenze zwischen Unterwäsche und Oberbekleidung zerfließt, sie vereint Elemente aus Fetischismus und Rotlicht, Schriftzüge werden mit der Hand geschrieben. McLaren gründet die Sex Pistols, Westwood wird die Managerin der Skandalband.

1993 war Model Naomi Campbell auf dem Laufsteg einer Westwood-Show gestürzt – die Designerin liebte das Unperfekte.
1993 war Model Naomi Campbell auf dem Laufsteg einer Westwood-Show gestürzt – die Designerin liebte das Unperfekte. © picture alliance / empics | AAD

„Wir wollten der älteren Generation sagen: Wir akzeptieren eure Werte und Tabus nicht und ihr seid alle Faschisten.“ 1983 hat sie ihre erste Show in Paris, Westwood wird Weltstar, Unternehmerin, 2006 sogar geadelt, Prinzessinnen wie Eugenie tragen ihre Entwürfe. Ihr rebellisches Herz verliert sie trotzdem nicht – bis zum letzten Herzschlag am Donnerstag.