Berlin. In Katar pfeifen Frauen – doch warum gibt es darum so viel Aufhebens? Für unsere Kolumnistin hat das auch mit dem Fußballgott zu tun.

Da schau her. Da pfeift sie doch glatt. Und rennt hin und her, mitten rein ins Geschehen. Dann gibt sie der deutschen Mannschaft auch noch Tor Nummer vier, obwohl mein Dilettantinnen-Auge meint, Abseits gesehen zu haben.

Klar, energisch und doch voller Ruhe: Das ist Stéphanie Frappart. Die erste Schiedsrichterin, die bei einer WM der Männer pfeifen durfte. Das hat im Vorfeld des Spiels Deutschland-Costa Rica für erheblichen medialen Wirbel gesorgt. Mensch, eine Frau. Zum ersten Mal bei einer WM. „Die weiß, wovon sie pfeift“, so eine der Überschriften in diesen Tagen. Und dann am Tag nach dem Spiel, bei dem Deutschland aus der WM flog: „Stéphanie Frappart pfiff als erste Frau ein Männer-WM-Spiel – und sie machte es hervorragend“.

Stéphanie Frappart – was wird ihr eigentlich unterstellt?

Ich frage mich, was da eigentlich unterschwellig unterstellt wird. Soll das etwa eine Überraschung sein, dass eine WM-Schiedsrichterin weiß, wie die Regeln sind? Und dass sie das kann: Den Überblick behalten, schnelle, richtige Entscheidungen treffen, Ruhe bewahren?

Brigitta Stauber ist Kolumnistin der Funke Zentralredaktin. Sie schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Brigitta Stauber ist Kolumnistin der Funke Zentralredaktin. Sie schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ich habe, was Stéphanie Frappart angeht, ganz andere Fragen.

1. Warum sind zwei von insgesamt drei Assistentinnen bei ihr im Team? Ist es etwa nicht zumutbar für einen der 66 männlichen Assistenten, unter einer Frau das Fähnchen bei einer Ecke zu schwenken? Und warum ist dieses Ungleichgewicht überhaupt kein Thema bei der Berichterstattung?

2. Warum dauerte es so lange, bis mit Stéphanie Frappart eine der drei WM-Schiedsrichterinnen pfeifen durfte, während einige männliche Schiedsrichter bereits zweimal das Vergnügen hatten? Übrigens obwohl Fifa-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina über sie urteilte: „Sie sind für jedes Spiel bereit“.

3. Was geht eigentlich in den Sportjournalisten und -moderatoren vor, wenn sie so erstaunt sind, dass eine Frau pfeift?

4. Spricht etwa der ehemaliger WM-Schiedsrichter namens Urs Meier in seinem Podcast vielen aus der Seele, indem er erklärt, die drei Schiri-Frauen (es sind neben Stéphanie Frappart aus Frankreich auch Yoshimi Yamashita aus Japan und Salima Mukansanga aus Ruanda) seien nicht gut genug? Da sagt er doch unwidersprochen: Es werde sicher keine Schiedsrichterin bei den ganz wichtigen Spielen geben. Etwa Schweiz gegen Serbien (ganz wichtig, haha). Lesen Sie auch: Mein WM-Wunsch: Lasst den Wind in euer Haar – in Katar

Das zu leiten, brauche sehr „viel Fingerspitzengefühl“. Das könnten Frauen zwar auch haben, „aber du musst in die Aktionen reingehen“. Und da sei er sicher: „Da braucht es einen Spitzenschiedsrichter“. Ihm gehe es nicht um die Frauen, ihm gehe es um die Qualität. Und Frappart sei in Frankreich höchstens Nummer fünf oder sechs, nicht Nummer zwei oder drei.

5. Wurde bei einer WM überhaupt schon mal über die Qualität der Schiedsrichter-Zusammensetzung gesprochen?

Fifa – ein Verein, der in die 1960er Jahre gehört

Ich komme zu dem Schluss: Der Fifa-Fußball steht genau da, wo wir gesellschaftlich in den 1960er Jahren waren. Huch, da ist ja eine Frau dabei. Was für eine Überraschung! Aber – die soll das können?

Der als Schiedsrichter-Legende gefeierte Urs Meier jedenfalls hat seinen Doppelgänger in der Film-Biografie über Alice Schwarzer, die diese Woche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief. Die junge Autorin musste sich bei der Bewerbung um einen Platz in einer renommierten Münchner Journalistenschule im Auswahlverfahren anhören: „Sie können überraschend gut schreiben“. „Wieso überraschend?“, kontert die Filmfigur Alice. Den Platz in der Schule konnte sie daraufhin vergessen. Mehr zum Thema: So leben die reichen Herrscher von Katar

In Dortmund, wo ich aufgewachsen bin, hat Fußball Religions-Status, und Religion ist ja auch keine Weltanschauung, die für Frauenförderung sorgt. Gestandene Männer weinen jedenfalls, wenn der BVB verliert. Ich habe das sogar mal bei einem Kollegen erlebt.

BVB-Fans weinen, Union-Fans sind beseelt – zumindest, bis sich die Lage umkehrt

In der Unions-Heimat Köpenick, wo ich neulich an einem Sonnabend spazieren ging, kam mir eine Männergruppe entgegen, von Kopf bis Fuß in Rot-Weiß gehüllt. Ihr Gang war beseelt, der Blick entrückt im Unbesiegheitstaumel (der kurz vor der Winterpause freilich ein jähes Ende fand).

Auch wenn in Katar der Fußballgott aufgrund der viel beschriebenen Umstände im Land ein wenig halbherzig eingreift: Es wird gebetet auf dem Spielfeld. Gefleht. Womöglich wird es gegen Ende des Turniers auch Momente der Ekstase geben. Spiritualität.

Fußball ist Religion – das gilt auch für Katar

Je bedeutsamer ein Spiel ist, desto religiöser und damit dogmatischer sind die Umstände. Desto seltener wird Frauen der Zutritt gestattet – und desto weniger hat einer wie Urs Meier zu befürchten, der Frauen nur pfeifen lassen will, wenn sie für Frauen pfeifen. Oder allenfalls für die dritte Liga.

Will die Fifa nicht zu einer Art klerikalen Clique schrumpfen, will sie Begeisterung, Ekstase und all das schöne Fußball-Drumherum erhalten, dann ist für die alten Herren, die Traditionen vergangener Jahrzehnte hochhalten, vorbei. Mir jedenfalls vergeht immer mehr die Lust.

Weitere Frauengold-Kolumnen:

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.