Roccaraso. Ein seltener Braunbär versetzt eine italienische Region in Schrecken. Er lässt sich nicht vertreiben – trotz hartnäckiger Versuche.

  • In einem Dorf in Italien treibt ein gefräßiger Braunbär sein Unwesen
  • Die Bewohner haben dem Tier bereits einen Namen gegeben
  • Von dem Braunbären gibt es nur noch wenige Dutzende Tiere, den Bewohnern ist dieser Umstand offensichtlich egal

Manche finden ihn niedlich, aber viele haben einfach nur Bammel. Der Braunbär, der sich in ihrem mittelitalienischen Bergdorf eingerichtet hat, will Roccaraso einfach nicht verlassen. Also turnt er tagsüber auf Obstbäumen herum, reißt Hühner, durchwühlt Mülleimer auf der Suche nach Pizzaresten und trinkt aus den öffentlichen Brunnen. Nachts schläft das Tier unter den Pinien am Ortseingang.

Italien hat einen neuen Problembären. Die Bewohner der Region nennen ihn Juan Carrito, das zweijährige Männchen ist fast 120 Kilo schwer und einer der letzten seiner Art. Denn Juan Carrito ist ein Marsischer Braunbär – eine am mittelitalienischen Apennin lebende Unterart des Braunbären, von der es nur noch etwa 60 Tiere gibt.

Dass die Spezies so selten ist, scheint den Menschen im 1500-Einwohner-Dorf Roccaraso in den Abruzzen jedoch ziemlich egal zu sein. Sie trauen sich kaum noch aus dem Haus – aus Angst, beim Spaziergang dem Bären in die Quere zu kommen.

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Abruzzen-Bär wurde eingefangen – vergeblich

Kürzlich ging ein Facebook-Video viral, in dem zu sehen ist, wie sich Juan Carrito neugierig einem Hund an der Leine seines Frauchens nähert. Weder der Hund noch die Besitzerin waren vom bärigen Interesse begeistert. Francesco Di Donato, der Bürgermeister, ist besorgt: „Der Bär fürchtet die Menschen nicht – und gerade dadurch ist er zu einer Gefahr geworden.“

Dieser Braunbär hat ein ganzes Dorf zu seinem Revier erklärt – und sucht im Müll gerne nach ­Essensresten.
Dieser Braunbär hat ein ganzes Dorf zu seinem Revier erklärt – und sucht im Müll gerne nach ­Essensresten. © Twitter

Vor einigen Wochen hat die Forstverwaltung des Nationalparks ­Parco Nazionale d’Abruzzo das Tier bereits zum zweiten Mal eingefangen und in ein geschütztes Gebiet gebracht. Doch die Zeit im Exil war wieder von kurzer Dauer. Nach wenigen Tagen entdeckten die Einwohner ihren ungeliebten Nachbarn erneut, wie er nahe dem Bahnhof döste. 150 Kilometer hatte er zurückgelegt und war offenbar gezielt nach Roccaraso getrabt, weil es ihm dort besser gefällt als im Wald.

Langsam reicht es den Leuten. Im November drang er in eine Konditorei ein, fraß lauter Süßigkeiten und verwüstete das Geschäft dabei wie ein Elefant die Keramik im Porzellanladen. Die Streifzüge des Tiers werden von Experten über ein Funkhalsband überwacht. Sie sind verdutzt. „Für den Bären scheint es normal zu sein, sich in Roccaraso aufzuhalten“, staunt Lucio Zazzara, der Präsident des Maiella-Nationalparks.

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Die Bewegungen und das Verhalten Juan Carritos sollen nun genau beobachtet werden, bevor eine endgültige Entscheidung über seine Zukunft getroffen wird. In den sozialen Medien ist der Bär zu einem Star geworden, im Netz fordern Tierschützer, ihn doch bitte in Ruhe zu lassen. Das verlangen indes vor allem Menschen, die weder in Roccaraso noch in sonst einem der regelmäßig von Bären heimgesuchten italienischen Orte leben. So wird gerade heftig gestritten über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier.

In Italiens Alpen trauen sie sich wegen der Bären nicht auf die Straße

Bären werden in Italien zunehmend zum Problem. Im Jahr 1999 hatte die EU das Projekt „Life Ursus“ angestoßen, um Bären zunächst im Naturpark Adamello-Brenta in den Dolomiten und später im gesamten Alpenraum wieder heimisch zu machen. Zehn Jungbären aus Slowenien und Kroatien wurden in Italien ausgesetzt, angestrebt war eine stabile Population von 50 bis 60 Tieren.

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Dieses Ziel wurde schon vor Jahren übertroffen. Seither tobt die Auseinandersetzung darüber, wie mit den „überzähligen“ Bären zu verfahren sei.

Während sich Betroffene etwa in der Alpenregion Trentino für einen Abschuss gefährlicher Bären einsetzen, pochen Gerichte vielfach auf den Tierschutz. Zum Ärger des Landeshauptmanns Maurizio Fugatti: „Die Richter fällen Urteile von ihren Büros in Rom aus“, schimpft er. „Aber die Trentiner können sich nicht mehr frei bewegen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.