Berlin. Er ist einer der mächtigen Oligarchen Russlands. Nun verhandelt Roman Abramowitsch mit über den Frieden. Wie sehr kann man ihm trauen?

Es gibt ein Foto, das den Milliardär mit dem Angriffskrieger zeigt. 2005 schon. Roman Abramowitsch sitzt an einem Tisch mit Wladimir Putin. Russlands Präsident hält ein paar Zettel in der Hand, wichtige Unterlagen womöglich.

Jedenfalls sollen sie das auf dem inszenierten Bild aus dem Kreml darstellen. Und Abramowitsch schaut interessiert zu, lächelt mild, sein Körper ist etwas gebückt, er wirkt kleiner als Putin. Das Foto sieht ein wenig aus wie Lehrer und Schüler, die eine Klassenarbeit durchgehen.

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Abramowitsch ist damals Gouverneur der Region Tschukotka, ganz im Nordosten Russlands. Abramowitsch gehört schon 2005 zu den Superreichen, mischt als Geschäftsmann mit, als Oligarchen nach dem Zerfall der Sowjetunion Millionen mit Ölgeschäften machen.

Später kauft Abramowitsch den Londoner Fußballclub FC Chelsea, und weltweit Immobilien und Yachten. In der Zeit, in der Wladimir Putin Russlands mächtigster Mann wird, steigt auch Abramowitsch auf. Er gilt bis heute als enger Vertrauter Putins.

Abramowitsch gilt als loyal zu Putin, Fachleuten sogar als devot und handzahm

Und als loyal zu Russlands Präsidenten. Manche Fachleute beschreiben den russischen Oligarchen als handzahm, gehorsam. Er handele ganz nach der Devise: „Sitz still und mach dich nicht frech.“

Türkei, Istanbul: Auf diesem Videostandbild aus einem von der türkischen Präsidentschaft zur Verfügung gestellten Video hört Roman Abramowitsch (M), russischer Oligarch, dem türkischen Präsidenten Erdogan zu, während sich die russische und die ukrainische Delegation zu Gesprächen in Istanbul treffen.
Türkei, Istanbul: Auf diesem Videostandbild aus einem von der türkischen Präsidentschaft zur Verfügung gestellten Video hört Roman Abramowitsch (M), russischer Oligarch, dem türkischen Präsidenten Erdogan zu, während sich die russische und die ukrainische Delegation zu Gesprächen in Istanbul treffen. © dpa | Uncredited

Nun, mehr als einen Monat nach der russischen Invasion in der Ukraine, tauchen wieder Fotos von Abramowitsch auf. Die Bilder der Nachrichtenagenturen zeigen, wie der Geschäftsmann sich unter die Delegation aus Russland und der Ukraine mischt, die in der Türkei einen Frieden aushandeln sollen. Mit dabei auch der türkische Präsident Erdogan, ganz große Bühne, alle hoffen auf Ergebnisse. Auf Frieden für die Ukraine.

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Welche Rolle Abramowitsch spielt, bleibt undurchsichtig. Wie so vieles in Abramowitschs Leben. Der ukrainische Verhandlungsführer David Arachamija lobt den Oligarchen. Er wirke „positiv“ auf die Gespräche ein, biete einen „inoffiziellen Kommunikationskanal“ in den Kreml, zitieren ukrainische Medien den Verhandler. Abramowitsch bemühe sich um „Neutralität“.

Abramowitsch muss eines seiner Lieblingsprojekte verkaufen: FC Chelsea

Doch an dieser Neutralität haben Fachleute Zweifel. Denn viel steht für Abramowitsch auf dem Spiel. Und er steckt in einem Dilemma. Wie viele russische Oligarchen ist auch Abramowitsch im Westen verankert, liebt den Lebensstil, genießt Freiheit und Privilegien, die Großbritannien und andere Staaten dieser Welt den Superreichen machen.

Doch nun steht Abramowitsch unter Druck: Die britische Regierung sanktioniert ihn, Reiseverbot inklusive. Derzeit versucht Abramowitsch seinen Verein FC Chelsea zu verkaufen, seine Yachten bringt er, so gut es noch geht, in Sicherheit: vor allem in die Türkei. Auch die EU überzieht russische Oligarchen mit Sanktionen, beschlagnahmt Immobilien und Yachten.

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Mehr als zwei Dutzend russische Superreiche stehen auf den Sanktionslisten. Neben Abramowitsch auch der TUI-Großaktionär Alexej Mordaschow und Michael Fridman, der Eigentümer des Industriekonzerns Alfa Group.

Allerdings werden nicht alle russischen Oligarchen vom Westen für ihre Loyalität zu Putin bestraft. Laut einem Bericht des „Manager Magazins“ verschont die EU vor allem solche, die bei der Energieversorgung in wichtigen Positionen sitzen.

Oligarchen wie Michail Chodorkowski verurteilen Putins Krieg gegen die Ukraine scharf

Oligarchen wie Michail Chodorkowski verurteilen Putins Krieg gegen die Ukraine scharf. Chodorkowski selbst saß lange wegen Steuerhinterziehung in Haft in Russland, setzte sich ab, sagte sich los von dem Putin-Staat. Andere tun das nicht.

Russlands Oligarchen lieben den westlichen Lifestyle, Luxustrips an die Cote d’Azur oder zum Skifahren in die Alpen – und doch suchen viele immer wieder nach Putins Gnaden. Es ist, so beschreibt es Kreml-Kennerin und Journalistin Maria Pewtschich, ein informelles Abkommen des russischen Präsidenten mit seinen Superreichen: Ihr vergesst eure politischen Ambitionen – und dafür könnt ihr euch bereichern.

2Türkei, Marmaris: Die auf den Bermudas registrierte Luxusjacht
2Türkei, Marmaris: Die auf den Bermudas registrierte Luxusjacht "Eclipse", die einem russischen Oligarchen gehören soll, liegt in einem Hafen im türkischen Marmaris. © dpa | -

Roman Abramowitsch, heute 55 Jahre alt, besitzt neben der russischen und britischen auch die israelische Staatsbürgerschaft, ist jüdischer Abstammung. Er war dreimal verheiratet, hat sieben Kinder und laut dem Forbes Magazin ein Vermögen von fast 15 Milliarden Dollar.

Abramowitsch gilt als geduldiger Verhandler, als geschickter Geschäftsmann. Und offenbar will er nun politisch mitmischen. Schon kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine soll er sich dem Kreml als Verhandler angeboten haben.

Abramowitsch soll Putin einen Zettel von Selenskyj zugesteckt haben

Seine Teilnahme an den Gesprächen in Istanbul zwischen ukrainischen und russischen Vertretungen bestätigen mittlerweile auch russische Regierungsstellen. Laut dem russischsprachigen Investigativmedium Agenstwo soll Abramowitsch mindestens zweimal aus Moskau zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Kiew gereist sein – inmitten der Belagerung durch russische Streitkräfte, offenbar gelang es ihm über die Türkei.

Nun gibt es mehrere Geschichten über die Rolle von Abramowitsch in dieser Vermittlerrolle. Sie lassen sich nur schwer prüfen, wie so vieles in diesem Krieg, der nicht nur mit Artillerie und Panzern geführt wird – sondern vor allem von russischer Seite auch mit einem Informationskrieg, mit Fake-Kampagnen und Desinformation.

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So soll Abramowitsch laut einem Bericht der „Times“ von einem seiner Reisen nach Kiew eine Notiz des ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit zu Putin in den Kreml gebracht haben. Darauf demnach: Die ukrainischen Bedingungen für den Frieden. Putin soll harsch darauf reagiert haben, das Angebot abgebügelt haben. Jedenfalls will die „Times“ das herausgefunden haben. Offiziell gibt es darüber keine Auskünfte.

Angebliche Vergiftung dementieren beide Seite – russische und ukrainische

Das „Wall Street Journal“ veröffentlichte gemeinsam mit dem Recherche-Netzwerk „Bellingcat“ Berichte über eine angebliche Vergiftung von Abramowitsch und ukrainischen Verhandlern bei einem Treffen Anfang März in Kiew. Über gerötete und tränende Augen und entzündete Haut soll der russische Oligarch geklagt haben.

Immer wieder hat es Giftanschläge durch Mitglieder des russischen Geheimdienstes gegeben – in der Vergangenheit betraf das Personen, die Putins Macht gefährlich werden konnten. So etwa den Oppositionellen Alexej Nawalny. Nun also Abramowitsch? Fiel er in Putins Ungnade? War er ein Vehikel, um einen Anschlag auf ukrainische Politiker zu verüben?

Das bleiben vor allem Gerüchte. Erhärtet haben sich die angeblichen Gift-Attacken nicht. Sowohl die russische Seite, aber auch die ukrainische Seite dementiert den Vorfall. Vorsicht bleibt aber offenbar. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba riet der eigenen Delegation bei den Friedensverhandlungen: „Nichts trinken, nichts essen und keine Oberflächen berühren.“

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt