Warschau. US-Präsident Donald Trump kommt nicht zum Weltkriegsgedenken in Polen. Für die polnische Regierung ist das eine politische Katastrophe.

Das Totengedenken ist im katholischen Polen von herausragender Bedeutung. An Allerheiligen reisen Jahr für Jahr Millionen Menschen quer durch das Land, um die Gräber ihrer Angehörigen zu schmücken und Kerzen zu entzünden.

Es hätte sicher niemand in Polen verstanden, wenn die rechtsnationale PiS-Regierung den 80. Jahrestag des deutschen Überfalls am 1. September 1939 durch die Eskalation eines politischen Streits „entweiht“ hätte. Also wird vor diesem Sonntag nicht gestritten. Aber gesagt werden darf es schon, dass die Deutschen ihre Schuld bislang nur unzureichend beglichen haben.

Polen fordert Reparationen von Deutschland

Reparationen lautet das Stichwort, mit dem die PiS seit Monaten den Finger in die deutsch-polnischen Wunden legt. Es geht um eine finanzielle Entschädigung für die verheerenden Schäden, die Wehrmacht, Waffen-SS und Einsatzgruppen zwischen 1939 und 1945 in Polen angerichtet haben.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fordert Reparationen von der Bundesregierung.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki fordert Reparationen von der Bundesregierung. © Reuters | Marcin Goclowski

Premier Mateusz ­Morawiecki formulierte es kürzlich in einem Interview mit unserer Redaktion so: „Polen hat bis heute keine angemessene Kompensation für die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs bekommen. Wir haben sechs Millionen Menschen verloren – weit mehr als andere Staaten, die umfangreiche Reparationszahlungen erhalten haben.“

Polen fühlt sich ungerecht behandelt

Eine parlamentarische Kommission unter Führung der PiS arbeitet derzeit daran, die Summe zu ermitteln, die Polen von Deutschland fordern will. Von rund einer Billion Euro ist die Rede – ein Anspruch, der völkerrechtlich nicht durchzusetzen sein wird, weil Polen 1953 auf weitere Entschädigungen verzichtet hat.

Doch um Geld geht es ohnehin nur vordergründig. Viel wichtiger ist das im Land so verbreitete Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Unendlich gelitten zu haben, aber das eigene Leid bis heute nicht gewürdigt zu sehen. Morawiecki brauchte im Interview nur vier Wörter, um die polnische Seelenlage zu umreißen: „Das ist nicht fair.“

Trump erwartet einen Hurrikan

Bis zum Donnerstagabend sah man sich in Warschau dennoch auf einem guten Weg. Denn für das Gedenkwochenende hatte sich als Ehrengast US-Präsident Donald Trump zu einem dreitägigen Staatsbesuch angesagt. Ausnahmslos alle polnischen Medien blickten seit Wochen mit einem gewissen Stolz auf das Ereignis voraus.

Dann jedoch kam die Absage, keine 48 Stunden vor der geplanten Landung der Air Force One. Trump kann oder will nicht reisen, weil am Wochenende ein heftiger Hurrikan die USA heimsuchen könnte.

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    Anders gesagt: Das Wetter jenseits des Atlantiks verhagelt den Polen ihren großen Tag.

    Trump-Absage ist eine Katastrophe für die PiS

    Vor allem für die regierende PiS ist die drohende Naturkatastrophe in den USA eine reale politische Katastrophe. Dabei geht es nicht so sehr um das Fehlen Trumps bei den Gedenkfeiern selbst. Immerhin kommen noch rund 30 Staats- und Regierungschefs, darunter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

    Zudem schickt Trump seinen Vize Mike Pence, der in Warschau eine Gedenkrede halten wird. Dennoch: Ohne den Präsidenten bricht für die PiS ein wesentlicher Teil jener großen patriotischen Erzählung zusammen, auf der sie fast ihren gesamten Wahlkampf aufgebaut hat.

    In sechs Wochen wird in Polen gewählt

    Denn auch das gehört zum politischen Rahmen des Weltkriegsgedenkens: In sechs Wochen wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Die Umfragewerte der PiS sind gut, aber noch zu schlecht, um die Zielmarke sicher zu erreichen, die Parteichef Kaczynski vorgegeben hat. Er will die absolute Mehrheit verteidigen oder sie sogar zu einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit ausbauen.

    Das aber wird der PiS nur gelingen, wenn sie die Menschen davon überzeugen kann, dass die Regierung Polen in den vergangenen vier Jahren zu neuem Ansehen in der Welt verholfen hat. Ungeachtet des Rechtsstaatsstreits mit der EU-Kommission.

    US-Präsident Donald Trump (r.) hat seinen Polen-Besuch wegen des herannahenden Hurrikans „Dorian“ abgesagt. Für die USA werde nun stattdessen Vizepräsident Mike Pence (l.) an den Gedenkveranstaltungen zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Polen teilnehmen.
    US-Präsident Donald Trump (r.) hat seinen Polen-Besuch wegen des herannahenden Hurrikans „Dorian“ abgesagt. Für die USA werde nun stattdessen Vizepräsident Mike Pence (l.) an den Gedenkveranstaltungen zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Polen teilnehmen. © dpa | Carolyn Kaster

    Den Beweis für diese Geschichte sollte Trumps Auftritt in Warschau liefern. Noch kurz vor der Absage des Besuchs hatten sogar Medien, die der PiS kritisch gegenüberstehen, die patriotische Erzählung der Regierung verbreitet, meist mit einem Seitenhieb auf den Nachbarn versehen.

    Die gemäßigt-konservative „Rzeczpospolita“ etwa frohlockte, Trump komme schon zum zweiten Mal in offizieller Mission nach Warschau, während er Berlin einmal mehr überfliege. Polen werde auf diese Weise allmählich zum neuen Großbritannien –zum „verlängerten Arm der US-Politik in der EU“.

    Läuft Polen Deutschland den Rang ab?

    Tatsächlich hat diese Sichtweise zuletzt deutlich an Plausibilität gewonnen. So hatten Trumps Botschafter in Warschau und Berlin vor wenigen Wochen mit einem Abzug von US-Soldaten aus Deutschland und einer Verlegung nach Polen gedroht. Der Präsident gab ihnen via Twitter Rückendeckung.

    Bei dem anstehenden Besuch sollten nun zumindest Details für die Einrichtung einer neuen US-Militärbasis in Südostpolen besprochen werden. Zudem standen strategisch wichtige Gasgeschäfte auf der Agenda. In Danzig entsteht ein zweites polnisches Flüssiggasterminal, das zur Anlandestation für US-Frackinggas werden soll – und damit zu einer Konkurrenz für die deutsch-russische Ostseepipeline Nord Stream II.

    Eine Entscheidung in der Visa-Frage steht aus

    Nicht zuletzt hatten sich viele Polen von dem Trump-Besuch auch eine Entscheidung in der leidigen Visafrage erhofft. Während Deutsche und Franzosen meist problemlos in die USA einreisen können, müssen polnische Staatsbürger noch immer langwierige Anmeldungsprozeduren über sich ergehen lassen.

    Solche Verfahren nähren die im Land verbreiteten Gefühle, Polen würden in der EU, aber auch weltweit noch immer als „Europäer zweiter Klasse“ behandelt.

    Präsidialamt: Trump-Reise ist nur verschoben

    Durch die Trump-Absage sind all diese Dinge zwar keineswegs obsolet. Die US-Delegation mit Pence an der Spitze umfasst rund 1000 Politiker, Wirtschaftsvertreter und Regierungsbeamte. Es werde wegweisende Gespräche geben, ließen Mitarbeiter des gastgebenden Präsidenten Andrzej Duda wissen.

    Sein Kanzleichef Krzysztof Szczerski beharrte am Freitag darauf, die Trump-Reise sei „nicht abgesagt, sondern nur verschoben“. Dem Wahlkampf der PiS wird das aber nicht mehr helfen. Von der polnischen Seelenlage ganz zu schweigen.