Berlin. US-Außenminister Mike Pompeo besuchte Berlin – einen Tag nach Kanzlerin Angela Merkels bemerkenswertem Auftritt in Havard.

„Und jetzt gibt’s noch einen Handschlag“, sagt Angela Merkel zu ihrem Gast, nachdem sie die Themen des anstehendes Gesprächs aufgezählt hat. Zwei Mitarbeiter des Kanzleramts räumen die Mikrofonständer weg, es folgt der Händedruck, die Fotografen dürfen auf den Auslöser drücken.

Dann verschwinden Merkel und der amerikanische Außenminister Mike Pompeo, der selbst nur zwei, drei Sätze sagt, in einem Sitzungssaal des Kanzleramts. Keine fünf Minuten dauert der Auftritt, Fragen von Journalisten sind nicht zugelassen.

Eine Dreiviertelstunde nur hat die Kanzlerin am Freitag für den amerikanischen Außenminister reserviert.

Es ist ein Arbeitsbesuch, da ist das Protokoll immer schnörkellos. Aber die Art und Weise, wie Pompeo von Merkel empfangen wird, wirkt doch sehr knapp und geschäftsmäßig. Nimmt man dann noch den umjubelten Auftritt hinzu, den Merkel keine 24 Stunden zuvor in Harvard hatte, auf dem Campus der amerikanischen Elite-Universität, dann zeigt die unterkühlte Atmosphäre im Kanzleramt, in welch schwierigem Verhältnis Deutschland und die USA sich befinden. Selten traten die Missstimmungen und Meinungsverschiedenheiten so sichtbar und in so enger zeitlicher Nähe hervor.

Kleinste Formulierungen zeigen große Differenzen auf

US-Außenminister Mike Pompeo zum Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkelnsch
US-Außenminister Mike Pompeo zum Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkelnsch © Reuters | FABRIZIO BENSCH

Pompeo ist seit einem Jahr Außenminister der USA. Dass er erst jetzt Zeit für seinen Antrittsbesuch in Deutschland findet, markiert schon für sich die Beziehungskrise. Eigentlich hätten die Treffen mit Merkel und mit Außenminister Heiko Maas (SPD) schon vor drei Wochen stattfinden sollen. Damals sagte Pompeo den Besuch nur Stunden vorher ab, was die Kanzlerin und die Bundesregierung ziemlich irritierte. Pompeo fuhr damals in die irakische Hauptstadt Bagdad statt nach Berlin. Der Grund: „dringende internationale Sicherheitsthemen“.

Die stehen auch jetzt auf dem Programm. „Die Welt ist in großer Unruhe“, sagt Merkel, als sie Pompeo im siebten Stock des Kanzleramts empfängt. Man werde vor allem über den Iran sprechen, so die Kanzlerin. „Wie verhindern wir, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen kommt?“

• Hintergrund: Atomstreit: Droht Krieg zwischen Iran und den USA?

Auch Afghanistan, die Lage in Syrien und in Libyen sind wichtige Themen, dazu Russland und die Ukraine. Das alles werde man „im Geiste der Partnerschaft besprechen“, sagt Merkel. Sie betont, dass die USA „der wichtigste Partner für Deutschland außerhalb Europas“ seien. Pompeo sagt dann nur, dass Deutschland „ein großer, wichtiger Partner und Verbündeter für die Vereinigten Staaten“ sei. Manchmal zeigen eben auch die kleinsten Formulierungen, wie groß die Differenzen sind.

So schoss Merkel in Harvard gegen Trump

Merkel kann mit solchen Andeutungen gut umgehen. Sie beherrscht die Kunst, sprachliche Spitzen zu setzen, ja selbst bis zur Perfektion. Das beste Beispiel dafür hat die Kanzlerin nur Stunden vor dem Treffen mit Pompeo gegeben. Der Außenminister dürfte auf seinem Flug nach Berlin davon gelesen haben.

Angela Merkel in Harvard: Für die Bundeskanzlerin gab es am Donnerstag stehende Ovationen.
Angela Merkel in Harvard: Für die Bundeskanzlerin gab es am Donnerstag stehende Ovationen. © Reuters | BRIAN SNYDER

In einer Rede auf dem Campus der Harvard-Universität ließ Merkel kein gutes Haar an US-Präsident Donald Trump und seiner Politik – ohne dass sie seinen Namen auch nur erwähnt hat. Trotzdem wusste jeder, der die Rede gehört hat, wer gemeint war.

Unter bedecktem Himmel versammeln sich am Donnerstag 20.000 Studenten, Absolventen, Professoren und Angehörige der Elite-Uni, um Merkel zuzuhören. Eigentlich soll die Kanzlerin – nachdem sie die Ehrendoktorwürde empfangen hat – nur den Absolventenjahrgang verabschieden. Sie nutzt die Gelegenheit aber, um nicht nur persönliche Worte an die jungen Akademiker zu richten, sondern auch, um grundsätzliche Dinge zu sagen: über ihre Sicht auf die Welt und ihr Politikverständnis.

Merkel spricht in Harvard über Persönliches

Merkel erzählt zunächst von ihrem Leben als junge Physikerin in Ost-Berlin. Nach der Arbeit sei sie immer auf die Mauer zugelaufen: „Die Berliner Mauer begrenzte meine Möglichkeiten. Sie stand mir buchstäblich im Weg“, sagt Merkel. „Aber eines, das schaffte diese Mauer in all den Jahren nicht: mir meine eigenen inneren Grenzen vorzugeben.“

Nun ist das Wort Mauer nichts, was junge Amerikaner zuerst mit dem Ost-West-Konflikt der 80er-Jahre in Verbindung bringen. In den USA ist „die Mauer“ ein Symbol für Trumps Wahlversprechen und für die Abschottung gegenüber Migranten, die über die Grenze zu Mexiko kommen. Etwas später wird Merkel sich in ihrer Rede gegen „Mauern in den Köpfen“ wenden, gegen Mauern „aus Ignoranz und Engstirnigkeit“. Sie verliefen zwischen Familienmitgliedern ebenso wie zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Hautfarben, Völkern, Religionen. „Ich wünsche mir, dass wir diese Mauern einreißen.“ In dem Stil geht es weiter.

Merkel mahnt vor Harvard-Absolventen vor Protektionismus

Immer richtet sich Merkel an die jungen Absolventen, immer kann man ihre Worte aber auch als Abrechnung mit Trump verstehen – wenn sie etwa darüber spricht, dass man „Lügen nicht Wahrheiten nennen“ solle „und Wahrheiten nicht Lügen“. Oder wenn sie warnt: „Protektionismus und Handelskonflikte gefährden den freien Welthandel und damit die Grundlagen unseres Wohlstands.“

Bei allem Entscheidungsdruck, den es oft gebe, solle man „nicht immer unseren ersten Impulsen folgen, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen“. Wer sollte da nicht an Trump und seine oft spontanen wie wütenden Botschaften auf Twitter denken?

Merkel bekommt in Harvard stehende Ovationen

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jetzt einen Ehrendoktor der US-Elite-Universität Harvard.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jetzt einen Ehrendoktor der US-Elite-Universität Harvard. © dpa | Steven Senne

Immer wieder wird Merkel von Beifall unterbrochen. Zum Schluss bekommt sie stehende Ovationen. „Wow!“, sagt die Präsidentin des Vereins der ehemaligen Harvard-Studenten nach der Rede und dankt Merkel für ihre Gedanken, wie sich eine „imaginäre Welt bauen“ ließe.

Vorgestellt wird die Kanzlerin dem Publikum als Erfinderin des Mindestlohns, des Atomausstiegs und der gleichgeschlechtlichen Ehe in Deutschland. Sie sei es gewesen, die die Grenze für Flüchtlinge geöffnet und ihnen einen „Neustart“ ermöglicht habe. Merkel genießt den Jubel an dieser Stelle und verzichtet darauf, das Lob geradezurücken. Sie lässt sich gern feiern – und das liberale Harvard tut ihr den Gefallen.

Trump hat keine Zeit für Merkel

Donald Trump, der meint, Merkel habe Deutschland mit ihrer Flüchtlingspolitik „ruiniert“, muss das geahnt haben. Er befindet sich während ihres Besuchs fast 3000 Kilometer entfernt im Bundesstaat Colorado und hält dort seinerseits vor Soldaten eine Rede. Darin geht es um Stolz, Patriotismus und militärische Stärke.

Zeit für ein Treffen mit Merkel hatte Trump nicht, das hatten seine Leute den Deutschen früh signalisiert. Seine Prioritäten liegen woanders: Nächste Woche fliegt der Präsident zum dreitägigen Staatsbesuch nach London, um unter anderem die Queen zu treffen. In Deutschland war Trump bisher nur einmal – zum G20-Gipfel in Hamburg.

Gas-Pipeline Nordstream 2 ist umstritten

Vonn Mike Pompeo und Heiko Maas gab es versöhnliche, aber auch kritische Stimmen.
Vonn Mike Pompeo und Heiko Maas gab es versöhnliche, aber auch kritische Stimmen. © dpa | Gregor Fischer

In Berlin bemühen sich Merkel und Außenminister Maas um einen betont sachlichen Umgangston mit ihrem amerikanischen Gast Pompeo. Die Liste der Konflikte, die es zu besprechen gibt, ist gleichwohl unverändert lang. Beim Iran hätten beide Seiten zwar dasselbe Ziel, sagt Maas auf der Pressekonferenz nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen. Man werde aber „unterschiedliche Wege dorthin“ verfolgen.

Umstritten sind auch die Gas-Pipeline Nord Stream 2 und die Sanktionen, die die USA den daran beteiligten Firmen androhen. Offen ist, ob Deutschland die USA stärker in Syrien unterstützt.

Und dann ist da noch der Umgang mit dem chinesischen Mobilfunkkonzern Huawei. Pompeo bekräftigt, dass dessen Netzwerktechnik „die nationale Sicherheit“ der USA, Europas und der westlichen Demokratien bedrohe. So weit will Maas nicht gehen. Er äußert Bedenken gegenüber Huawei, legt aber Wert darauf, dass Deutschland sich aus dem Handelskrieg zwischen den USA und China heraushält.

Anders als Trump versucht die Bundesregierung, mit den Chinesen im Gespräch zu bleiben. Eine halbe Stunde nachdem Pompeo das Kanzleramt verlassen hat, empfängt Merkel den chinesischen Vizepräsidenten Wang Qishan.