London. Boris Johnson hat mit Angela Merkel telefoniert. Nun hält der Premier weitere Brexit-Gespräche offenbar für zum Scheitern verurteilt.

Am 31. Oktober kommt es zum Brexit. Noch immer streiten die britische Regierung und die Europäische Union (EU) über die Bedingungen des Austritts. Jetzt bringt ein Telefongespräch zwischen Angela Merkel und Boris Johnson neue Brisanz – und der Deal scheint vor dem Scheitern zu stehen.

Die britische Regierung weist der EU die Schuld für ein Scheitern der Brexit-Gespräche zu. Anlass soll ein Gespräch zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Premierminister Johnson gewesen sein. EU-Ratspräsident Tusk reagiert empört.

Einem Medienbericht zufolge glaubt die britische Regierung nicht mehr an einen Erfolg der Gespräche über ein EU-Austrittsabkommen. Das soll aus einer Mitteilung hervorgehen, die der britische Sender Sky News aus Regierungskreisen erhalten haben soll – und deren Echtheit vom Regierungssitz Downing Street bestätigt wurde.

Laut Sky News nimmt die Mitteilung Bezug auf ein Telefonat von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem britischen Premierminister Boris Johnson am Dienstagmorgen. Die EU habe eine neue Position bezogen, heißt es in der Mitteilung.

Brexit: Merkel nennt Abkommen „äußerst unwahrscheinlich“

Merkel habe deutlich gemacht, dass ein Abkommen „äußerst unwahrscheinlich“ sei und dass Großbritannien die Staatengemeinschaft nur verlassen könne, wenn Nordirland dauerhaft in der Europäischen Zollunion und dem Binnenmarkt verbleibe.

„Wenn das eine neue, etablierte Position ist, dann bedeutet das, dass ein Abkommen prinzipiell unmöglich ist, nicht nur jetzt, sondern immer“, hieß es in der Mitteilung weiter. Zudem sei klar geworden, dass die EU „willens“ sei, das Karfreitagsabkommen zu torpedieren. Mit dem Friedensschluss endete 1998 der jahrzehntelange blutige Bürgerkrieg in Nordirland. Die irische Regierung befürchtet, dass mit einer harten Landgrenze neue Gewalt und Terror-Anschläge drohen könnten.

EU-Ratspräsident Tusk kritisiert Johnson scharf

Zwar bestätigte Steffen Seibert, Sprecher der Bundesregierung, das Telefongespräch. Zu den Inhalten äußerte er sich aber nicht. EU-Ratspräsident Donald Tusk fand dagegen deutlichere Worte.

Tusk schrieb auf Twitter, dass nicht um das Gewinnen eines „dummen Schwarze-Peter-Spiels“ gehe – gerichtet an Johnson. Es gehe um die Zukunft Europas und Großbritanniens, um die Sicherheit und die Interessen der Menschen. „Sie wollen keinen Deal, Sie wollen keine Fristverlängerung, Sie wollen den Austritt nicht widerrufen, quo vadis?(wie soll es weitergehen?)“, fragte Tusk.

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Auch die britische Opposition kritisierte die Darstellung des Telefonats. Keir Starmer, Brexit-Experte der Labour-Partei, twitterte: „Das ist ein weiterer zynischer Versuch der Regierung, die Verhandlungen zu sabotieren. Boris Johnson wird niemals die Verantwortung dafür übernehmen, dass er keinen glaubwürdigen Deal vorgelegt hat.“ Johnsons Strategie sei von Anfang an auf einen ungeregelten EU-Austritt ausgelegt gewesen.

Keine erkennbaren Fortschritte bei Brexit-Verhandlungen

Johnson hatte vorige Woche neue Vorschläge für ein geändertes Austrittsabkommen gemacht, die aber in der EU auf Widerstand treffen. Es geht um die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Im 2018 ausgehandelten Brexit-Vertrag gibt es die Übergangslösung mit einer Zollunion, den sogenannten Backstop – den lehnt Johnson aber ab.

Über die Alternativvorschläge sollte am Dienstag auch in Brüssel erneut verhandelt. Gespräche am Montag hatten keine erkennbaren Fortschritte gebracht. Ein EU-Vertreter erklärte nur, man habe einige Klarstellungen von britischer Seite bekommen.

Parlament verabschiedete Gesetz gegen Johnsons Willen

Beide Seiten stehen unter Druck, noch vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober einen Kompromiss anzubahnen. Wie eine allseits akzeptable Lösung aussehen könnte, ist aber offen. Gelingt nicht rechtzeitig ein Durchbruch, dürfte die Debatte über einen weiteren Aufschub des Brexits Fahrt gewinnen.

Das britische Parlament hatte gegen Johnsons Willen ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung in diesem Fall am 19. Oktober zu einem Antrag auf Verlängerung der Brexit-Frist zwingt. Johnson betont allerdings trotzdem, dass er sein Land ohne weitere Verzögerung zum 31. Oktober aus der EU herausführt – auch ohne Austrittsvertrag. Wie das gehen soll, ist aber unklar.

• Hintergrund: Antrag: Will Johnson die Brexit-Frist nun doch verlängern?

Ohne Austrittsabkommen droht Chaos

Mit Vertrag würde zunächst bis Ende 2020 eine Übergangsphase gelten, in der sich praktisch nichts ändert. Ohne Abkommen entfiele diese Schonfrist sowie alle Vereinbarungen zur irischen Grenze, zum Schutz der Rechte von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich und zu weiteren finanziellen Leistungen Londons an die EU.

Von heute auf morgen müssten Zölle und Kontrollen an den Grenzen zu Großbritannien eingeführt werden, Lieferketten würden unterbrochen und Millionen Bürger in Unsicherheit gestürzt. Die Wirtschaft befürchtet schlimme Folgen für die Konjunktur.

(dpa/guhe/cho)