London/Berlin. Die Corona-Krise hat Großbritannien fest im Griff, die Ärzte kämpfen verzweifelt. Gegen Premier Johnson gibt es heftige Vorwürfe.
Boris Johnson steht unter hohem Druck: Schon kurz nach seiner überstandenen Covid19-Erkrankung schaltet sich der britische Premierminister wieder verstärkt in die Regierungsgeschäfte ein. Johnson habe mit Außenminister Dominic Raab, der ihn teilweise vertritt, und weiteren Mitarbeitern am vergangenen Freitag ein dreistündiges Gespräch gehabt, berichtete die Zeitung „Sunday Telegraph“.
Bereits zuvor habe er mehrmals von seinem Landsitz Chequers aus Anweisungen gegeben.
Corona-Krise: Boris Johnsons Management steht heftig in der Kritik
Der Grund: Johnson steht massiv unter Druck: Nach einem Bericht der „Sunday Times“ war zu Beginn des Ausbruchs wochenlang der Ernst der Lage in Großbritannien nicht erkannt worden. Besonders Johnsons habe die Gefahr nicht erkannt, sich stattdessen zu sehr auf den Brexit konzentriert. Johnson fehlte bei gleich fünf wichtigen Sitzungen des Nationalen Sicherheitsrats (Cobra) zur Pandemie.
Der Vorwurf: Johnson habe lieber Urlaub gemacht als sich zu kümmern
Der Premier sei, als viele Experten schon vor einer Katastrophe in Großbritannien warnten, im Urlaub abgetaucht. Er habe nach seinem Brexit-Erfolg von Mitte Februar „Arbeitsferien“ mit seiner schwangeren Verlobten Carrie Symonds auf dem Land verbracht. Erst am 2. März habe Johnson erstmals an einer Krisensitzung teilgenommen.
Die Zeitung beruft sich auf einen hochrangigen Berater der Johnson-Regierung als Informant: „Du kannst nicht im Krieg sein, wenn der Premierminister nicht da ist“, wird dieser zitiert.
Staatsminister Michael Gove wies die Vorwürfe am Sonntag als „grotesk“ zurück. Der Premier müsse nicht immer bei den Sitzungen dabei sein.
Johnson erkrankte selbst schwer am Corona-Virus
Der 55 Jahre alte Johnson musste wegen seiner Lungenerkrankung Covid-19 auf der Intensivstation einer Londoner Klinik behandelt werden. Seit einigen Tagen erholt er sich nun auf dem Landsitz Chequers in der Nähe der Hauptstadt. An seiner Seite ist seine schwangere Verlobte. Die 32-Jährige hatte sich nach eigenen Angaben auch mit dem Coronavirus infiziert, aber nur leichte Symptome entwickelt.
Doch die Lage in Großbritannien ist fatal
In den britischen Kliniken werden Ausrüstungen zum Schutz gegen das Coronavirus bedrohlich knapp - auch die für Ärzte und Pfleger empfohlenen langärmeligen, flüssigkeitsabweisenden Einweg-Kittel auf vielen Intensivstationen. Daher haben die Behörden auch die Verwendung anderer Kittel erlaubt. Dies auf heftige Kritik unter anderem von Gewerkschaften. Sie befürchten ein erhöhtes Ansteckungsrisiko für Ärzte und Pfleger. Coronavirus: Johnsons Kurs der Verharmlosung rächt sich.
Großbritannien zählt keine Sterbefälle in Pflegeheimen
Bislang starben nach offiziellen Angaben vom Sonntag mehr als 16.000 Menschen in Kliniken. Die Statistiken zu Infizierten und Todesfällen sind wenig aussagekräftig, unter anderem weil in Großbritannien im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wenige Tests vorgenommen worden sind. In den Statistiken zu Sterbefällen sind keine Toten in Pflegeheimen berücksichtigt. Deren Zahl soll in die Tausende gehen.
Experten befürchten, dass Großbritannien mit Blick auf die Sterbequote das am schlimmsten betroffene Land in Europa werden könnte. Die Ausgangsbeschränkungen sind daher um drei Wochen bis zum 7. Mai verlängert worden.
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Elf Wochen nach dem Brexit versuchen Großbritannien und die Europäische Union, endlich Fortschritte auf dem Weg zu einem Handelsabkommen zu erreichen: An diesem Montag beginnt die erste von drei einwöchigen Verhandlungsrunden per Videokonferenz. (mit dpa)