In ihrer Regierungserklärung im Bundestag fordert Kanzlerin Angela Merkel zu vermehrten Corona-Tests auf – und droht der Wirtschaft.

Normalerweise ist bei den traditionellen Frühjahrstreffen des Europäischen Rates immer die Wirtschaft das große Thema. Doch was ist in diesen Zeiten schon normal. Und so kommt Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung am Donnerstag kurz vor dem Ratstreffen auch nur kurz auf den Europäischen Aufbauplan in Höhe von rund 750 Milliarden Euro zu sprechen, mit dem die durch Corona ausgelöste Rezession bekämpft werden soll.

Auch mit der Türkei, die gerade aus der Istanbul-Konvention – dem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen – ausgetreten ist, hält sich die Kanzlerin nicht lange auf. Der Austritt sei „ein sehr, sehr bedauerliches Zeichen“, aber Sprachlosigkeit helfe bei den „vielschichten Beziehungen“ mit dem Nato-Partner und Türkei nicht weiter. Das Türkei-EU-Abkommen müsse weiterentwickelt und habe auch viel Gutes bewirkt. So habe die Türkei 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen: „Das entspricht der Einwohnerzahl Berlins.“

Merkel: Britische Corona-Mutante hat positive Entwicklungen zunichte gemacht

Den Hauptteil ihrer Rede widmete Merkel dem Thema, das nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa beherrscht: die Pandemie. Diese sei „die größte Bewährungsprobe der Europäischen Union“. Merkel rief zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf, europäisch wie national: „Wir leben im Grunde in einer neuen Pandemie.“ Die britische Mutante habe die positiven Entwicklungen seit Weihnachten zunichte gemacht.

„Viele Menschen fragen mit Recht: War nun alles umsonst?“ sagt Merkel. Sie verstehe diese Frage. Sie könne aber aus voller Überzeugung sagen: „Nein, die Situation ist eine ganz andere als im letzten Jahr“. Merkel verteidigte die viel kritisierte Impfstoffbeschaffung durch die EU. Sie wolle sich gar nicht vorstellen, was wäre, wenn einige EU-Mitglieder jetzt Impfstoffe hätten, andere aber nicht: „Das würde den Binnenmarkt in seinen Grundfesten erschüttern“.

Ziel müsse jetzt sein, dass die heimische Impfstoffproduktion gestärkt und Europa dabei unabhängiger werde. Dafür habe die EU wie Deutschland eine Task Force eingerichtet. Lesen Sie auch: Corona: Das Saarland beendet den Lockdown nach Ostern

Merkel lobt Strategien von Tübingen und Rostock

Für Deutschland sieht Merkel drei Schwerpunkte: Impfen, Testen, regionalisierte Konzepte. Bei der Regionalisierung listete die Kanzlerin die Zahlen auf: Sechs Landkreise liegen derzeit von einer Inzidenz von unter 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen, 24 Landkreise unter 50, 144 unter 100 und der Rest darüber. „Es wäre falsch, alle mit einem Maßstab zu belegen.“

Allerdings sieht Merkel die Verantwortung nicht allein beim Bund: „Wir sind ein föderaler Stadt. Es ist keinem Oberbürgermeister und keinem Landrat verwehrt, dass zu tun, was in Tübingen und Rostock getan wird.“ Sowohl Tübingen als auch Rostock haben eigene Teststrategien und Corona-Maßnahmen entwickelt: In Tübingen erhalten Schnellgetestete ein Armband mit QR-Code, was den Zugang zu Geschäften ermöglicht. In Rostock durften 700 einheimische Fußballfans nach einem Schnelltest ein Spiel des Drittligisten Hansa Rostock besuchen. Auch in anderen Kommunen sind Modellprojekte geplant, in denen zum Beispiel Hotels für Gäste mit negativem Schnelltest öffnen.

Merkel fordert Deutsche auf, sich mehr testen zu lassen

„Alle können was machen, und der Bund wird immer unterstützend tätig sein.“ Das gelte auch für die Schulen. Gerne unterstütze der Bund, könne aber nicht für 40.000 Schulen und Tausende von Kitas eine umfassende Teststruktur bereit stellen. Dies sei Aufgabe der Länder, die dem Bund versichert hätten, es seien genügend Tests vorhanden. Auch interessant: Wie Eltern ihr Kindergartenkind auf Corona testen sollten

Coronatest-Mangel an Schulen: Merkel weist Ländern Verantwortung zu

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    Doch nicht nur von den Kommunen erwartet Merkel Engagement. Sie fordere alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich „mindestens einmal in der Woche“ testen zu lassen: „Wenn man sich zu Hause trifft, wenn man sich mit jemandem getroffen hat – das ist ein wichtiges Mittel und es ist kostenlos für jeden verfügbar.“

    Und nicht zuletzt gab es noch eine deutliche Mahnung an die Wirtschaft. Hier müssten mindestens 90 Prozent ihren Mitarbeitern Tests anbieten. Andernfalls werde man in der dritten April-Woche „regulatorische Maßnahmen“ treffen, drohte Merkel: „Testen ist die Brücke, bis wir die Impfwirkung sehen. Je mehr wir testen, umso weniger müssen wir einschränken.“ Lesen Sie auch: Ostern 2021 in der Corona-Pandemie: Das sind die Regeln

    Ist das Glas in der Pandemie halb voll oder halb leer?

    Zum Schluss rief Merkel zu mehr Optimismus auf: „Man kann auch nichts erreichen, wenn man immer nur das Negative sieht.“ Sie erinnerte an die Worte von Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard: „Es ist entscheidend, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.“ Und dann wiederholte sie – leicht variiert – ihre umstrittene Mutmachparole aus der Flüchtlingskrise: „Wir werden dieses Virus besiegen, ich bin mir ganz sicher, dass wir das schaffen werden.“

    Merkels Zuversicht wollten ihre Kritiker im Parlament nicht teilen. Zwar war auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich der Ansicht: „Zuversicht geben ist neben dem Impfen die beste Medizin“. Er sah aber auch ganz praktisch erheblichen Verbesserungsbedarf. So müsse die Testpflicht für Unternehmen schneller kommen, wenn diese nicht freiwillig dazu bereit wären. Außerdem forderte der Sozialdemokrat eine Stärkung der Betriebsräte und damit auch des Arbeitsschutzes. Nebenbei verpasste er Jens Spahn noch einen kleinen Seitenhieb. Mit ihrer Bitte um Entschuldigung am Vortag habe Merkel etwas getan, was andere nur angekündigt hätten, sagte Mützenich mit Blick auf den Bundesgesundheitsminister. Auch interessant: Curevac: Warum Elon Musk auf den deutschen Impfstoff abfährt

    Kritiker im Parlament teilen Merkels Optimismus nicht

    Schärfer war FDP-Chef Christian Lindner. Er forderte einen „doppelten Neustart“ der Pandemie-Politik, sowohl beim Verfahren als auch strategisch. So müssten die Parlamente wieder mehr in die Entscheidungen eingebunden werden. Konkret forderte Lindner Merkel auf, vor jeder Ministerpräsidentenkonferenz dem Bundestag in einer Regierungserklärung ihre Pläne darzulegen und damit zur Diskussion zu stellen. Ginge es nach der FDP würde zudem ein „unabhängiger Sonderermittler“ die Maskenbeschaffungsaufträge des Bundesgesundheitsministeriums überprüfen.

    Außerdem forderte Lindner mehr Vertrauen in die Gastronomiebetreiber und Ladenbesitzer. Diese hätten gute Hygienekonzepte entwickelt, um ihre Kunden zu schützen.

    AfD-Fraktionschef Alexander Gauland forderte als Lehre aus der Pandemie eine Stärkung des Nationalstaats: „Es liegt im deutschen Interesse, dass zuerst die Bürger dieses Landes geimpft werden.“ Er nannte dabei Großbritannien als Vorbild. Vernichtend fiel sein Urteil über die Lockdown-Maßnahmen aus. Diese würden „wenig bis nichts bewirken“, sagte Gauland. Dass ausgerechnet das von ihm gelobte Großbritannien in der Pandemie-Bekämpfung auf einen besonders harten Lockdown gesetzt hat, erwähnte er nicht.