Brüssel/Minsk. Die mittels Jagdflugzeug erzwungene Festnahme des Journalisten Protassewitsch hat in Berlin und Brüssel für scharfe Reaktionen gesorgt.

Entsetzen in ganz Europa: Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hat ein Passagierflugzeug kapern lassen, offenbar um nach der erzwungenen Landung in Minsk einen Oppositionellen festzunehmen. Die Europäische Union reagiert auf den beispiellosen Rechtsbruch mit neuen Sanktionen.

Die Boeing 737 der irischen Fluggesellschaft Ryanair (FR 4978) mit 123 Passagieren an Bord flog am Sonntagmittag auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius ordnungsgemäß über Belarus. Sie hatte fast schon Litauen erreicht, als die belarussische Flugsicherung die Piloten zur Landung in der Hauptstadt Minsk aufforderte und mit dem Abschuss drohte.

Dazu stieg auch ein Kampfjet vom russischen Typ MiG-29 auf. Begründet wurde das Manöver nach Ryanair-Angaben mit einer Bombendrohung. Nach der Notlandung wurde aber keine Bombe gefunden.

Belarus: Festnahme eines Journalisten und dessen Freundin

Stattdessen nahmen Sicherheitskräfte zwei Passagiere fest: den 26-jährigen Journalisten Roman Protassewitsch und seine russische Freundin. Protassewitsch ist Mitbegründer des oppositionellen Telegram- und Youtube-Kanals Nexta, gilt dem Regime in Minsk als „Staatsfeind“ und ist wegen Anstiftung zu Protesten zur Fahndung ausgeschrieben.

Kommentar zum Thema: Belarus: EU muss härter gegen Lukaschenko vorgehen

Ganz offensichtlich war seine Festnahme Ziel der Umleitung, so sagte es am Montag auch Ryanair-Chef Michael O’Leary. Er sprach von „staatlich unterstützter Entführung und Piraterie“ und berichtete, unter den Passagieren hätten sich belarussische KGB-Agenten befunden. Die Situation sei „sehr beängstigend“ gewesen.

Protassewitsch selbst hatte noch erzählt, dass ihn vor dem Abflug in Athen ein russisch sprechender Mann beschattet und versucht habe, seine Reisedokumente zu fotografieren. Passagiere sagten später, der Journalist sei nach der Routenänderung zunächst in Panik geraten: Mitreisenden erklärte er, man werde ihn „exekutieren“. Die belarussischen Behörden bestätigten am Montagabend Protassewitschs Festnahme. Er sei in Untersuchungshaft genommen worden, teilte das Innenministerium mit.

Der Journalist Roman Protassewitsch, hier bei einer Verhaftung durch belarussische Polizisten im Jahr 2017.
Der Journalist Roman Protassewitsch, hier bei einer Verhaftung durch belarussische Polizisten im Jahr 2017. © dpa

Landung von Minsk: Wie glaubwürdig ist Lukaschenko?

Das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko verteidigt das Vorgehen mit einer angeblichen Bombendrohung. Staatsnahe Medien behaupteten zeitweise, Ryanair habe ein Notsignal abgesetzt, Lukaschenko persönlich habe den Befehl gegeben, die Maschine als „Hilfsaktion“ zu eskortieren. Dann hieß es, die Hamas habe ein Drohschreiben geschickt.

Die staatliche Luftfahrtbehörde versicherte andererseits, man habe dem Flugzeug nur „empfohlen“, wegen einer Bombendrohung in Minsk zu landen. Ryanair wies das klar zurück.

Erzwungene Landung: Ist das ein Verteidigungsfall?

Nein. Auch die Nato protestierte zwar scharf, Generalsekretär Jens Stoltenberg spricht von einem „schwerwiegenden und gefährlichen Vorfall“. Am Dienstag will der Nato-Rat über den Vorfall beraten. Aber es handelt sich nicht um einen militärischen Angriff – dafür allerdings um einen eklatanten Verstoß gegen internationales Recht, dem jetzt die internationale Zivilluftfahrtorganisation nachgehen wird.

Belarus kann zwar wie jedes Land eigenständig entscheiden, wer über sein nationales Hoheitsgebiet fliegen darf. Und es kann nach dem Chicagoer Abkommen über die Rechte im Luftverkehr auch die Landung ziviler Flugzeuge verlangen – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, die hier offensichtlich nicht erfüllt waren.

Zur Verteidigung Lukaschenkos verwies die russische Regierung darauf, dass 2013 österreichische Jagdflugzeuge die Präsidentenmaschine von Boliviens Staatsoberhaupt Evo Morales auf dem Rückflug von Moskau abfingen und zur Landung zwangen – auf Bitten der USA, die in dem Flugzeug irrtümlich den Whistleblower Edward Snowden vermuteten. Die Fälle sind aber nicht vergleichbar, weil für solche Staatsflugzeuge besondere Regeln gelten, eine Überfluggarantie gibt es für sie ausdrücklich nicht.

Causa Protassewitsch: Wie reagiert die Politik in Berlin?

Mit Entsetzen. Zahlreiche Politiker von Union, SPD, Grünen, FDP und Linke forderten die Freilassung der Festgenommenen und Konsequenzen für das Regime in Minsk. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bestellte den belarussischen Botschafter in Berlin ein. FDP-Chef Christian Lindner sagte unserer Redaktion: „Die faktische Entführung eines Flugzeugs auf einem EU-internen Flug ist ein krimineller Akt.“ Lindner forderte Wirtschaftssanktionen sowie internationale Haftbefehle für die verantwortlichen Personen.

Die polnisch-belarussische Aktivistin Jana Shostak (M) spricht bei einer Pressekonferenz vor der belarussischen Botschaft in Warschau nach der Verhaftung des belarussischen Journalisten und Oppositionsaktivisten Protassewitsch.
Die polnisch-belarussische Aktivistin Jana Shostak (M) spricht bei einer Pressekonferenz vor der belarussischen Botschaft in Warschau nach der Verhaftung des belarussischen Journalisten und Oppositionsaktivisten Protassewitsch. © PAP/dpa | Tomasz Gzell

Landung in Minsk: So reagiert die EU

Bei einem ohnehin angesetzten Gipfeltreffen am Montagabend in Brüssel forderten die EU-Regierungschefs die sofortige Freilassung der Festgenommenen und berieten erste Maßnahmen gegen Weißrussland. Am Abend verhängte der Staatenbund dann neue Sanktionen gegen Belarus.

Wie ein Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel nach Beratungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel mitteilte, sollen belarussische Fluggesellschaften künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen dürfen und auch nicht mehr auf Flughäfen in der EU starten und landen dürfen. Zudem soll unter anderem die Liste mit Personen und Unternehmen erweitert werden, gegen die Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gelten.

Zudem fordert die EU eine unabhängige Untersuchung. Kanzlerin Angela Merkel sagte, bisherige Erläuterungen aus Minsk seien „vollkommen unglaubwürdig.“