Berlin. Keine Atomkraft mehr in Deutschland heißt auch: Keine Atomausstiegs-Debatten mehr. Damit wird Energie für wichtigere Themen frei.

Für eine Partei, die sich die Modernisierung auf die Fahnen geschrieben hat, zeigt die FDP gelegentlich einen ausgeprägten Hang zu politischer Brauchtumspflege. Auch in dieser Woche ist das zu besichtigen: Kurz vor dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke in Deutschland am kommenden Samstag stößt da eine Reihe von FDP-Politikern eine neue Runde der Atomausstiegsdebatte an, sekundiert von Union und Teilen der Wirtschaft. Die jüngste Variation über das inzwischen bekannte Thema: Man könne die Meiler ja noch ein Jahr in Bereitschaft halten.

Die Liberalen wissen natürlich, dass das nicht passieren wird – genauso wie alle anderen, die jetzt noch einmal Loblieder auf die Atomkraft singen. Die Betreiber sind längst eingestellt auf den Ausstieg, der dieses Mal wirklich kommen soll, neue Brennstäbe wurden nicht mehr bestellt. Und nicht zuletzt war die Sache ja eigentlich final entschieden worden, mit dem „Machtwort“ des Kanzlers aus dem vergangenen Herbst.

Theresa Martus / Funke Mediengruppe
Theresa Martus / Funke Mediengruppe © Reto Klar | Reto Klar

Wichtige Debatten werden nicht geführt, weil alle über Atomkraft reden

Trotzdem dreht sich vor dem diesmal wirklich endgültigen Ende noch einmal das Debatten-Karussell, und alle können eine weitere Runde mitfahren – um das eigene Profil zu schärfen und die politischen Gegner unter Druck zu setzen.

Der Kollateralschaden dieses zweifelhaften Vergnügens sind allerdings andere Debatten, die dringend geführt werden müssten, aber derzeit kaum geführt werden, weil schon wieder alle über Atomkraft reden. Denn tatsächlich gibt es ja noch reichlich Fragen, die beantwortet werden wollen auf dem Weg in ein klimaneutrales Stromsystem: Etwa die nach den flexiblen Kraftwerken, die erst mit Gas und später Wasserstoff betrieben werden sollen. Sie müssten ziemlich bald entstehen, damit die Pläne für die Energiewende aufgehen. Potenzial für politische Auseinandersetzung gäbe es an dieser Stelle hinreichend, mehr tatsächlichen Nutzen ohnehin.

Das Ende der Atomkraft in Deutschland muss deshalb auch das Ende der Atomkraft-Debatten bedeuten. Trauern sollte um dieses Ritual niemand – die Energie, die damit frei wird, wird anderswo gebraucht.