Moskau. Zum vierten Mal ist Moskau Ziel eines Drohnenangriffs geworden. Der ukrainische Präsident Selenskyj deutet bereits weitere Attacken an.

Das Handyvideo, aufgenommen am Sonntag in den frühen Morgenstunden, zeigt die Hochhäuser des Businessviertels Moskwa City in der Innenstadt von Moskau. Junge Leute auf dem Heimweg, wohl nach ausgiebigem Feiern. Plötzlich wackelt das Bild, eine Frau schreit, dann der Einschlag, die Explosion.

Es war bereits der vierte Drohnenangriff auf die russische Hauptstadt. Die Fassade eines Hochhauses wurde beschädigt. Dabei sei eine Person, ein Wachmann, verletzt worden, berichtete die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf lokale Behörden und Rettungsdienste. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin bestätigte: „Ukrainische Drohnen haben heute Nacht angegriffen.“ Der Flugverkehr auf dem Flughafen Wnukowo sei unterbrochen worden.

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Selenskyj: „Allmählich kehrt der Krieg auf das Territorium Russlands zurück“

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, zwei ukrainische Drohnen hätten die Moskauer Innenstadt erreicht und seien durch elektronische Störmaßnahmen zum Absturz gebracht worden. Eine weitere Drohne sei über dem Bezirk Odinzowo in der Region Moskau abgeschossen worden. Das Verteidigungsministerium bezeichnete den Vorfall als versuchten Terroranschlag von ukrainischer Seite.

Erst am Montag vergangener Woche hatte die russische Regierung nach Drohnenangriffen auf Moskau angekündigt, hart gegen die Ukraine vorzugehen. Damals waren Gebäude durch zwei Drohnen beschädigt worden. Der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Mychailo Fedorow hatte danach weitere Drohnenangriffe angekündigt. Normalerweise kommentiert die ukrainische Seite derartige Angriffe nicht. Diesmal allerdings erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: „Allmählich kehrt der Krieg auf das Territorium Russlands zurück.“

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Russland: In den sozialen Netzwerken überwiegt die Wut auf die Ukraine

Das Bürohochhaus im Businessviertel Moskwa City allerdings ist kein militärisches Ziel. Dort befinden sich Geschäfte, Restaurants, ein medizinisches Zentrum und auch Büros mehrerer Ministerien und anderer ziviler Behörden. Unklar ist, ob das Hochhaus wirklich das Ziel war oder die Drohne durch die Störmaßnahmen dorthin abgelenkt wurde.

Ein Blick auf ein Gebäude, das nach russischen Angaben durch einen Drohnenangriff beschädigt wurde. Das russische Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich
Ein Blick auf ein Gebäude, das nach russischen Angaben durch einen Drohnenangriff beschädigt wurde. Das russische Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich © dpa | Uncredited

Der Kreml hat die Drohnenangriffe auf Moskau inzwischen als „Akt der Verzweiflung“ der Ukraine bezeichnet, so Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Das Kiewer Regime befindet sich in einer sehr, sehr schwierigen Situation. Die spezielle militärische Operation wird fortgesetzt. Es ist offensichtlich, dass die Gegenoffensive nicht so funktioniert, wie sie in Kiew geplant wurde“, so Peskow. Die Sicherheitsmaßnahmen sowohl in Moskau als auch in anderen Regionen würden verstärkt.

Für die russischen Staatsmedien war der jüngste Drohnenangriff kein wichtiges Thema. Umso heftiger wird in den sozialen Medien diskutiert. Nach dem ersten Drohnenangriff im Juni waren viele verängstigt. Jetzt überwiegt die Wut. „Es war sehr schade für die Ukrainer, dass der Krieg in 2022 begann. Aber allmählich vergeht das Mitleid, es entsteht Wut. Ich warte auf den Sieg“, schreibt eine Frau auf VK, dem russischen Facebook-Pendant. Ein Mann ergänzt: „Ich warte darauf, dass es eine Antwort in Richtung Kiew gibt!“

Geringe Flughöhe bereitet der russischen Flugabwehr Probleme

Vor allem wird kritisiert, dass ukrainische Drohnen überhaupt die russische Hauptstadt erreichen können. „Jeden Tag eine Explosion“, schreibt eine Frau, die ironisch dem russischen Präsidenten Putin „für den friedlichen Himmel über dem Kopf“ dankt. Eine andere fasst zusammen, was viele denken: „Russland und die Bürger fühlen sich wegen dieser Drohnen nicht sicher!“

Ein Ermittler untersucht einen Bereich neben dem beschädigten Wolkenkratzer im Geschäftsviertel „Moscow City“.
Ein Ermittler untersucht einen Bereich neben dem beschädigten Wolkenkratzer im Geschäftsviertel „Moscow City“. © dpa | Uncredited

Warum also gelingt es der russischen Luftabwehr nicht, Drohnen abzufangen, die Hunderte Kilometer in Richtung Moskau fliegen? „Die Drohne ist klein, aufgrund ihrer Größe mit einem Radar schwer zu erkennen. Sie versucht, keine Strahlung auszusenden. Sie fliegt in geringer Höhe“, zitiert das Netzportal mk.ru einen Militärexperten. Dies bestätigt auch Sergej Chatyljow, von 2007 bis 2009 Chef der Flugabwehrraketentruppen der russischen Armee. Chatyljow sagt, die Luftverteidigung rund um Moskau müsse um mindestens das Vierfache verstärkt werden.

„Wir müssen jetzt unbedingt die Zahl der Flugabwehrraketendivisionen und Radarstationen erhöhen, die Ziele in niedrigen und extrem niedrigen Höhen erkennen können, und diese Stationen entlang der Grenzen der Region Moskau und weiter entlang der Grenze zur Ukraine anordnen.“

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Ukraine setzt Drohnenangriffe fort

Rund um die Hauptstadt Moskau sei das Raketen- und Geschützsystem Pantsir stationiert. Ein modernes Waffensystem, in offen zugänglichen Quellen wird es als leistungsfähig beschrieben. Jede Einheit habe zwölf Flugabwehrraketen und zwei Maschinenkanonen. Die Ziele würden per Zieloptik und per Radar erfasst. Das Hauptproblem sei die niedrige Flughöhe von Drohnen, zum Teil weniger als 50 Meter. Darauf müsste sich die Luftabwehr einstellen, so Chatyljow. „Dann ist es uns garantiert möglich, diese Ziele in geringer Höhe auf dem gesamten Weg ihres Fluges nach Moskau zu erkennen und Aufklärungs- und Kampfinformationen über sie zu erteilen.“

Unterdessen gehen die ukrainischen Drohnenangriffe weiter. In der Nacht zum Montag wurde in der Region Brjansk ein Gebäude des Innenministeriums angegriffen. Das Dach und Fenster wurden beschädigt, Verletzte gab es keine. Und in der Nähe von Taganrog, Region Rostow, traf eine Drohne ein Privathaus.

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