Simferopol/Halbinsel Krim. Die Krim ist abgeriegelt, kaum ein Ausländer kommt dorthin. Unserem Reporter ist es gelungen. Wie die Bewohner über den Ukraine-Krieg denken.

Es wäre so einfach: Simferopol auf der Krim hat einen hochmodernen Flughafen, die Anreise aus Moskau wäre kurz. Doch der Airport ist gesperrt,wegen des Krieges. Stattdessen über 27 Stunden mit dem Zug – über Woronesch, Rostow am Don und die Krim-Brücke, mehrfach von ukrainischen Truppen angegriffen. Eine junge Frau im Abteil erzählt, sie arbeite in Moskau, fahre jetzt zurück auf die Halbinsel am Schwarzen Meer, wo sie lebt. Es sei ein „Bruderkrieg“, meint Alexander, ein Rechtsanwalt aus Moskau, im Speisewagen. „Meine Verwandten leben in der Ukraine. Die Familie ist zerrissen. Sie reden nicht mehr miteinander.“

Auch dies ist eine Realität in diesem Krieg, nicht nur Tod und Zerstörung: Zerrissene Familien gehören zum Alltag in Simferopol, der Hauptstadt der „Republik Krim“. „Ich bin mit meinem Leben heute sehr zufrieden“, meint Alexej, 42 Jahre alt, gegenüber unserer Redaktion. Er ist verheiratet, hat drei Kinder, wohnt in einem Vorort von Simferopol. In der Ukraine habe er viele Verwandte, erzählt Alexej, doch die hätten seit Kriegsbeginn jeden Kontakt mit ihm abgebrochen. „Ich habe gar nichts gegen Ukrainer, ich spreche auch Ukrainisch, sehe mich aber selbst als Russe – als Teil der russischen Welt.“

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Simferopol wirkt wie eine ganz normale russische Stadt. An die frühere Zeit erinnert nur wenig. Sogar manche Straßen wurden umbenannt. Es gibt eine Fußgängerzone, in den Geschäften und Supermärkten ist alles vorhanden. Die Restaurants, die Bars sind abends gut gefüllt. Alltag in einer annektierten Stadt. Nur wenige Soldaten sind auf den Straßen zu sehen, ab und an dröhnen in der Ferne die Motoren von Militärflugzeugen. „Es ist ruhig hier“, sagt ein junger Passant. „Wir sind überhaupt nicht in Panik. Wir spüren hier vom Krieg überhaupt nichts.“

Ukraine: Auf der annektierten Krim-Halbinsel ist Putin allgegenwärtig

Auf Bussen und Plakatwänden wird für die Präsidentschaftswahlen im März geworben. Auch auf der annektierten Krim sollen die Menschen abstimmen. Ende Februar jährt sich der Einmarsch russischer Truppen zum 10. Mal. Der Einmarsch jener „grünen Männer“ in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen. Russische Truppen auf der Krim? Präsident Putin hat das damals lange geleugnet, heute erinnert ein Denkmal an die „grünen Männer“. Es ist mit Blumen geschmückt in diesen Tagen.

Im März sind in Russland Präsidentschaftswahlen. Auch in den annektierten Gebieten der Ukraine soll dann gewählt werden.
Im März sind in Russland Präsidentschaftswahlen. Auch in den annektierten Gebieten der Ukraine soll dann gewählt werden. © Jo Angerer | Jo Angerer

Wladimir Putin ist allgegenwärtig in Simferopol. Zu sehen ist er auf Wandgemälden, sein Name steht auf einem schon etwas verblichenen Plakat vor der prächtig restaurierten Alexander-Newski-Kathedrale. „Der Wiederaufbau dieser Kirche wurde durch den russischen Präsidenten W. W. Putin ermöglicht“, ist dort zu lesen. Über den Krieg, die Annexion sprechen die Menschen in der Stadt nur ungern. Zurück zur Ukraine? Politisch nahezu undenkbar. Aber darüber reden? Die Marktfrau an ihrem Stand preist ihr Obst und Gemüse an. „Alles frisch, alles lecker, von der Krim“. Doch mehr will sie nicht erzählen.

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Der 76-jährige Sergej ist da gesprächiger. „Natürlich war es vorher besser, weil Frieden war. Jetzt ist Krieg. Eigentlich sollten wir friedlich miteinander leben. Es ist schlimm, dass unsere russischen Soldaten sterben“, sagt er unserer Redaktion. Und, so ergänzt er: „Es ist nicht ungefährlich zu sagen, was man denkt. Jetzt ist Krieg – und man muss sehr aufpassen. Vorher gab es mehr Freiheit zu sagen, was man denkt.“ Wirtschaftlich gehe es ihm besser als früher, erzählt Sergej. Rund 200 Euro Rente hat er jetzt im Monat. Früher, als die Krim noch ukrainisch war, sei es wesentlich weniger gewesen.

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Viele der Krimbewohner haben ukrainische und russische Wurzeln. Ob die Krim nunmehr ukrainisch ist oder russisch, diese Frage spielt kaum eine Rolle für den 35-jährigen Maxim. Seit allerdings die Krim zu Russland gehört, sei einiges im Alltag besser geworden, erzählt er. „Die Parks werden gepflegt. Die öffentlichen Anlagen, die Straßen. Da werden Dinge auch repariert.“ Aber auch Nachteile habe Russland gebracht. Das Schlimmste in der neuen Zeit sei die Bürokratie. „Es gibt alle möglichen Gesetze, man muss ständig Formulare ausfüllen. Man muss für Dienstleistungen bezahlen. Das ist zu ukrainischen Zeiten nicht der Fall gewesen.“

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Als junger Mann könne man heutzutage umgerechnet 400 bis 600 Euro verdienen, so Maxim. Das sei schon in Ordnung – wenn nur das Wohnen nicht so teuer geworden wäre. Eine Wohnung zu kaufen, davon kann er nur träumen. Seit der Annexion haben sich viele Menschen aus Russland in Simferopol angesiedelt, zumal auch das Klima angenehm subtropisch ist. Einige Neubaugebiete hat man am Stadtrand hochgezogen. Bis zu 1000 Euro kostet hier der Quadratmeter.

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Alina, 32 Jahre alt, lebt in einer etwas günstigeren Neubauwohnung. Für 36 Quadratmeter hat sie rund 72.000 Euro bezahlt. Die junge Frau arbeitet im Staatsdienst. Der Verdienst sei nicht allzu hoch, in der Privatwirtschaft würde sie mehr verdienen, sagt sie. Aber Alina ist zufrieden. „Ich bin glücklich, habe eine neue Wohnung, lebe heute viel besser als früher. Es gibt einfach mehr Möglichkeiten.“ Und der Krieg, die Drohnen und Raketen? Flugzeuge höre sie manchmal, das sei etwas laut. Aber sonst? „Mir ist schon klar“, sagt sie noch, „die Wirkung im Ausland ist so, als ob es hier kein Leben mehr gibt. Als ob alle wegen des Krieges fliehen würden von der Krim.“ Doch das sei natürlich nicht so.

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