Berlin. Rechtsextreme Sprüche von Kollegen, Höcke-Fans im Betrieb: So hart geht nun einer der größten deutschen Arbeitgeber gegen Rechts vor.

Wie geht man mit überzeugten AfD-Anhängern im Job um? Viele fragen sich das. Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch hat eine klare Antwort. Der 55-Jährige evangelische Pfarrer erklärt, was bei der Diakonie jetzt für Wähler und Funktionäre der AfD gilt. Der evangelische Wohlfahrtsverband ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland – er kommt mit Festangestellten und Freiwilligen auf mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte.

Für die Kirche arbeiten und AfD wählen – passt das zusammen?

Rüdiger Schuch: Nein, das passt nicht zusammen. Wer die AfD aus Überzeugung wählt, kann nicht in der Diakonie arbeiten. Diese Leute können sich im Grunde auch nicht mehr zur Kirche zählen, denn das menschenfeindliche Weltbild der AfD widerspricht dem christlichen Menschenbild.

Die beiden großen Kirchen wollen jetzt stärker gegen AfD-Anhänger in ihren Reihen vorgehen. Gelten jetzt neue Regeln für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Diakonie?

Jeder Betrieb unter dem Dach der Diakonie hat ein klares Leitbild. Wenn Mitarbeitende oder Führungskräfte gegen das christliche Menschenbild verstoßen – mit Worten oder Taten –, dann müssen wir eingreifen. Erst recht, wenn sich die Person auch noch parteipolitisch bei den Rechtsextremen engagiert. Mir ist wichtig, dass jeder, der sich an uns wendet, geschützt ist und keine Angst vor menschenfeindlichen Sprüchen oder Attacken haben muss. Wer zum Beispiel Zuwanderer als bedrohliche Menschenmasse bezeichnet, hat bei der Diakonie keinen Platz. Oder: Wenn behinderte Menschen bei uns das Gefühl haben, die Mitarbeiter würden sie abwerten, dann muss man sich von solchen Beschäftigten trennen.

„Wenn behinderte Menschen bei uns das Gefühl haben, die Mitarbeiter würden sie abwerten, dann muss man sich von solchen Beschäftigten trennen“, sagt Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.
„Wenn behinderte Menschen bei uns das Gefühl haben, die Mitarbeiter würden sie abwerten, dann muss man sich von solchen Beschäftigten trennen“, sagt Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch. © Labus / FUNKE Foto Services | Winfried Labus / FUNKE Foto Services

Was passiert, wenn bekannt wird, dass jemand AfD-Mitglied ist? Oder wenn einer sogar ein Parteiamt hat?

Wenn jemand in die AfD eintritt oder sogar für die AfD kandidiert, identifiziert er sich mit der Partei. Wir sollten zunächst das Gespräch mit dem Mitarbeitenden suchen, genau hinhören, warum und mit welcher Überzeugung rechtsradikale Äußerungen getätigt werden. Dem Mitarbeitenden muss in solchen Gesprächen klarwerden, dass für menschenfeindliche Äußerungen in unseren Einrichtungen kein Platz ist. Aber wenn das nichts ändert, muss es arbeitsrechtliche Konsequenzen geben. Wer sich für die AfD einsetzt, muss gehen.

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Sind schon mal Mitarbeiter der Diakonie entlassen worden, weil sie sich bei der AfD engagieren?

Bislang ist uns kein Fall bekannt.

Sollten Mitarbeiter rechtsextreme oder sogar verfassungsfeindliche Sprüche ihrer Kollegen melden?

Ja, auf jeden Fall. Es darf nicht passieren, dass solche Äußerungen alltäglich werden. Jeder sollte deswegen sehr sensibel gegenüber extremistischen Haltungen sein. Passiert es trotzdem, müssen solche Fälle in den Einrichtungen auf den Tisch kommen und im Zweifelsfall auch arbeitsrechtliche Folgen haben. Nur so können wir sichergehen, dass die Menschen, die sich uns und unseren Angeboten anvertrauen, geschützt sind.

Müssen sich Arbeitgeber stärker als bisher engagieren, um die Demokratie gegen ihre Feinde zu schützen?

Die Demokratie ist kein Selbstläufer. Jedes Unternehmen in Deutschland sollte deswegen seine Haltung überprüfen und sich fragen, ob es genug für den Erhalt der offenen Gesellschaft tut. Schon aus eigenem Interesse: Angesichts des Fachkräftemangels sollten Unternehmen tolerant und weltoffen sein, um in den kommenden Jahren Personal an sich zu binden und überhaupt genug Personal zu bekommen.

Wie weit sollten Unternehmen gehen beim Einsatz für die Demokratie? Sollte es Wahlaufrufe geben – oder sogar Wahlempfehlungen?

Bei konkreten Wahlempfehlungen bin ich vorsichtig. Die Unternehmen sollten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber zum Wählen auffordern. Sie sollten auch deutlich machen, dass es wichtig ist, mit ihrer Stimme nicht die Feinde der Demokratie zu stärken. Für uns ist klar: AfD und Diakonie – das passt nicht zusammen. Zur Europawahl unterstützen wir im Übrigen wieder die Wahlentscheidung mit unserem Sozial-O-Mat: Hier kann jeder leicht selbst testen, welche Partei seine sozialpolitischen Positionen teilt. Bei der Bundestagswahl 2021 haben rund 250.000 Menschen den Sozial-O-Mat genutzt.

Sind Sie eigentlich sauer auf die Ampel-Koalition? Das Demokratiefördergesetz liegt auf Eis …

Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampel verpflichtet, mehr in Demokratieförderung zu investieren. Und wir sehen ja gerade, wie wichtig das ist. Ohne ein Gesetz werden jedoch viele Programme Ende des Jahres auslaufen. Das wäre fatal: Die laufenden Förderprogramme müssen endlich eine dauerhafte Finanzierung bekommen, damit die Arbeit zuverlässig fortgesetzt werden kann. Bei der Diakonie zum Beispiel schulen wir mit den Bundesmitteln unsere Leute darin zu erkennen, wie faschistoide Sprache oder menschenfeindliche Haltungen in den Alltag einsickern und was dagegen hilft. Wer in diesen Zeiten an der Demokratieförderung spart, handelt grob fahrlässig. Wir brauchen das Gesetz mehr denn je.

Aktuell laufen die Verhandlungen um den Haushalt für 2025. Wie groß ist die Finanzierungslücke für die Demokratieförderung?

Man kann mit wenig Mitteln sehr viel erreichen: Insgesamt machen diese Programme nicht einmal 0,04 Prozent des aktuellen Bundeshaushaltes aus. Spareffekte in diesem Sektor stehen in keinem Verhältnis zu den daraus resultierenden Bedrohungen des demokratischen gesellschaftlichen Zusammenhaltes.

Wer bremst aus Ihrer Sicht?

Die FDP. Angesichts der akuten Gefahr für die Demokratie habe ich dafür überhaupt kein Verständnis.

Der Sozial-O-Mat der Diakonie für die Europa-Wahl wird am 30. April freigeschaltet. Alle 35 Parteien, die zur Wahl zugelassen sind, wurden zur Teilnahme aufgefordert. Die Positionen der Parteien zu den Thesen des Sozial-O-Mat stammen von den Parteien selbst. Sie konnten auf die gleiche Weise antworten wie die Nutzerinnen und Nutzer des Sozial-O-Mat mit den Antwortmöglichkeiten „Stimme voll und ganz zu“ / „Stimme eher zu“ / „Stimme eher nicht zu“ / „stimme überhaupt nicht zu“ / „neutral“. Außerdem konnten sie die jeweilige Antwort mit einer Position begründen.