Berlin. Der zweite Strom-Stresstest soll zeigen, ob die Versorgung im Winter sicher ist. Fraglich ist, ob Atomkraft wirklich verzichtbar ist.

Noch gut drei Monate sind es, bis nach der aktuellen Gesetzeslage die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen sollen. Doch je näher das Datum rückt, desto drängender stellt sich die Frage, ob Atomstrom mitten in der Energiekrise wirklich verzichtbar ist. Die Bundesregierung will das mit einem zweiten Stresstest beantworten lassen – die wichtigsten Informationen dazu im Überblick:

Was ist ein Stresstest für die Stromversorgung?

Hinter dem Schlagwort „Stresstest“ verbirgt sich eine Analyse, die zeigen soll, ob die Versorgung mit Strom in diesem Winter auch dann noch gesichert sein wird, wenn sich die derzeitige Krise an verschiedenen Stellen des Energiesystems noch verschärft. Durchgeführt wird diese von den vier Betreibern der Strom-Übertragungsnetze in Deutschland, 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW, im Auftrag des Wirtschaftsministeriums.

Wie funktioniert der Test?

Die Übertragungsnetzbetreiber überprüfen einmal jährlich, wie groß die Reserve an Kraftwerken sein muss, um das Stromnetz stabil zu halten. Das Computermodell, mit dem diese Berechnungen gemacht werden, liegt auch dem aktuellen Stresstest zugrunde. Nur die Annahmen, die in das Modell eingehen, sind andere.

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Schon im März dieses Jahres hatten die Übertragungsnetzbetreiber auf Bitten des Bundeswirtschaftsministeriums durchgerechnet, wie sich ein Gaspreis von 200 Euro pro Megawattstunde und eine geringere Stromproduktion der französischen Atomkraftwerke auf die Versorgungssicherheit in Deutschland auswirken würde.

„Um die Vorsorge weiter zu stärken“ hat das Wirtschaftsministerium die Betreiber angewiesen, jetzt noch ein weiteres Mal zu rechnen, mit noch einmal verschärften Annahmen. Die Berechnungen sind aufwendig, der Prozess dauert mehrere Wochen.

Energieversorgung: Wovon geht der zweite Stresstest aus?

In die Rechnung fließen dieses Mal mehrere noch verschärfte Annahmen ein: Noch höhere Gaspreise, noch weniger Atomstrom aus Frankreich und noch weniger Gas, das nach Deutschland kommt.

„Die niedrigen Füllstände der Wasserreservoirs etwa in Norwegen oder den Alpen werden sicherlich berücksichtigt“, sagt Christoph Maurer, Energieexperte und Geschäftsführer der auf Energie spezialisierten Beratungsfirma Consentec. Denn die derzeitige Wetterlage in Europa verursacht nicht nur Probleme bei der Kühlung von französischen AKW, sie reduziert auch den Strom aus norwegischer Wasserkraft, der zur Verfügung steht.

Dass noch höhere Preise für einen entscheidenden Unterschied machen in der Versorgungssicherheit, damit rechnet Maurer nicht. Schon jetzt seien sie so hoch, dass Gas das letzte sei, was in der Stromproduktion zum Einsatz komme. „Da, wo es durch andere Brennstoffe ersetzt werden kann, wird es ohnehin ersetzt“, sagt er. Doch es gibt Bereiche – etwa in systemrelevanten Kraftwerken – wo Gas in der Stromversorgung nicht ersetzt werden kann. Dort würde es kritisch werden, wenn gar kein Gas mehr verfügbar wäre, sagt der Experte.

Allerdings: Im Fall einer solchen Mangellage würde die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler entscheiden, wer noch Gas bekommt und wer nicht. Dass dabei die Kraftwerke leer ausgehen und die Stromversorgung gefährdet würde, sei unwahrscheinlich, sagt Maurer. „Dann zu sagen, wir drehen den Kraftwerken das Gas ab, hielte ich für sehr unklug.“

Das Wirtschaftsministerium will die Situation, dass Gas von der Bundesnetzagentur zugeteilt wird, so gut es geht vermeiden, und setzt dafür unter anderem auf volle Speicher. Am Sonntag teilte das Haus von Minister Robert Habeck (Grüne) mit, dass die deutschen Speicher inzwischen zu 75 Prozent gefüllt seien, früher als gedacht.

Zweiter Strom-Stresstest: Wann gibt es Ergebnisse?

Laut Bundeswirtschaftsministerium werden Ergebnisse „in wenigen Wochen vorliegen“, ein genaues Datum nennt das Ministerium nicht.

Ist die Sache nach dem Stresstest dann entschieden?

Die Bundesregierung verweist derzeit in der Debatte um einen möglichen Streckbetrieb oder sogar eine Laufzeitverlängerung immer wieder darauf, dass man die Ergebnisse des laufenden Tests abwarten wolle, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Doch die Debatte dürfte damit noch nicht beendet sein.

Der laufende Stresstest solle eine Antwort auf die Versorgungssicherheit mit Strom im nächsten Winter geben, sagt Wolfram König, Leiter des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), unserer Redaktion. „Die für einen eventuellen Weiterbetrieb notwendige nukleare Sicherheit der Atomkraftwerke wird dabei nicht betrachtet.“ Er fordert die Politik auf, eine abschließende Abwägung unter Heranziehung aller Sicherheitsaspekte vorzunehmen.

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Der Wirtschaftsrat der CDU fordert schon jetzt nicht nur einen Streckbetrieb, sondern eine generelle Laufzeitverlängerung für Atomkraft in Deutschland. „Bei den Kernkraftwerken geht es nicht nur um einen Streckbetrieb für wenige Wochen, sondern um einen übergangsweisen Weiterbetrieb für voraussichtlich fünf Jahre“, sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger unserer Redaktion. An der Bestellung neuer Brennelemente führe „kein Weg vorbei“.

Energiekonzern RWE, der im Emsland eines der drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke betreibt, wartet die politische Entscheidung ab. Vorstandschef Markus Krebber wies allerdings am Freitag erneut darauf hin, dass die Kapazität der Anlagen „überschaubar“ sei. „Der Effekt aufs Gassparen ist auch überschaubar.“

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de.