Brunswick/Saporischschja. Eine ukrainische Leihmutter brachte Bridget zur Welt, ihre Eltern verstießen sie. Jetzt trennt der Krieg sie von ihrem neuen Zuhause.

Der 25. Februar sollte ein freudiger Tag werden. An jenem Freitag sollten Phil und Kristie Graves endlich erfahren, wann sie in die Ukraine reisen dürfen, um die kleine Bridget abzuholen. Das sechsjährige Mädchen lebt in einem Waisenhaus in Saporischschja, im Südosten der Ukraine.

Die Graves, ein Pastoren-Ehepaar, wohnen mehr als 8000 Kilometer weit weg, im US-Bundesstaat Maryland. Trotzdem betrachten die Graves die kleine Bridget als ihre Tochter, denn die Amerikaner wollen das kleine Mädchen adoptieren, waren bereits in den letzten Zügen eines langwierigen Verfahrens. „Doch der Krieg hat die Adoption ins Stocken gebracht“, berichtet Phil Graves unserer Redaktion.

Lebt seit Jahren in einem Waisenhaus: Bridget, hier auf dem Archivbild drei Jahre alt, wurde von ihren leiblichen Eltern verstoßen.
Lebt seit Jahren in einem Waisenhaus: Bridget, hier auf dem Archivbild drei Jahre alt, wurde von ihren leiblichen Eltern verstoßen. © ABC/Foreign Correspondent/Timothy Stevens | ABC/Foreign Correspondent/Timothy Stevens

Einen Tag bevor ein ukrainischer Richter das Adoptionsverfahren der Graves besiegeln sollte, griff Russland sein Nachbarland an. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Auch für die Graves nicht. Das Ehepaar hatte angesichts der sich zuspitzenden Lage in Osteuropa auf ein schnelleres Verfahren gedrängt – vergeblich.

Es ist ein weiterer Schicksalsschlag für die kleine Bridget, die auch liebevoll Brizzy genannt wird. Im Februar 2016 kommt sie zur Welt, gut 15 Wochen zu früh. Das Mädchen war von einer Leihmutter in der Ukraine ausgetragen worden, Ei- und Samenzelle stammten von einem US-Paar. Das Baby wiegt nur 800 Gramm und hat mehrere Behinderungen. Ihre biologischen Eltern lehnen es ab.

Biologische Eltern wollen Bridget nicht ab und geben sie zur Adoption frei

Auch die ukrainische Leihmutter-Agentur Biotexcom fühlt sich nicht verantwortlich. Das Mädchen bleibt allein in einem ukrainischen Krankenhaus, kommt später in das Waisenhaus in Saporischschja, in dem es bis heute lebt.

Drei Jahre später macht der aus­tralische Sender ABC auf das Schicksal der kleinen Bridget aufmerksam. Ihre Geschichte rührt Millionen Menschen weltweit, doch nicht ihre biologischen Eltern in den USA. Auf Anfragen des Senders schweigt Bridgets Vater. „Ich würde gerne zu ihnen sagen, dass sie eine tolle Tochter haben“, sagt die Krankenschwester Marina Boyko, die Bridget seit ihrer Geburt betreut. Viele Male habe sie versucht, die biologischen Eltern von Bridget zu kontaktieren, sie über die Fortschritte ihrer Tochter zu informieren. „Bis sie mir mit der Polizei gedroht haben.“

Angst um die Sicherheit des kleinen Mädchens

Als Bridget 18 Monate alt ist, geben ihre leiblichen Eltern sie per Schreiben zur Adoption frei. Bridget, die eigentlich eine US-Bürgerin sein sollte, bekommt eine ukrainische Staatsbürgerschaft und wartet seitdem auf ein neues Zuhause.

Die Graves aus Maryland wollten Bridget dieses neue Zuhause geben. Das Ehepaar hat bereits drei leibliche Kinder und ein adoptiertes Kind aus Armenien. Auf Bridget wurden sie durch die Adoptionsstiftung Reece’s Rainbow aufmerksam, die auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen spezialisiert ist. Bridget hat seit ihrer Geburt mehrere Behinderungen, unter anderem an einer spastischen Störung und Klumpfüßen.

Hoffen darauf, bald vereint zu sein: Phil und Kristie Graves wollen Bridget als ihre Adoptivtochter in die USA holen.
Hoffen darauf, bald vereint zu sein: Phil und Kristie Graves wollen Bridget als ihre Adoptivtochter in die USA holen. © Katina Zentz/Frederick News-Post | Katina Zentz/Frederick News-Post

Wie Kristie Graves es im Interview mit der US-amerikanischen Lokalzeitung „Frederick News Post“ erzählt, habe sie sofort „eine spirituelle Verbindung gespürt“, als sie das Foto von Bridget sah. Im Dezember war das Ehepaar bereits in die Ukraine gereist und hat Bridget im Waisenhaus kennengelernt. „Sie ist sehr aufgeweckt, sehr kontaktfreudig“, sagt Kristie Graves über das Mädchen.

Wann die Graves ihre Adoption abschließen und Bridget abholen können, bleibt ungewiss. Seit der russischen Invasion bangt das Ehepaar zudem um die Sicherheit der Sechsjährigen. Beinahe täglich, solange es die Verbindung zulässt, telefonieren die Graves mit dem Waisenhaus, stehen auch mit der Krankenschwester Marina Boyko in Kontakt.

„Bridget ist in Sicherheit“, bestätigt auch Olena Pristupa, die für die Verwaltung des Waisenhauses zuständig ist, unserer Redaktion. Auch den anderen rund 100 Waisenkindern gehe es gut. Eine Evakuierung ist bislang nicht geplant, und das, obwohl russische Soldaten bereits das Atomkraftwerk in Saporischschja beschossen haben und es seitdem kontrollieren. Doch in der restlichen Stadt, so erklärt es Olena Pristupa, sei es bislang ruhig und sicher. Für die Heimkinder, die größtenteils verschiedene Behinderungen haben, sei es deshalb sicherer in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben, lautet die offizielle Erklärung des Waisenhauses. Doch was passiert, sollte der Vormarsch vorrücken? Diese Frage kann die Hausverwaltung uns nicht beantworten. Die Graves können nicht mehr tun als hoffen: „Wir vertrauen darauf, dass Gott sie beschützt und uns erlaubt, die ­Adoption bald abzuschließen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de