Athen/Istanbul. Der Streit zwischen Griechenland und der Türkei droht zu eskalieren. Ministerin Baerbock will Einheit. In Istanbul erhält sie Kritik.
Wo immer Außenministerin Annalena Baerbock in diesen Tagen hinfliegt, der Ukraine-Krieg fliegt mit. Die deutsche Chefdiplomatin arbeitet an einem breiten internationalen Schulterschluss gegen Russland.
Auch wenn sich die Spannungen zwischen den Nato-Mitgliedern Griechenland und Türkei hochgeschaukelt haben wie lange nicht: Baerbock macht einen Doppelbesuch in beide Länder. Es ist eine Besänftigungstour, bei der es ihr vor allem um Deeskalation, Dialog und politischen Brückenbau geht.
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Ankara übt Kritik an der Bundesregierung
Doch auch die diplomatische Großoffensive kann nicht verhindern, dass Differenzen offen zutage treten. Am Freitagabend ist Baerbock in Istanbul. Es dauert nicht lange, bis der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Kritik an der Bundesregierung übt.
„Wir wollen, dass Deutschland seine ausgeglichene Haltung fortsetzt. In letzter Zeit ist diese verloren gegangen.“ Baerbock steht daneben und hört mit steinerner Miene zu.
Türkei und Griechenland: Lage hat sich verschärft
Hintergrund ist die zunehmende Verschärfung der Lage im östlichen Mittelmeer. Ankara stellt die Souveränität von 22 griechischen Inseln wie Rhodos, Samos und Kos in Frage und fordert den Abzug des griechischen Militärs. Den Forderungen verleiht die Türkei mit Überflügen von Kampfjets über bewohnte griechische Inseln Nachdruck.
Danach rechtfertigt Cavusoglu das militärische Engagement der Türkei in Nordsyrien. „Es geht um die Bedrohung von Terrorgruppen wie die PKK oder den IS“, erklärt er. Baerbock gerät in die Defensive. Zwar sei das Recht auf Selbstverteidigung durch das Völkerrecht gedeckt, betont sie. „Aber weder Vergeltung noch abstrakte Präventionsangriffe“ seien legitim. Deshalb trete die Bundesregierung bei Waffenlieferungen in derartige Drittländer auf die Bremse.
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Cavusoglu scheint der Geduldsfaden zu reißen
Als Baerbock sich dann noch für die Freilassung des inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala ausspricht, scheint bei Cavusoglu der Geduldsfaden zu reißen. „Es ist Ihr gutes Recht, so zu argumentieren“, sagt er. Und weist darauf hin, dass Kavala wegen verschiedener Klagen verurteilt wurde. Der Ton wird rauer.
Die Außenministerin will gegensteuern. Sie dankt der Türkei „sehr sehr herzlich“ für die Vermittlung beim Getreide-Abkommen zwischen Russland und der Türkei. An diesem Sonnabend soll das erste Schiff aus dem Hafen von Odessa auslaufen. Baerbock würdigt zudem die Lieferung von türkischen Bayraktar-Kampfdrohnen an die Ukraine.
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In Athen mit massiven Forderungen konfrontiert
Am Mittag wurde Baerbock bereits in Athen mit massiven Forderungen konfrontiert. Ihr griechischer Amtskollege Nikos Dendias sagte klipp und klar: „Reparationen sind für uns ein offenes Thema.“ Es geht um Entschädigungszahlungen für die Verbrechen der Nazi-Schergen, die griechische Behörden bereits auf 270 Milliarden Euro taxiert haben.
Baerbock versucht in Istanbul, ein versöhnliches Ende zu finden. Sie dankt Cavusoglu für das „sehr offene und ehrliche Gespräch“. Die Außenministerin vermeidet scharfe Rhetorik. Sie setzt auf weiche Töne. „Zuhören. Was sind die Herausforderungen?“, lautet ihre Devise. Es klingt nach einem großen diplomatischen Geduldsspiel – und vielen weiteren Gesprächen in Athen und Ankara.
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