Berlin. Annalena Baerbock stolperte fast ins Auswärtige Amt. Jetzt zollt ihr sogar der politische Gegner Respekt für ihre klaren Positionen.

Wenn Annalena Baerbock müde sein sollte in diesen Tagen, dann verbirgt sie es gut. Die Außenministerin trifft Kolleginnen und Kollegen in Brüssel, verteilt am Frankfurter Flughafen Schokoriegel an ankommende ukrainische Geflüchtete, spricht in Berlin über Energiesicherheit und Klimaschutz und im Kosovo über Versöhnung. Und schafft es dabei, stets auszusehen, als wöllte sie in diesem Moment nichts lieber tun als das. Als wäre sie genau da, wo sie hingehört.

Das war nicht immer so. Nach einem harten Wahlkampf und in einer Regierungsbildung, in der sie Robert Habeck den Job des Vizekanzlers überlassen musste, waren Baerbock die Erschöpfung, die Anspannung immer wieder anzumerken gewesen. Doch gute drei Monate nach Amtsantritt als Bundesaußenministerin, mitten in der größten außenpolitischen Krise seit Jahren, ist Baerbock zu einer der prägenden Figuren dieser Bundesregierung geworden.

Lob gibt es nicht nur von Parteifreundinnen und Koalitionspartnern, sondern auch von der Opposition. „Wir sind froh, dass Sie in dieser schweren Zeit Verantwortung für unser Land tragen“, sagte kürzlich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Und in Umfragen bescheinigen ihr Bürgerinnen und Bürger, gute Arbeit zu leisten. Baerbock, das scheint Konsens zu sein, macht gerade einiges richtig.

Ukraine-Krieg: Baerbock spricht in klaren Sätzen

Analysiert man ihre Kommunikation in den vergangenen Wochen, stößt man auf wiederkehrende Elemente. Da ist zum einen die klare Sprache: Baerbock beschreibt den Krieg nicht in Schachtelsätzen, in deren Windungen sich Verantwortung verschleiern lässt.

„Russland allein hat diesen Weg gewählt“, sagte die Außenministerin am Morgen nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Und einige Tage später, vor der UN-Vollversammlung in New York, setzte sie nach: Russland habe eine internationale Ordnung auf Grundlage von Regeln und Völkerrecht „brutal angegriffen“.

„Russlands Krieg bedeutet ein neues Zeitalter. Wir stehen an einem Scheideweg.“ Ein Hauptsatz reihte sich da an den anderen, jeder davon „ein Hieb“, wie die Süddeutsche Zeitung es beschrieb. Ausgefeilte Formulierungen waren das nicht, doch gerade das verlieh Baerbocks Botschaften ihre Wucht.

„Sie bringt Dinge auf knappe Formeln“, sagt Stefan Meister, Experte für Sicherheitspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und verknüpfe diese Formeln mit den Grundlagen der Außenpolitik, die sie machen wolle „Wir sehen immer wieder, dass sie sich auf internationales Recht bezieht, auf multilaterale Institutionen und die Prinzipien, zu denen Deutschland steht.“

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Putin und Co.: Außenministerin verbirgt ihre Empörung nicht

Es ist ein Stil, mit dem sich die Außenministerin durchaus jenseits üblicher diplomatischer Gepflogenheiten bewegt, sagt Manuel Fröhlich, Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Trier. Eigentlich gehöre es zur diplomatischen Sprache, möglichst keine direkten Anklagen zu formulieren, sagt er. „Baerbock tut das aber durchaus. Sie entscheidet sich in dieser Ausnahmesituation bewusst gegen diese Konventionen und für eine klarere, deutlichere, konfrontative Diktion.“

Die Außenministerin verbirgt ihre Empörung nicht, wenn sie davon spricht, „eiskalt belogen“ worden zu sein oder Wladimir Putins Handeln als „Aggression hoch 1000“ bezeichnet.

Emotionen, das war schon im Wahlkampf erkennbar, haben nach Baerbocks Verständnis durchaus Platz im politischen Raum. Schon ihre Auftritte als Kanzlerkandidatin waren durchsetzt mit Verweisen darauf, was politische Entscheidungen am Ende für einzelne Menschen bedeuten, vor allem: für Kinder. Damals wirkte das stellenweise wie der hartnäckige Versuch, sich durch ihre Perspektive als Mutter zweier junger Töchter abzuheben von ihren Konkurrenten.

Jetzt ermöglicht es dieselbe Rhetorik Baerbock, die Brutalität des Krieges in wenigen Worten greifbar zu machen und gleichzeitig ihre Argumente zu stärken. Vor den Vereinten Nationen rahmte sie ihre politischen Botschaften mit der Geschichte eines Mädchens, dass in der Kiewer U-Bahn zur Welt kam, wo ihre Familie vor Bomben Schutz suchte.

Feministische Außenpolitik verteidigt Baerbock mit Hinweis auf Srebrenica

Als Unionsführer Friedrich Merz im Bundestag sagte, die Bundesregierung könne seinetwegen – wie von Baerbock gefordert – feministische Außenpolitik machen, „aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr“, antwortete Baerbock mit einem Verweis auf die massenhaften Vergewaltigungen in Srebrenica in den 1990er Jahren. „Das ist kein Gedöns!“, sagt sie. Und feministische Außenpolitik habe nichts damit zu tun, dass sie nicht in die Bundeswehr investieren wolle, „sondern das hat damit zu tun, dass ich meinen Blick weite für alle Opfer in Kriegen.“ Lesen Sie auch: Angst vor dem Angriff: Odessa wird zur Festung

Der Blick auf den Einzelnen ist dabei nicht nur Kommunikationsstrategie, sondern prägt auch Baerbocks Verständnis davon, was Sicherheit bedeutet. „Es geht um die Freiheit jedes einzelnen Menschen – bei uns und weltweit“, sagte die Grünen-Politikerin zum Auftakt eines Dialogs über eine nationale Sicherheitsstrategie.

Wie viel von ihrer Vision von Sicherheit und wertegeleiteter Politik in den nächsten Jahren Realität wird, lässt sich noch nicht sagen. Auch Baerbocks intensive Reisediplomatie vor dem Ausbruch des Krieges konnte die Eskalation nicht verhindern. Die klaren Ansagen haben die Frontlinie in der Ukraine nicht zurückgedrängt.

Wie viel Einfluss B aerbock hat, ist offen

Rhetorisch verkörpere Baerbock einen neuen, empathischen Kurs, sagt DGAP-Experte Meister. „Aber was heißt das für die Substanz der Außenpolitik? Wie viel Einfluss hat sie? Wie ist das Gefüge zwischen ihr und Scholz? Das ist im Moment noch schwer einzuschätzen.“

Und der Stil der Ministerin, sagt Politikwissenschaftler Fröhlich, habe auch Risiken. Durch die Anklagen, die sie formuliert, können Spielräume wegfallen, sagt er. „Es gehört auch zur Diplomatie bei aller notwendigen Abgrenzung die Sprechfähigkeit aufrecht zu erhalten, so schwierig, beleidigend und fast schon entwürdigend das auch ist mit Leuten, die einen belogen haben.“ Die Möglichkeit zu reden, müsse erhalten bleiben, gerade in Krisenzeiten.