Carbis Bay. Die G7-Staaten wollen ihre Kräfte im Kampf gegen die Pandemie bündeln. Mehr Impfdosen für ärmere Staaten - und der Aufbau robuster Gesundheitssysteme. Aber ganz so einig sind sie sich nicht.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie wollen die G7-Staaten mindestens eine Milliarde Impfdosen für andere Länder zur Verfügung stellen.

Dazu sollen sowohl bereits hergestellte Impfdosen verteilt als auch die Herstellung weiterer finanziert werden, teilte die britische Regierung in der Nacht zum Freitag mit. Die Staats- und Regierungschefs wollen demnach auch einen Plan ausarbeiten, um die Impfstoffproduktion auszuweiten. Großbritannien hat in diesem Jahr den Vorsitz in der Gruppe sieben führender Industriestaaten inne, die sich von Freitag bis Sonntag im südwestenglischen Cornwall treffen.

Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte an, dass sein Land 100 Millionen Impfdosen aus seinem Überschuss beisteuern werde, den Großteil über die Impfstoffinitiative Covax. Bis Ende September würden 5 Millionen Dosen für die ärmsten Länder bereitgestellt, die übrigen 95 Millionen dann im Verlaufe des kommenden Jahres. Großbritannien hatte sich derart mit Impfstoff eingedeckt, dass es seine Bevölkerung damit mehrfach durchimpfen könnte. Bisher hat das Land kaum Impfstoffe exportiert - das rief scharfe Kritik hervor.

"Wegen des erfolgreichen britischen Impfprogramms sind wir nun in der Lage, einige unserer überzähligen Dosen mit denen zu teilen, die sie benötigen", sagte Johnson. Dies sei ein wichtiger Schritt zum Sieg über das Virus. Großbritannien habe mit der Entwicklung und Finanzierung des Impfstoffs von Astrazeneca die Führung im Kampf gegen die Pandemie übernommen, sagte Johnson. Bisher seien mehr als eine halbe Milliarde Dosen, zum Selbstkostenpreis verteilt, in 160 Ländern weltweit gespritzt worden.

Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden angekündigt, die Vereinigten Staaten würden bis spätestens Ende Juni 2022 insgesamt 500 Millionen Impfdosen spenden. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es zu möglichen zusätzlichen Angeboten von Impfdosen-Spenden für ärmere Länder, Deutschland habe in dem Bereich bereits sehr viel getan und sei "einer der großen Unterstützer". Geld sei vorhanden, nun müsse die Logistik ermöglicht werden, um die Impfstoffe "in die Arme der Menschen" zu bekommen. Wichtig sei dafür, eine lokale Produktion aufzubauen, etwa in Afrika, auch damit bei einer möglichen neuen Pandemie ausreichend Kapazitäten vor Ort vorhanden seien.

Der Kampf gegen die Pandemie, der Klimaschutz sowie der Umgang mit Russland und China stehen im Mittelpunkt des Treffens der Staats- und Regierungschefs von Freitag bis Sonntag in dem südwestenglischen Badeort Carbis Bay. Vorher entbrannte die Debatte neu, ob der Patentschutz für Impfstoffe aufgehoben werden soll, wie von Biden, vielen anderen Staaten und Entwicklungsorganisationen gefordert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte am Donnerstag an, gemeinsam mit Südafrika auf dem G7-Gipfel einen Vorschlag auf den Tisch zu legen, um an einer zeitlich und räumlich begrenzten Ausnahmeregelung zu arbeiten.

Kanzlerin Angela Merkel und die EU-Kommission sprachen sich erneut gegen eine Aussetzung aus. In Regierungskreisen in Berlin hieß es, die Kanzlerin glaube nicht, dass eine Freigabe hilfreich und der Patentschutz das Problem sei. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte: "Eine Aussetzung von Patenten mag gut klingen, aber sie ist keine Wunderwaffe."

Kritiker argumentieren, nicht die Patente seien das Hindernis, sondern Produktionskapazitäten, Kenntnisse und Rohstoffnachschub. Michel verwies darauf, dass aus der EU bereits mehr als 270 Millionen Impfstoffdosen in Drittstaaten exportiert worden seien. Zudem sei die EU der größte Unterstützer der Covax-Initiative für eine faire Impfstoff-Verteilung. Mit mehr als 2,8 Milliarden Euro würden bis Jahresende mindestens 100 Millionen Dosen an Impfstoff gespendet.

Erstmals seit zwei Jahren kommen die Staats- und Regierungschefs der G7-Gruppe wieder persönlich zusammen - wenn auch wegen Covid-19 unter strengen Vorsichtsmaßnahmen. Zur Gruppe der Sieben (G7) gehören die USA, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Italien und Japan. Die Teilnahme an dem Gipfel ist die erste Auslandsreise des neuen US-Präsidenten Biden, der nach seiner Ankunft zunächst mit dem britischen Premierminister Boris Johnson zusammenkam.

Nach dem Streit über die Alleingänge seines Vorgängers Donald Trump schmiedet Biden wieder Allianzen mit Verbündeten und verfolgt einen Neuanfang in der demokratischen Wertegemeinschaft - auch, um einen Gegenpol zu Russland und China zu bilden. Als Gäste sind gleichgesinnte demokratische Staaten wie Südkorea, Südafrika, Australien und Indien zu dem Gipfel eingeladen.

Die G7-Staaten wollen dabei ihre Kräfte bündeln, um die Welt besser für künftige Virusausbrüche zu rüsten. "Globale Lösungen sind gefordert", steht in dem Entwurf einer "Gesundheitserklärung von Carbis Bay", der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Darin verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs, "die kollektiven Abwehrkräfte zu stärken, um durch wirksames multilaterales Handeln und ein gestärktes globales Gesundheitssystem besser gegen künftige Pandemien vorzubeugen, diese zu entdecken, darauf zu reagieren und sich davon zu erholen".

Zum Auftakt seiner Auslandsreise rief Biden zum Schulterschluss demokratischer Länder weltweit gegen Autokraten auf. "Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Weltgeschichte", sagte er vor US-Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Mildenhall in Ostengland. "Sie wissen besser als jeder andere, dass Demokratie nicht durch Zufall entsteht. Wir müssen sie verteidigen. Wir müssen sie stärken." Er fügte hinzu: "Wir müssen diejenigen in Misskredit bringen, die glauben, dass das Zeitalter der Demokratie vorbei ist."

Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, die Beratungen vor dem Gipfel zeigten, dass der Multilateralismus wieder sehr gut funktioniere und "die G7 wieder da ist". Man wolle zeigen, "inwieweit offene, liberale, demokratische Gesellschaften ein attraktiveres Angebot sind auch an andere" Staaten.

Der G7-Gipfel ist das erste mehrerer Spitzentreffen von Biden in Europa. Am Montag nimmt Biden am Nato-Gipfel in Brüssel teil, wo am Tag darauf ein Treffen mit EU-Vertretern auf dem Programm steht. Am kommenden Mittwoch ist dann ein mit Spannung erwartetes Gipfeltreffen Bidens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf angesetzt, bevor der US-Präsident nach Washington zurückkehrt.

"Wir suchen nicht den Konflikt mit Russland. Wir wollen eine stabile, vorhersehbare Beziehung", sagte Biden vor den US-Soldaten. Aber die Vereinigten Staaten würden reagieren, wenn die russische Regierung "schädliche Handlungen" wie die Verletzung der Souveränität anderer Länder begehe. Er treffe Putin, "um ihm mitzuteilen, was ich ihm mitteilen möchte". Das Verbot von Organisationen des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny durch ein Gericht in Moskau am Mittwoch dürfte die Fronten vor dem Treffen weiter verhärten.

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