Mexiko-Stadt/São Paulo. In Brasiliens Kliniken fehlt es in der Corona-Pandemie an allem. Doch der Staat reagiert nicht. Leiden müssen darunter die Patienten.

  • Brasilien gehört zu den von der Corona-Pandmie am schwersten getroffenen Ländern
  • Dennoch verharmlost Präsident Bolsonaro die Situation und behindert teilweise andere Akteure
  • Derweil spitzt sich die Lage vor allem auf den Intensivstationen dramatisch zu

Am Donnerstag platzte den regionalen Gesundheitsverantwortlichen in São Paulo der Kragen. Sie schlossen sich zusammen und schrieben einen Brandbrief an die Hauptstadt Brasilia. Im öffentlichen Gesundheitssektor des größten Bundesstaates von Brasilien gingen die Medikamente zur Behandlung der schwersten Corona-Fälle aus, heißt es in dem Schreiben des Rats der Gesundheitssekretäre der Gemeinden von São Paulo. Lesen Sie auch: Mallorca – Brasilianische Corona-Mutation erreicht die Insel

Demnach fehlten mittlerweile 68 Prozent der öffentlichen Kliniken, Polikliniken und Gesundheitszen­tren in Brasilien die Mittel, um die Nerven der Patienten bei den lebenswichtigen Intubationen zu blockieren. 61 Prozent der Kliniken haben keine Narkosemittel mehr. Die Lage habe sich seit Anfang des Monats noch einmal dramatisch verschärft.

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Corona-Krise in Brasilien: Kampf am Rande des Kollapses

  • São Paulo ist mit 46 Millionen nicht nur der größte, sondern auch der wohlhabendste und wirtschaftlich wichtigste Bundesstaat Brasiliens.
  • Schon seit Monaten kämpfen die Krankenhäuser dort am Rande des Kollapses gegen die Pandemie. Vor allem die Intensivstationen melden, dass sie keine Patienten mehr aufnehmen können.
  • Und nun fehlen auch noch die wichtigsten Medikamente.

Nicht nur São Paulo, sondern ganz Brasilien steht das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch. Das hat mehrere Gründe: Zum einen wollte der radikal rechte Präsident Jair Bolsonaro die Gefahren der Corona-Pandemie lange nicht sehen und redete das Virus klein. Zum anderen geht von der Amazonas-Metropole Manaus eine Corona-Variante (P.1) aus, die ansteckender und tödlicher ist als das Ursprungsvirus.

Die Lage auf den Intensivstationen in Brasilien ist wegen der Corona-Pandemie angespannt.
Die Lage auf den Intensivstationen in Brasilien ist wegen der Corona-Pandemie angespannt. © SILVIO AVILA / AFP | SILVIO AVILA / AFP

Mehr als 365.000 Corona-Tote in Brasilien

Unter anderem wegen der Mutation verzeichnet Brasilien mit mehr als 365.000 Corona-Toten bisher nach den USA die weltweit meisten Opfer. Tage mit bis zu 4000 Opfern sind keine Seltenheit mehr. Am 8. April erreichte die Zahl der täglichen Todesfälle mit 4249 ihren bisherigen Höchststand. Die Zahl der Infektionsfälle seit Beginn der Pandemie liegt bei über 13,75 Millionen.

Brasilien: Erstmals mehr als 4000 Corona-Tote an einem Tag

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    Im ganzen Land kämpfen Ärztinnen, Ärzte und Regionalregierungen gegen den Mangel an. Mitte März meldeten bereits 18 der 26 Bundesstaaten, dass die Narkosemittel für die Intubationen knapp würden und dass in mehr als 100 Städten die Sauerstoffvorräte zur Neige gingen. Die "Frente Nacional de Prefeitos", ein Zusammenschluss von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus über 400 Städten, forderte die Zentralregierung auf, die Kliniken mit Sedativa und Sauerstoff zu versorgen – sonst wären die Vorräte innerhalb von 14 Tagen aufgebraucht und die Patienten drohten zu ersticken.

    Brasilien: Patienten werden ans Bett gefesselt

    Der Fernsehsender "Globo" berichtete über Fälle aus einem Krankenhaus in Rio de Janeiro, in denen Patienten an Betten gefesselt wurden, weil sie ohne Beruhigungsmittel intubiert werden mussten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich nach 20 Jahren Arbeit auf der Intensivstation so etwas erleben würde“, sagte Aureo do Carmo Filho, ein Intensivmediziner in Rio, der Nachrichtenagentur Reuters.

    „Der Patient wird einer Form von Folter ausgesetzt“, beschreibt der Arzt die Auswirkungen. Da die Intensivbetten längst nicht mehr ausreichen, werden die Intensivstationen notdürftig ausgebaut. Doch es fehlt an Ausrüstung und auch an professionellem Know-how, um die schwer kranken Patientinnen und Patienten richtig zu behandeln.

    Die Ärztinnen und Ärzte in Brasilien kämpfen in der Corona-Pandemie um das Leben ihrer Patientinnen und Patienten.
    Die Ärztinnen und Ärzte in Brasilien kämpfen in der Corona-Pandemie um das Leben ihrer Patientinnen und Patienten. © SILVIO AVILA / AFP | SILVIO AVILA / AFP

    "Ärzte ohne Grenzen": "Humanitäre Katastrophe" in Brasilien

    Die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ sieht das Land angesichts der anhaltenden Ausbreitung des Coronavirus in einer „humanitären Katastrophe“ und übt scharfe Kritik an der Regierung. Sie macht den fehlenden politischen Willen, angemessen auf die Pandemie zu reagieren, „für den Tod Tausender Brasilianer verantwortlich“.

    Auch gut ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie gebe es keine effiziente Reaktion auf die Krise. Brasilien habe sich zu einem Epizentrum der Pandemie entwickelt und in der vergangenen Woche mehr als 26 Prozent der Todesopfer weltweit verzeichnet. Und global hat Brasilien nur einen Anteil an den Covid-19-Infektionen von elf Prozent. Das heißt: Die Sterblichkeit in Brasilien ist besonders hoch.

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    Präsident Bolsonaro bremst Corona-Maßnahmen in Brasilien

    Nun versucht der vierte Gesundheitsminister, die Krise in den Griff zu bekommen. Aber Präsident Bolsonaro bremst weiterhin national koordinierte Bestrebungen aus. Epidemiologen warnen bereits, das Riesenland sei „eine Bedrohung für die globale Gesundheit“.

    Inzwischen läuft die Impfaktion, etwa 12 Prozent der Brasilianer haben die erste Impfdosis erhalten. Im Brasilien werden der Astrazeneca-Impfstoff und das chinesische Mittel Sinovac verimpft. Der brasilianische EU-Botschafter Marcos Galvão bat diese Woche Brüssel um Hilfe bei der Beschaffung von Vakzinen. Sein Land habe nicht genügend Impfstoff, um die Bevölkerung zu immunisieren. Jüngst hatte die Regierung Lieferverträge für die Vakzine ­Sputnik, Biontech/Pfizer und Johnson & Johnson abgeschlossen.