Berlin. Dokumentarfilmer Stephan Lamby hat den Kampf um Angela Merkels Nachfolge begleitet. Dabei traf er einen enttäuschten Armin Laschet an.

Corona-Lockdown, Flutkatastrophe, Afghanistan und mittendrin drei Personen, die nach 16 Jahren Merkel-Ära um ihre Nachfolge kämpfen. Der preisgekrönte Filmemacher Stephan Lamby hat sie zehn Monate lang begleitet. Armin Laschet für die CDU, Annalena Baerbock für die Grünen und Olaf Scholz für die SPD. „Wege zur Macht. Deutschlands Entscheidungsjahr“ läuft am Montagabend um 20.15 in der ARD und zum Nachschauen in der Mediathek.

Die Langzeitbeobachtung, zusammengeschnitten auf 75 Minuten, begleitet die Dramen und Machtkämpfe rund um die Protagonistinnen und Protagonisten und will die großen Probleme zeigen, die Deutschland beschäftigen.

Laschet über Kampf mit Söder: „Es war lehrreich”

Zu Beginn ein Rückblick in den vergangenen Corona-Winter. Armin Laschet gehen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, die von Virologen gefordert werden, zu weit. "Populär ist, alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder", sagt der CDU-Vorsitzende Mitte Februar und grenzt sich damit stark vom Kurs der CSU unter Markus Söder ab.

Daraufhin zeigt die Doku eindrücklich, wie zehrend der Kampf zwischen den Vorsitzenden der beiden Schwesterparteien gewesen ist. Bis Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schließlich ein Machtwort spricht: Sollte Söder sich nicht zurückziehen, beschädige das das Ansehen der Union. Am 19. April tritt Söder vor die Presse und kündigt seinen Rückzug an, sollte Laschet genügend Unterstützung aus der Union erhalten.

Söder soll sich aus dem Wahlkampf zurückziehen.
Söder soll sich aus dem Wahlkampf zurückziehen. © SWR/ ECO Media TV- Produktion | SWR/ ECO Media TV- Produktion

Von dieser potenziellen Absichtserklärung werden Armin Laschet und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak überrascht. Sie seien ahnungslos gewesen und sagen das geradeheraus in Lambys Kamera. Rückblickend spricht Laschet von bewegenden Tagen. „Was haben Sie gelernt?“, fragt Lamby. Laschets Lächeln wirkt erzwungen, sein Blick weicht ab. „Wer verlässlich ist und wer nicht verlässlich ist“, er nickt langsam. „Es war lehrreich.“

Die Grünen straucheln durch Fehler in der Vorbereitung

Auch die Grünen müssen eine Entscheidung fällen. Gehen sie mit Annalena Baerbock oder Robert Habeck ins Rennen um das Kanzleramt? Baerbock macht das Rennen – nach Außen verströmt die Partei Einigkeit. Lamby zeigt hingegen auch eine verletzte Seite. Robert Habeck: „Ich hatte eine Ambition und ich musste mich eine Woche schütteln, um zu akzeptieren, dass ich diese Ambitionen jetzt nicht leben konnte.“

Ein paar Wochen später, die Werte der Grünen sind in den Umfragen gesunken. Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt von sechs Prozent – enttäuschend. Baerbock hatte der Verwaltung des Deutschen Bundestags Sonderzahlungen nachmelden müssen, ihr Lebenslauf war fehlerhaft. Versäumnisse ihres Teams, die Baerbocks Reputation beschädigt haben. „Warum hat die Wahlkampfleitung das im Vorfeld nicht gewissenhaft genug geprüft?“, fragt Lamby Robert Habeck. "Es wurde viel geprüft und offensichtlich ist das nicht gesehen worden.“ Lamby will es präziser wissen. „Das ist offensichtlich, dass was schiefgelaufen ist", räumt Habeck ein.

Lesen Sie hier: Annalena Baerbock: Neue Ähnlichkeiten im Buch aufgetaucht

Ein Plagiatsjäger wirft Baerbock vor, in ihrem Buch Passagen abgeschrieben zu haben. Bei den Vorbereitungen auf den Wahlkampf sei „gerade im Hinblick auf das Buch vieles liegen geblieben. Das hätte ich anders machen müssen“, räumt Baerbock im Gespräch ein. „Sie hätten das Buch also lieber nicht geschrieben?“, horcht Lamby nach. Baerbock zögert, bevor sie antwortet: „Rückblickend würde ich manche Entscheidungen anders treffen".

Annalena Baerbock und Robert Habeck verströmen Einigkeit.
Annalena Baerbock und Robert Habeck verströmen Einigkeit.

Scholz und die SPD – lange der lachende Dritte

Zu Beginn der Dreharbeiten, im Winter 2020, fragt Lamby den SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: „Herr Scholz, Sie haben einen Höllenritt vor sich, ist Ihnen das klar?“ Scholz blickt kurz nachdenklich, dann aber entschlossen zu Lamby und macht seine Absichten deutlich: „Wer das Land führen will, wer Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will, muss auch Wahlkampf können. Und wer die Nerven verliert, weil ihn ein paar politische Wettbewerber angreifen, der hat wahrscheinlich auch nicht die Nerven dafür, Bundeskanzler zu sein." Eine Aussage, die man als sinnbildlich für die Höhen und Tiefen der kommenden Monate sehen kann.

Doch neben all den Skandalen der Konkurrenz bleibt es bei der SPD lange friedlich. Bis Wahlkampfleiter Lars Klingbeil der Hauptstadtpresse einen Wahlwerbespot zeigt, der die Union sehr persönlich angreift. Nicht nur die CDU ist empört über das Video. Anschließend erklärt die SPD, der Spot sei nur für eine einmalige Vorführung produziert worden. Die pikante Frage: Kannte Scholz den Spot und hat er dessen Absetzung angeordnet?

Die Nerven verliert Scholz zwar nicht, wirkt im Gespräch dafür unnahbar und verbissen. Fünfeinhalb Minuten lang sei Scholz insgesamt acht Nachfragen ausgewichen, erklärt Lamby. Von Scholz‘ erstaunlichen Ablenkungsmanövern schafft es nur eine Minute in die Dokumentation – der Journalist und die Zuschauenden bleiben ohne Antwort zurück.

Außerdem: Geldwäsche-Ermittlungen: Warum Scholz in Bedrängnis gerät

Unterhaltsame Polit-Doku mit Einblicken hinter die Kulissen

Stephan Lamby zeigt in der Dokumentation sein Geschick als Interviewer, das er sich in mehr als 20 Jahren als politischer Dokumentarfilmer erarbeitet hat. Er bohrt nach und spitzt Fragen zu, lässt die Befragten ein ums andere Mal mit ihren unscharfen Antworten nicht davonkommen. Gleichzeitig zeigt er den Zuschauenden eine intimere Seite der Politik. Laschets Mund, der sich süffisant kräuselt. Baerbock, die große Teile ihrer Antworten in ihre Blicke legt. Scholz, der immer wieder nachdenklich innehält.

Mit Laschet wirkt Lamby vertrauter als mit Baerbock oder Scholz. Auch Generalsekretär Paul Ziemiak und CSU-Chef Markus Söder zeigen sich dem Journalisten gegenüber offen und zugänglich. Insgesamt wirkt die Union am präsentesten. Diese Unausgewogenheit überrascht, Ähnliches findet sich jedoch auch an anderer Stelle wieder. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kann sich immer wieder mit längeren Statements präsentieren, in einem Flugzeug werden er und Laschet vertraut beim Gespräch untereinander gezeigt. Von einer gemeinsamen politischen Zukunft ist die Rede. Im deutlichen Kontrast dazu kommen die anderen Oppositionsparteien, Linke und AfD, kaum oder nur in kritischen Kontexten zu Wort.

Auch dem zu Beginn des Films geäußerten Anspruch, in einer Langzeitbeobachtung die „großen Probleme“ Deutschlands zu beleuchten, wird man nicht gerecht. Während Ex-Querdenkerin Selina Fullert gleich in zwei Szenen zu Wort kommt, ohne dabei kritisch eingeordnet zu werden, kommen andere prägende Themen und Bewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter überhaupt nicht vor.

Trotz dieser Schwächen ist „Wege zur Macht“ eine unterhaltsame Polit-Dokumentation mit vielen bislang unbekannten Einblicken, die gut geeignet ist, den Wahlkampf vor dem Wahltag am 26. September Revue passieren zu lassen.