Berlin. . Kampagnen und Fake News könnten das Vertrauen in die Demokratie untergraben. Wer sind die Akteure? Und welchen Einfluss haben sie?

Wie sich ein Angriff auf die Demokratie anfühlt, erleben die Delegierten der FDP auf ihrem Parteitag Mitte Mai. Es ist Samstagnachmittag, als die Software Open Slides unter Feuer steht. Das Programm soll helfen, das digitale Zusammentreffen der Liberalen zu organisieren, Mitglieder können über die Plattform online Anträge zum Wahlprogramm stellen, beraten und abstimmen. Lesen Sie hier: „Brigitte Live“: Armin Laschet übers Tempolimit – und Maaßen

Dort sei es für eine gute halbe Stunde zu „massiven Störungen“ gekommen, sagt der Innenexperte der FDP im Bundestag, Stephan Thomae, unserer Redaktion. Cyberkriminelle nutzen einen sogenannten DDoS-Angriff, um die Software zu überlasten. Ferngesteuert beschießen die Hacker die Plattform mit massenhaft Anfragen. Die Leistung des Systems bricht ein. „Zwar konnte der Anbieter schnell und professionell reagieren“, sagt Thomae. „Doch wir haben gesehen, wie raffiniert die Cyberkriminellen vorgegangen sind.“

Im Frühjahr wird es ernst: Hackergruppe schlägt zu

Es ist ein Angriff auf einen Parteitag, der am Ende glimpflich ausgeht. Die FDP-Parteizentrale teilt auf Nachfrage mit, dass der "planmäßige Ablauf des Parteitages zu jeder Zeit gewährleistet" gewesen sei. Auch die Arbeit der Delegierten sei nicht betroffen gewesen. Wer hinter der Attacke steckt, ist bis heute unklar.

Anders war es 2015, als beim groß angelegten Datenklau das IT-System des Bundestags infiltriert wurde - etliche Abgeordnete waren betroffen. Ernst wurde es auch im Frühjahr dieses Jahres, als eine Hackergruppe E-Mails mit vermeintlich vertrauenswürdigen Absendern an Abgeordnete und politische Aktivisten verschickte: das Ziel war das Einschleusen eine Schadsoftware zum Datenklau.

Hinter der Attacke steht nach Angaben von Sicherheitsbehörden die Gruppe „Ghostwriter“, die dem russischen Geheimdienst zugeordnet wird. Ohnehin ist es Russland, das den deutschen IT-Fachleuten am meisten Sorge bereitet. Gerade mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl Ende September. Mehr zum Thema: TikTok: Olaf Scholz zwischen Capital Bra und Kollegah

Vor einigen Wochen hörten Beamten in den Ministerien und einige Abgeordnete im Bundestag daher auch sehr genau hin, als Shelby Pierson nach Berlin reiste. Sie ist Sicherheitsbeauftragte für die US-Wahlen und berichtete über die Erfahrungen mit Desinformationskampagnen und Cyberangriffen in den USA. Vor allem Hackergruppen aus Russland, aber auch aus China und dem Iran fallen nach Ansicht der Amerikaner bei Cyberattacken auf. Auch interessant: CDU verkleidet eigene Mitarbeiterinnen für Plakatkampagne

Neue Wege der Attacken bereiten Fachleuten Sorge

Wer mit ranghohen Sicherheitsbeamten in Deutschland spricht, hört ernste Worte zur generellen Gefährdung, die heutzutage von Hackergruppen ausgeht. Zwar gab es bisher keinen groß angelegten Hackerangriff auf deutsche Abgeordnete, die Technik des Bundestags oder auf Parteien – doch neue Wege der Attacken auf den Wahlkampf bereiten Fachleuten Sorge.

Die Angreifer, so beschreiben es Analysepapiere aus den Sicherheitsbehörden, nutzen viele Wege, um Demokratien zu schaden: Computerangriffe, aber auch die gezielte Manipulation der öffentlichen Debatte durch Falschnachrichten und Desinformationskampagnen. Experten sprechen von „hybriden Bedrohungen“, in denen Konflikte nicht mehr nur mit Militär und Wirtschaftssanktionen ausgetragen werden. „Gerade in Wahlkampfzeiten steigt das Risiko, dass fremde Regierungen mittels Desinformation Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen“, sagt SPD-Innenexperte Uli Grötsch.

Seit Monaten tagt mit Blick auf die Bundestagswahl im Innenministerium daher auch die „AG Hybrid“, Fachleute der Bundesregierung, der Nachrichtendienste sowie der deutschen Cyberabwehr-Behörde, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. In Lagebesprechungen suchen die Beamten nach Schwachstellen der deutschen IT-Sicherheit, entwickeln aber auch Konzepte, um Parteien und Abgeordnete besser über Cyberangriffe aufzuklären.

Experten beobachten gezielte Kampagnen gegen Annalena Baerbock

Eine Frau war nach Informationen unserer Redaktion bereits im Fokus dieser Arbeitsgruppe: Annalena Baerbock. Vor allem in den ersten Wochen nach Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur registrierten die Sicherheitsbehörden gezielt gesteuerte Kampagnen in den sozialen Netzwerken und auf Plattformen wie Youtube gegen die Grünen-Politikerin. Lesen Sie hier: Annalena Baerbock: Neue Ähnlichkeiten im Buch aufgetaucht

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Pro-russische und radikal rechte Profile verbreiten ein Foto von Baerbock mit dem US-Investor und Bürgerrechtler George Soros – und stricken daraus eine Verschwörungsideologie, in der das „Volk durch eine Elite ausgetauscht“ werden soll. Falschmeldungen werden gestreut, Baerbock wolle Haustiere verbieten und die Witwenrente abschaffen. Mal ist sie „Kommunistin“, mal Teil einer „transatlantischen Verschwörung“. Auch mit einem angeblichen Nacktfoto wird die Grünen-Kandidatin diskreditiert. Doch es zeigt nicht Baerbock – sondern ein russisches Model. Auch interessant: CDU stellt Kampagne zur Bundestagswahl vor – mit Pannen

Falschnachrichten: Wer steckt hinter den Kampagnen?

Anders als noch vor einigen Jahren sind es nicht mehr Fake-Accounts und Software-gesteuerte Profile, sogenannte „Social Bots“, die Falschnachrichten und manipulierte Meldungen verbreiten. Sorge bereitet Fachleuten, dass zunehmend einflussreiche Akteure vor allem der neuen Rechten, aber auch organisierter pro-russischer Medienaktivisten die Steuerung von Kampagnen übernehmen.

Ein Netz hat sich etabliert, das real ist und Macht hat, warnt eine Sicherheitsbeamtin. Dabei sehen Fachleute zunehmend nicht mehr plumpe Fake News als Strategie der Desinformation, sondern eher das Dauerfeuer von Kommentaren oder verzerrten Meldungen, die Misstrauen in das Wahlsystem und die Demokratie streuen sollen.

FDP-Innenexperte Thomae hebt hervor: „Gefährlich sind schon Gerüchte, die etwa über die Fälschungssicherheit der Briefwahl gestreut werden.“ Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des demokratischen Systems werde „gezielt gesät“.

Bundestagswahl: Die Kanzlerkandidaten

Annalena Baerbock tritt als Kanzlerkandidatin für die Grünen an.
Annalena Baerbock tritt als Kanzlerkandidatin für die Grünen an. © dpa | Kay Nietfeld
Baerbock ist die einzige Frau unter den Kandidaten und könnte die Nachfolgerin von Angela Merkel werden.
Baerbock ist die einzige Frau unter den Kandidaten und könnte die Nachfolgerin von Angela Merkel werden. © dpa | Kay Nietfeld
Mit Robert Habeck bildet Baerbock die Doppelspitze der Grünen.
Mit Robert Habeck bildet Baerbock die Doppelspitze der Grünen. © dpa
Die Union hat sich für Armin Laschet als Kanzlerkandidat entschieden.
Die Union hat sich für Armin Laschet als Kanzlerkandidat entschieden. © dpa | Kay Nietfeld
Laschet ist amtierender  CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident von NRW.
Laschet ist amtierender CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident von NRW. © FUNKE Foto Services | Reto Klar
Laschet konnte sich im Kampf um die Kandidatur gegen CSU-Chef Markus Söder durchsetzen.
Laschet konnte sich im Kampf um die Kandidatur gegen CSU-Chef Markus Söder durchsetzen. © dpa
Für die SPD tritt Olaf Scholz als Kanzlerkandidat an.
Für die SPD tritt Olaf Scholz als Kanzlerkandidat an. © dpa
Scholz ist als  Finanzminister bereits Teil der aktuellen Regierung.
Scholz ist als Finanzminister bereits Teil der aktuellen Regierung. © dpa
Zudem ist Scholz auch Vize-Kanzler von Angela Merkel.
Zudem ist Scholz auch Vize-Kanzler von Angela Merkel. © Getty Images | Pool
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Viele AfD-Wähler trauen der Briefwahl nicht

Recherchen im Internet und in sozialen Messengerdiensten wie Telegram zeigen, dass rechte Ideologen „weitreichende Manipulation“ bei Wahlen in Deutschland durch eine angeblich angeordnete „ausschließliche Briefwahl“ in der Corona-Pandemie herbeireden. Von „Briefwahl-Betrug“ ist die Rede, wenn es um Stimmenverluste bei der AfD geht. Wähler würden „zu Hause eingesperrt“.

Der Bundeswahlleiter hat bereits reagiert. Auf der auf seiner Webseite eine eigene Rubrik eingeführt: „Erkennen und Bekämpfen von Desinformation“, darunter beschreibt die Behörde auch, warum die Briefwahl sicher ist und nur in Einzelfällen und mit hoher krimineller Energie manipuliert werden könne. Mehr zum Thema: Baerbock fordert „Respekt und Anstand“ im Wahlkampf

Doch wie viel Menschen erreicht ein Bundeswahlleiter? Und wie viele Tausende Nutzer ein extrem rechter Influencer über seine Plattformen wie Twitter, Youtube oder Telegram?

Trump hat vorgemacht, wohin das führen kann

CDU-Sicherheitsexperte Christoph Bernstiel konnte die Auswirkungen von Fake-Kampagnen gegen die Briefwahl in seiner Heimat Sachsen-Anhalt beobachten. Bei der Landtagswahl habe man erlebt, dass „deutlich weniger AfD-Anhänger das vor allem in der Pandemie wichtige Mittel der Briefwahl“ genutzt hätten. Auch Bernstiel hebt hervor: „Die Wege der Manipulation sind raffinierter geworden. Es braucht keine groß angelegten Cyberangriffe oder riesige Bot-Netzwerke mit Troll-Profilen. Vieles an Desinformation funktioniert über die Marktmacht von radikalen und anti-demokratischen Influencern.“

Teilweise haben diese rechten Profile Zehntausende Anhänger. Teilweise Millionen. So ist es der abgewählte US-Präsident Donald Trump, der im Vorfeld der Wahl in Amerika mit immer wiederkehrenden Parolen die Briefwahl diskreditiert. Er sät Misstrauen in die Sicherheit der Wahl und nach den Verlusten in vielen Bundesstaaten erklärt er die Auszählung für gefälscht. Es bleiben keine virtuellen Spinnereien – Anfang Januar stürmen Trump-Anhänger gewaltsam das Kapitol in Washington.