Berlin. Generalsekretär Xi Jinping setzt voll auf Chinas Macht und Größe. Die Bundesregierung braucht einen neuen geostrategischen Realismus.

Der Kongress der Kommunistischen Partei Chinas war in vielerlei Hinsicht eine gespenstische Veranstaltung. Mehr als 2200 Delegierte bildeten eine gewaltige Akklamations-Maschinerie. Eine gigantische Kulisse und eine Krönungsmesse für den Generalsekretär Xi Jinping, der in eine dritte Amtszeit gehievt wurde. Xi zelebriert damit seine Alleinherrschaft und katapultiert sich in den Status eines neuen Kaisers. Führerkult und Loyalitäts-Fetischismus gehen über alles.

Zwei Personalien auf dem Parteikongress lassen viele im Westen erschaudern. Ex-Präsident Hu Jintao, ein interner Kritiker von Xis Kurs, wurde offensichtlich gegen seinen Willen auf dem Podium abgeführt. Es war eine orchestrierte Demütigung von Xis Amtsvorgänger – und gleichzeitig eine Botschaft an alle Andersdenkenden: Widerspruch endet in Ausschluss und Ächtung.

Chinas Macht und Größe sind die oberste Doktrin

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent.
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Hinter dem Bild steckt jedoch mehr als die Abkanzelung eines Abweichlers. Es bedeutet das Ende des postmaoistischen Reformkurses, der 1979 unter Deng Xiaoping begonnen hatte. Es ist der finale Schlag gegen eine marktwirtschaftliche Öffnung des Landes und eine aufkeimende Diskussionskultur an den Universitäten. Unter Xi Jinping gilt die De-facto-Diktatur, der Staat lenkt die Wirtschaft zu 100 Prozent. Chinas Macht und Größe sind die oberste Doktrin. Das lässt sich auch an der zunehmend aggressiven Rhetorik Xis mit Blick auf eine potenzielle Invasion in Taiwan ablesen.

Peking geht es nicht um den Marktzugang für ausländische Unternehmen, sondern um die Schaffung eines Netzes globaler Abhängigkeiten. Der geplante Einstieg der chinesischen Reederei Cosco in ein Containerterminal des Hamburger Hafens sollte daher von der Bundesregierung kritisch geprüft werden. Naivität wie zu Zeiten der russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2 („rein privatwirtschaftliches Projekt“) ist fehl am Platz. Berlin braucht einen neuen geostrategischen Realismus.

Reederei Cosco – Pekings langer Arm auf den Weltmeeren

China: Ernennung Li Qiang zur Nummer zwei ist sehr beunruhigend

Ebenso beunruhigend ist die Ernennung von Li Qiang zur Nummer zwei im mächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros. Li ist Xi zwar treu ergeben, aber ein miserabler Krisenmanager. Als Parteisekretär war er – auf Geheiß Xis – für die brachiale Null-Covid-Politik der Hightech-Metropole Schanghai verantwortlich. Die 26 Millionen Einwohner wurden in monatelangen Lockdown-Perioden in ihren Wohnungen kaserniert.

Die brutale Politik der Abschottung führten zu einer Vollbremsung der chinesischen Wirtschaft. Nationale und internationale Lieferketten wurden abrupt unterbrochen, an den Häfen stauten sich die Waren. Ausländische Manager und Fachkräfte für Service und Wartung mussten wochenlang in Quarantäne. Im zweiten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt in China nur um mickrige 0,4 Prozent zu. Für eine Wachstumslokomotive wie China eine katastrophale Bilanz.

Der von Xi Jinping lange Zeit propagierte Gesellschaftsvertrag – „die Bevölkerung lässt die politische Führung machen und bekommt dafür stetigen Wohlstand“ – ist mit dem neuen Staatsmonopolismus nicht mehr zu halten. Bereits heute sind 20 Prozent der 16- bis 24-Jährigen in den Städten ohne Job. Neben der wachstumsdämpfenden Null-Covid-Politik verfolgt Xi eine weitere verhängnisvolle Linie: Der chinesische Binnenmarkt mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern hat für ihn Vorrang vor internationaler Verflechtung.

Chinesische Firmen sollen im Land verstärkt für die eigene Bevölkerung produzieren – für ausländische Betriebe wird die Luft dünn. Wenn Bundeskanzle Olaf Scholz am 4. November mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Peking reist, gibt es viel zu besprechen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.