Peking. Schlag gegen Hongkong: China plant ein Sicherheitsgesetz – und könnte damit künftig intervenieren. Jetzt soll Angela Merkel helfen.

Die hellbraunen Bankreihen in der Großen Halle des Volkes sind gefüllt. Es tagt der Nationale Volkskongress, Chinas Parlament. Knapp 3000 entsandte Vertreter aus Provinzen, autonomen Regionen und Städten sitzen dicht an dicht, fast alle tragen Mund- und Nasenschutz.

Nur die Polit-Granden auf dem Podium haben keine Maske vor dem Gesicht, allen voran Präsident Xi Jinping und rechts daneben Ministerpräsident Li Keqiang. Die mit goldenem Stoff bespannte Rückwand auf der Bühne ist mit roten Vorhängen drapiert, in der Mitte prangen chinesische Nationalflaggen. „China funktioniert auch in Zeiten der Corona-Pandemie“, soll die Botschaft an die Welt lauten.

Am Freitagmorgen sorgt aber eine andere Nachricht für internationale Schlagzeilen. In seiner Eröffnungsrede kündigte Premier Li an, dass Peking plane, „das Rechtswesen und die Mechanismen zum Schutz der nationalen Sicherheit“ in Hongkong zu stärken. Die politische Führung der Volksrepublik wolle „wenn nötig“ in Zukunft auch eigene nationale Sicherheitsorgane in Hongkong aufstellen.

Li legt den Entwurf eines Sicherheitsgesetzes vor, das im führenden Zirkel der Kommunistischen Partei längst beschlossen ist. Was sich ein bisschen wie verschwurbelter Juristensprech anhört, ist in Wahrheit ein Zugriff der chinesischen Exekutive auf Hongkong.

Peking will eigene nationale Sicherheitsorgane in Hongkong aufstellen

Im Kern geht es darum, dass Peking die Umsetzung eines Hongkonger Verfassungsartikels durchboxen will. Der Artikel 23 der Charta sieht vor, dass die Sonderverwaltungszone mittels eigener Gesetze „Verrat, Spaltung, Aufwiegelung (und) Subversion“ gegen China zu verhindern hat. Der Artikel wurde aber wegen Widerstands in der Hongkonger Bevölkerung nie angewendet.

Das soll sich mit dem neuen Sicherheitsgesetz ändern. Es böte zudem einen legalen Hebel zur Intervention chinesischer Truppen in Hongkong, sollten die Proteste dort aus dem Ruder laufen. Bislang ist allein die Hongkonger Polizei für die Abwehr innerer Gefahren zuständig. Offensichtlich will Peking die globale Hektik in den Corona-Wochen nutzen, um Fakten zu schaffen.

Die Anhänger der prodemokratischen Bewegung Hongkongs sehen die Ankündigung des großen Nachbarn als Kampfansage gegen die Demonstrationsfreiheit. Der Finanzmetropole war bei ihrer Übergabe an China durch Großbritannien im Jahr 1997 unter der Devise „Ein Land, zwei Systeme“ für 50 Jahre ein Sonderstatus gewährt worden. Dieser Status schließt Bürgerrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie eine marktwirtschaftliche Ordnung ein.

Aktivist Joshua Wong bietet Angela Merkel um Hilfe

Joshua Wong mit Mundschutz.
Joshua Wong mit Mundschutz. © AFP | ANTHONY WALLACE

Das prodemokratische Lager in Hongkong reagierte zunächst schockiert. „Dies ist der traurigste Tag in der Geschichte Hongkongs“, sagt die Abgeordnete Tanya Chan. Der Aktivist Joshua Wong das weltweit bekannte Gesicht der Protestbewegung gegen Peking – bat Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere europäische Regierungschefs um Hilfe.

„Das neue Sicherheitsgesetz in Hongkong wird künftige demokratische Bewegungen zerstören“, sagte Wong der „Bild“-Zeitung. Peking könne mit ihm alle Demokratieaufrufe als Umsturzversuche werten.

Das Gesetz betreffe nicht nur Bürger Hongkongs, sondern auch Reisende und Ausländer. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass die Widerständler in den kommenden Wochen gegen Pekings Pläne mobilmachen – mit dem Risiko einer unkalkulierbaren Eskalation.

USA kritisieren neues Sicherheitsgesetz – „Todesstoß“

Im vergangenen Jahr hatte es in Hongkong über sieben Monate hinweg Massendemonstrationen gegen den wachsenden Einfluss der Volksrepublik auf die Sonderverwaltungszone gegeben. Auslöser war ein hoch umstrittenes Auslieferungsgesetz. Bei diesen Kundgebungen kam es immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen.

Die Protestler sind allerdings eine buntscheckige Menge. Während die einen für die Festschreibung des Autonomiestatus über 2047 hinaus eintreten, fordern radikalere Gruppierungen die Unabhängigkeit von China. Auch auf internationaler Ebene hagelte es heftige Kritik.

Der amerikanische Außenminister Mike Pompeo bezeichnete das geplante Sicherheitsgesetz als „Todesstoß“ für die weitgehende Autonomie Hongkongs. Die USA forderten China auf, die „verheerenden Vorschläge“ nochmals zu überdenken.

Die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sind ohnehin schwer belastet. Seit Monaten tobt ein Handelskrieg zwischen beiden Ländern. In letzter Zeit hatte US-Präsident Donald Trump Peking immer wieder vorgeworfen, die Ursprünge der Corona-Pandemie vertuscht und damit eine schnelle weltweite Verbreitung des Virus ermöglicht zu haben. Kritiker kreiden ihm jedoch an, von eigenen Versäumnissen im Jahr der Präsidentschaftswahl ablenken zu wollen.

Chinas Aufstieg als Weltmacht bereitet Washington Sorge. Dazu gehört auch Pekings Plan, den Verteidigungsetat im laufenden Jahr um 6,6 Prozent zu steigern. Das ist wesentlich höher als der Wert beim Wirtschaftswachstum, der vom Internationalen Währungsfonds auf 1,5 Prozent geschätzt wird. Die chinesische Regierung gab allerdings erstmals seit vielen Jahren wegen der Corona-Unsicherheit kein Wachstumsziel heraus.

Pekings härtere Gangart gegenüber Hongkong macht die Börsen nervös

Die weiter zulegenden Militärausgaben stehen auch vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie den USA. Die von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer sorgen für Unruhe. Die Waffenlieferungen der USA an Taiwan – das von der Volksrepublik als Teil Chinas angesehen wird – heizen den Streit zusätzlich an.

Pekings härtere Gangart gegenüber Hongkong sowie das zunehmend rauere Klima zwischen Amerika und China machen auch die Börsen weltweit nervös. Der deutsche Aktienindex Dax rutschte am Freitagmorgen unter die Marke von 11.000 Punkten, erholte sich aber später wieder. „Die Ankündigungen des Volkskongresses haben die Anleger richtig verschreckt“, erklärte der Marktexperte Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partner.