Berlin. Der Bund hätte die Corona-Regeln gerne weiter verschärft. Den meisten Ländern ging das zu weit. Die Kanzlerin bedauert die Vertagung.

  • Angela Merkel und die Länder konnten sich beim Corona-Gipfel am Montag nicht auf neue Beschlüsse einigen
  • Die Kanzlerin hatte im Vorfeld bereits verlauten lassen, dass sie sich härtere Maßnahmen wünscht
  • Die Länder stellten sich aber gegen einige Vorschläge und legten ihre eigene Beschlussvorlage vor
  • Die Kanzlerin räumte am Dienstag ein, dass ihr die mit den Ministerpräsidenten getroffenen Entscheidungen zur Corona-Krise teils zu langsam getroffen werden
  • In der Pressekonferenz nach dem Treffen appellierte Merkel an die Bevölkerung

Angela Merkel waren die teils harten Kontroversen anzumerken, die sie mit den Ministerpräsidenten im Ringen um den weiteren Corona-Kurs verbracht hatte. Die sonst so strukturiert und souverän auftretende Kanzlerin wirkte bei der Pressekonferenz am Montagabend phasenweise ungewöhnlich fahrig. Sie suchte mehrmals nach den richtigen Worten.

Kein Wunder: Viele der Länderchefs hatten zuvor den Aufstand geprobt, insbesondere gegen strikte Auflagen in den Schulen – und Merkel musste sich in wesentlichen Punkten fügen. Statt neuer Vorschriften gab es vorerst nur neue Appelle an die Bürger.

Merkel räumte ein, dass sie selbst bereits in dieser Runde gerne härtere Einschränkungen – im schönsten Merkel-Sprech „Zwischenrechtsveränderungen“ – des öffentlichen Lebens beschlossen hätte. So las sich das auch in einer Vorlage aus dem Kanzleramt, die den Ministerpräsidenten am Sonntagabend zur besten „Tatort“-Zeit zugestellt worden war.

Bei den Themen Schule und Infektionsschutz sei die Regierung in der Vorlage bewusst über die Vorschläge der Ministerpräsidenten hinausgegangen, erläuterte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Mit den Maßnahmen sollte laut Braun verhindert werden, dass sich das Virus weiter bei jungen Menschen ausbreite. Die Gruppe der 14- bis 24-Jährigen sei in fast allen Bundesländern die mit der höchsten Inzidenz.

Merkel hätte gerne schon heute die Kontaktbeschränkungen verbindlich beschlossen

Die überwiegende Mehrheit der Länder habe sich jedoch mit der Auffassung durchgesetzt, erst am 25. November härtere Corona-Maßnahmen auf den Weg zu bringen, so Merkel.

Dann soll festgelegt werden, wie es nach dem 30. November weitergeht, möglichst auch über die Zeit von Weihnachten und den Jahreswechsel hinaus, „für die Zeit der Wintermonate“, so Merkel. Bund und Länder wollten damit den Bundesbürgern „ein Stück Berechenbarkeit geben – so weit man das kann“.

Eine Trendumkehr beim Infektionsgeschehen sei mit dem November-Lockdown noch nicht erreicht worden – immerhin sei die Dynamik der Neuinfektionen gebrochen worden, erklärte Merkel. Vom selbst gesetzten Ziel, die Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen auf 50 zu drücken, sei Deutschland „ein großes Stück entfernt“, sagte Merkel.

Sie machte erneut klar, dass diese Zielmarke für sie nicht verhandelbar ist. Aktuell sind es bundesweit etwa 140 Neuinfektionen. Deshalb müsse jeder Bürger mithelfen: „Jeder Kontakt , der nicht stattfindet, ist gut für die Bekämpfung der Pandemie.“

Merkel: Corona-Beschlussfassung geht mir manchmal zu langsam

Die Kanzlerin räumte am Dienstag ein, dass ihr die mit den Ministerpräsidenten getroffenen Entscheidungen zur Corona-Krise teils zu langsam getroffen werden. Das bedauere sie, auch weil es am Ende mehr Geld koste, sagte Merkel bei einer Konferenz der „Süddeutschen Zeitung“. „Wenn man früher agiert, kann man schneller auch wieder rausgehen aus den Beschränkungen“, erläuterte Merkel.

Künftig müsse deshalb schneller gehandelt werden, sobald sich ein exponentielles Wachstum der Infektionszahlen ankündige – auch wenn die Intensivstationen noch nicht so stark belastet seien. „Ich werde weiter der ungeduldige Teil in dieser Sache sein“, versicherte die Kanzlerin. „Und ich freue mich über jede Unterstützung, die ich dabei bekomme.“

Merkel erklärte auch, warum sie in den vergangenen Wochen oft emotionaler aufgetreten und auf die Menschen zugegangen sei, als man sie sonst in der Öffentlichkeit kenne. Die Corona-Pandemie sei eine „Jahrhundertherausforderung für die ganze Welt und für jeden Einzelnen“, sagte sie. Das Virus führe die Menschen zu etwas unmenschlichem: dazu, Distanz zu halten. „Deshalb muss ich auch anders mit und zu den Menschen sprechen“, sagte Merkel.

Angela Merkel nach dem Corona-Gipfel.
Angela Merkel nach dem Corona-Gipfel. © AFP | ODD ANDERSEN

Söder sorgt sich um Silvester

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht ebenfalls noch keinen Grund für Lockerungen: „Wir haben nach wie vor den mildesten Lockdown in ganz Europa.“ Das Schlechteste sei jetzt ein ständiges Auf und Ab. Die Politik müsse handeln wie bei einer Therapie: „Lieber verlängern als vorzeitig abbrechen.“

Die Empfehlungen von Bund und Ländern seien noch kein großer Wurf, die kommende Woche sei „die Woche der Wahrheit“, betonte Söder. Er wisse allerdings noch nicht, ob es eine Planungssicherheit fürs nächste halbe Jahr überhaupt geben könne, sagte er. „Corona hat jeden bestraft, der geglaubt hat, es sei schon vorbei.“

Er mache sich im Übrigen weniger Sorgen um Weihnachten als darüber, was Silvester passieren könne. Und: Skifahren im neuen Jahr? „Daran glaube ich nicht.“

Länder mussten auf Merkels Kurs einschwenken

Wer wird in zehn Tagen recht behalten, Merkel oder die Länder? Bereits vor einem Monat hatte die Kanzlerin vor einer Schalte öffentlich vor einem Kontrollverlust gewarnt, harte Kontaktbeschränkungen und die Schließung der Gastronomie ins Spiel gebracht.

Die Länder ließen sie auflaufen, um zwei Wochen später, notgedrungen angesichts rasant steigender Zahlen, doch auf Merkels Kurs einzuschwenken. Und diesmal? Um welche Punkte geht es im Einzelnen?

Länder gegen Maskenpflicht in Schulen für unter 12-Jährige

Merkels Vorstoß für eine Maskenpflicht in Schulen auch für unter 12-Jährige lehnen die Länder im Moment ab. Mit Kopfschütteln reagierten sie zudem auf den Vorschlag, so viele Busse und Bahnen bereitzustellen, dass Schüler und Schülerinnen auf dem Schulweg den nötigen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten können.

Besonders umstritten war zudem die Idee des Kanzleramts, sämtliche Lerngruppen , also Klassen und Kurse, verpflichtend zu teilen und vollkommen getrennt unterrichten zu lassen. Aus den Ländern hieß es dazu: Personell sei das gar nicht zu stemmen.

Auch das Thema Schulen soll am kommenden Mittwoch erneut auf die Tagesordnung kommen. Laut Söder könne man dann über Wege sprechen, wie sich vor allem in oberen Klassen der Unterricht entzerren ließe.

Bei privaten Kontakten bleibt es bei einer „dringenden Empfehlung“

Merkel hätte gerne schon jetzt die Regeln deutlich verschärft. Doch die von ihr geplante (verbindliche!) Vorschrift, wonach Treffen in der Öffentlichkeit nur mit den Angehörigen des eigenen Hausstands und höchstens zwei Personen eines weiteren erlaubt sein sollten, fiel bei den Ländern durch.

Geblieben ist die dringende Empfehlung, private Treffen „auf einen festen weiteren Hausstand“ zu beschränken. Dies gelte auch für Kinder und Jugendliche in den Familien.

Auch die ursprüngliche Aufforderung, sich bei jedem Erkältungssymptom unmittelbar in Selbstquarantäne zu geben und fünf bis sieben Tage auszukurieren, wurde ersetzt. Jetzt ist nur noch von „Atemwegserkrankungen“ die Rede, die man mit telefonischer Krankschreibung zuhause auskurieren soll.

Verzichten sollen die Bürger auf nicht notwendige private Reisen und touristische Tagestouren, außerdem auf nicht nötige Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

15 FFP2-Masken für besonders gefährdete Personen

Da sich mit Beginn des Winters im Dezember die Bürger noch mehr in geschlossenen Räumen aufhalten, soll das Risiko einer Ansteckung für die besonders vulnerablen Gruppen reduziert werden. Damit sind ältere Menschen und jene mit Vorerkrankung gemeint. Jeder von ihnen soll von Dezember an insgesamt je 15 FFP2-Masken (rechnerisch eine pro Winterwoche) erhalten – „gegen eine geringe Eigenbeteiligung“.

Städtetagspräsident Burkhard Jung hat Bund und Länder zur Besonnenheit bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie aufgerufen. „Für die Konferenz nächste Woche wünschen wir uns mehr Ruhe und eine bessere Kommunikation zwischen Bund und Ländern“, sagte der Leipziger Oberbürgermeister unserer Redaktion. „Das aktuelle Hin und Her um das jetzige Beschlusspapier war nicht glücklich.“

Für das nächste Treffen forderte er „kluge Entscheidungen, die die Menschen verstehen und bei denen sie mitmachen“.

Bereits im Vorfeld des Corona-Gipfels war darüber spekuliert worden, dass eine Entscheidung über die Fortsetzung des Teil-Lockdowns auf den Ende November verschoben werden könnte .