Berlin. Kinder und Jugendliche ab zwölf können sich in Deutschland bald impfen lassen. In bestimmten Fällen sogar gegen den Willen der Eltern.

Es ist der Vorabend des 7. Juni. Mutter, Vater und Tochter sitzen beim Abendessen. Am nächsten morgen beginnen die Corona-Impfungen für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren. Das Thema wird auch in der Familie heiß diskutiert. Denn die 14-jährige Tochter würde sich gerne das Vakzin von Biontech/Pfizer vom Hausarzt verabreichen lassen. Sie hat nur ein Problem: Ihre Eltern sind Impfgegner. Corona-Impfung für die minderjährige Tochter? Das erlauben sie nicht.

So wie in diesem fiktiven Szenario könnte es bald auch anderen Kindern und Jugendlichen in Deutschland gehen. Es herrscht Verunsicherung. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will auch ohne eine allgemeine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) mit den Kinder-Impfungen beginnen. Die EU-Kommission hat Biontech dafür zugelassen. Doch die Stiko zögert. Laut Spahn sollen Kinder, Ärzte und Eltern individuell entscheiden.

Was aber wenn in dieser Runde Eltern und Kinder anderer Meinung sind? Wer entscheidet, wenn sich das Kind gegen Corona impfen lassen will, die Eltern aber dagegen sind? Im aktuellen Entwurf zur Impfverordnung des Bundes ist das nicht geregelt. Sowohl Ärztevertreter als auch Juristen sehen im Gespräch mit unserer Redaktion in der Frage eine heikle Thematik . Auch weil über eventuelle Langzeitrisiken einer Corona-Impfung schlichtweg noch kaum etwas bekannt ist. Zudem gehört das Verhältnis von Eltern und Kindern wohl zu dem Intimsten, in das Gesetze und Politik eingreifen können. Doch Ärzte und Juristen sind sich einig: Kinder können sich auch gegen den Willen der Eltern impfen lassen – wenn sie dafür die nötige Intelligenz mitbringen.

"Eine Impfung ohne Einwilligung der Eltern ist möglich"

"Wenn mir ein 14-Jähriger klar erklären kann, warum er geimpft werden will und das Thema auch versteht, dann ist eine Impfung ohne Einwilligung der Eltern möglich", sagt Jakob Maske, Bundespressesprecher vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Theoretisch würde dann sogar eine Schweigepflicht gegenüber den Eltern bestehen.

Entscheidend ist in einem solchen Fall die Einsichtsfähigkeit des minderjährigen Impfwilligen. Mit dem Begriff ist im Juristendeutsch die Fähigkeit gemeint, einen Sachverhalt so zu verstehen, dass dazu rechtlich belastbare Entscheidungen getroffen werden können. Liegt eine Einsichtsfähigkeit vor, kann ein Minderjähriger in einen Vertrag einwilligen und ist somit Einwilligungsfähig.

Corona-Impfungen: Das Alter ist nicht entscheidend

Das Alter 14 wird gerne als Maßstab genommen, da ab dann Kinder in Deutschland als strafmündig gelten. Aber auch dafür ist eine entsprechende Einsichtsfähigkeit für die eigene Straftat Voraussetzung. Was bedeutet das in Bezug auf freie Entscheidungen über Corona-Impfungen?

"Es gibt da eigentliche keine feste Altersgrenze", sagt Thomas Schlegel, Anwalt und Professor für Medizinrecht. Juristisch ist nämlich nicht genau definiert ab welchem Alter ein Mensch in Deutschland als einsichts und damit einwilligungsfähig gilt. "Es gibt eben 14 bis 16-Jährige, die nie erwachsen werden und dafür Zwölfjährige mit einem brillantem Verstand, die die Risiken einer Corona-Impfung sehr wohl einschätzen können", sagt Schlegel. Der Maßstab der Einwilligungsfähigkeit in eine Impfung liege daher immer im Einzelfall.

Wenn ein Kind oder Jugendlicher sich gegen den Willen der Eltern gegen Covid-19 impfen lassen will, muss ein Arzt also immer prüfen ob der- oder diejenige in der Lage ist, die medizinischen Risiken dahinter zu verstehen. Sonst drohen ernsthafte Konsequenzen.

Kinder können sich in bestimmten Fällen gegen Corona impfen lassen – ohne Erlaubnis der Eltern. Sowohl Kinderärzte als auch Juristen empfehlen dies jedoch nicht. (Symboldbild)
Kinder können sich in bestimmten Fällen gegen Corona impfen lassen – ohne Erlaubnis der Eltern. Sowohl Kinderärzte als auch Juristen empfehlen dies jedoch nicht. (Symboldbild) © imago-images.de | MiS

Wer die Impfung nicht versteht, bekommt sie nicht

Denn juristisch gesehen ist jeder medizinische Eingriff eine Körperverletzung. Dies bleibt aber ohne Konsequenzen, wenn Arzt und Patient sich über den Eingriff einig sind und somit ein Behandlungsvertrag zustande kommt. "Ein derartiger Behandlungsvertrag kann natürlich nur mit der Einwilligung des Patienten zustande kommen", erklärt Schlegel. Es ist wiederum gesetzliche Vorschrift, dass eine solche Einwilligung nur gültig ist, wenn der Arzt den Patienten vorher über die Behandlung aufklärt. Versteht der Patient die Aufklärung nicht, kann es keine Einwilligung geben und damit auch kein Behandlungsvertrag. Was dann übrig bleibt ist die Körperverletzung.

Daher muss die Aufklärung auch schriftlich genau dokumentiert werden. "Wenn der Arzt weiß, dass es sich bei den Eltern des Kindes oder Jugendlichen um Impfgegner handelt, muss er das ebenfalls dokumentieren", sagt Schlegel. Denn der minderjährige Impfwillige muss neben dem Verständnis auch begründen, warum er sich impfen lassen will und warum er das gegen den Willen der Eltern tut.

"Was kein Grund sein kann, ist der Wunsch in sein altes Leben mit Freunden oder Besuchen im Freibad zurückkehren zu wollen", sagt Schlegel. Zählen würden nur medizinische Begründungen, wie die Sorge sich mit Corona zu infizieren, daran zu erkranken oder andere anzustecken. "Diese Sorge selbst zu erkranken ist ja berechtigt, denn auch wenn es nur sehr wenige Todesfälle gab, so sind sie dennoch bei Teenagern aufgetreten."

Ärzte sind nicht verpflichtet gegen Corona zu impfen

Doch selbst wenn ein Kind oder Jugendlicher verstehen und begründen kann, warum er sich gegen den Willen der Eltern impfen lassen will: Die Impfung bekommt er deswegen nicht automatisch. "Jeder Arzt hat die Freiheit in diesem Fall eine Impfung abzulehnen", sagt der Berliner Kinderarzt Jakob Maske. Der Goldene Weg sei immer die Eltern mit ins Boot zu holen und das gelinge in der Regel auch.

Schlegel würde Ärzten ebenfalls davon abraten, das Wagnis einzugehen, gegen den Willen der Eltern zu impfen. Schließlich handele es sich dabei nicht um eine Notfallbehandlung. "Das kann auch warten, bis der jugendliche Patient die Sache mit den Eltern geklärt hat."

Was aber wenn das fruchtlos bleibt? "Ärzte sollten im Extremfall sagen: 'Sorry liebe Eltern, die Entscheidung über die Corona-Impfung liegt bei ihrem Kind'", rät Schlegel. Alternativ könne bei hartnäckigem Streit auch ein Jugendrichter als Entscheider hinzugezogen werden.