Berlin. Der Verfassungsschutz stuft die Corona-Gegenbewegung „Querdenker“ nicht als „Beobachtungsobjekt“ ein – trotz rechtsextremer Tendenzen.

Sind die „Querdenker“ nur eine Sammelbewegung von Corona-Kritikern ? Oder sind sie eine Gruppierung mit extremistischen Strukturen? Mit dieser Frage wird sich am Donnerstag das Parlamentarische Kontrollgremium des Landtags in Baden-Württemberg befassen.

In einer Sondersitzung will es beraten, welches Gefahrenpotenzial von der Bewegung ausgeht. Am Wochenende war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz die Bewegung derzeit nicht als „Beobachtungsobjekt“ einstuft. Lesen Sie auch: Corona-Demos: „Querdenker“ wollen an Silvester nach Berlin

Doch immer mehr Politiker und Experten warnen davor, die Gefahr zu unterschätzen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte am Dienstag an, die Corona-Proteste stärker ins Visier nehmen zu wollen. Die Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien in der Pandemie leiste „radikalen Kräften Vorschub und ist geeignet, die demokratische Willensbildung zu manipulieren“.

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg: „Wer als Demokrat dort mitläuft, schadet dem eigenen Anliegen.“
Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg: „Wer als Demokrat dort mitläuft, schadet dem eigenen Anliegen.“ © picture alliance/dpa | Bernd Weissbrod

„Querdenker“ gegen Einschränkungen von Grundrechten

Gegründet hat die Bewegung der Stuttgarter IT-Unternehmer Michael Ballweg. Um gegen die Einschränkungen von Grundrechten durch die Corona-Maßnahmen zu protestieren, wie er angab. Zu den ersten Demonstrationen im April kamen nur ein paar Hundert Menschen. Inzwischen sind es Tausende, mitunter Zehntausende. Deutschlandweit haben sich mehrere Ableger gegründet.

Bei seinen Bühnenauftritten betont der freundlich wirkende Ballweg stets, mit Extremisten habe man nichts zu tun. Doch daran gibt es inzwischen erhebliche Zweifel. Denn längst sind es nicht mehr vereinzelte Reichsbürger oder Rechtsextreme mit Reichsflagge, die sich unter den Demonstranten finden. Lesen Sie auch: „Querdenken“-Aktivistin sieht sich als neue Sophie Scholl

Ein Drittel der Demonstranten rechtsextremen

  • Nach Einschätzung des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul (CDU) lässt sich inzwischen rund ein Drittel der „Querdenker“-Demonstranten der rechtsextremen Szene zuordnen.
  • Im November traf sich Michael Ballweg Medienberichten zufolge heimlich mit dem vorbestraften Reichsbürger Peter Fitzek im thüringischen Saalfeld.
  • Auf „Querdenker“-Demos werden regelmäßig Vergleiche zwischen den Einschränkungen der Corona-Politik und den Repressalien gegen die Juden im Nationalsozialismus gezogen. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, nannte dies „abscheulich“, sprach von „Volksverhetzung“
  • In Braunschweig meldete die Initiative „Querdenken 53“ für den 9. November um 18.18 Uhr eine Demonstration an. Das ist der Jahrestag der Reichspogromnacht , die Zahl 18 in rechtsextremen Kreisen eine Chiffre für die Anfangsbuchstaben Adolf Hitlers.

Tausende protestieren gegen Corona-Anordnungen in Berlin

weitere Videos

    Antisemitismusbeauftragter: „Viele Menschen haben sich täuschen lassen“

    Für den Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume , ist klar: „Die treibenden Kräfte in dieser Bewegung wollen das demokratische System aus den Angeln heben. Daraus machen sie auch keinen Hehl.“ Lesen Sie auch: Verfassungsschützer nehmen Corona-„Querdenker“ ins Visier

    So habe Gründer Ballweg bei einem Auftritt in Berlin den Slogan der antisemitischen QAnon-Bewegung zitiert und eine „verfassungsgebende Versammlung“ ausgerufen. Natürlich sei nicht jeder, der mitlaufe, radikal, sagt Blume: „Viele Menschen haben sich täuschen lassen. Aber nicht erst seit den Vorfällen in Berlin ist klar, dass diese Bewegung antisemitisch und demokratiefeindlich ist. Wer als Demokrat bei den Querdenkern mitläuft, schadet dem eigenen Anliegen.“

    Bewegung „am Scheideweg“

    Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Georg Maier (SPD), sieht die Bewegung „am Scheideweg“. „Sie muss jetzt deutlich machen, dass es sich dabei um eine demokratisch gesinnte Bewegung handelt“, sagte Maier unserer Redaktion. Lesen Sie auch: Corona: Alles wichtige zu Symptomen, Verlauf, Übertragung

    Kommentar : Die „Querdenker“ in Deutschland sind eine Minderheit

    Dafür müsse sie sich von demokratiefeindlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern konsequent distanzieren: „Es reicht nicht, zu Beginn einer Versammlung aufzurufen, dass diese die Veranstaltung verlassen sollen. Man muss das auch umsetzen. Verfassungsfeindliche Symbole dürfen nicht geduldet werden.“

    Gewaltsame Ausschreitungen auf Anti-Corona-Demo

    weitere Videos

      Querdenken: Hass und Hetze im Internet

      Die Bewegung müsse auch deutlich mehr unternehmen, um Hass und Hetze auf ihren Internetkanälen und Chatforen zu unterbinden: „Ich sehe die Initiatoren dieser Foren in der Pflicht, bei gesetzwidrigen Posts von sich aus Strafanzeige zu stellen und mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren, um der Täter habhaft zu werden.“ Maier kritisierte auch die Mitnahme von Kindern auf „Querdenker“ -Treffen: „Es gehört zur elterlichen Fürsorgepflicht, Kinder nicht einer solchen Gefahrensituation auszusetzen.“

      Nach Ansicht des CDU-Innenexperten Patrick Sensburg , Mitglied des Parlamentarischen Kontrollausschusses im Bundestag, ist die Bewegung inzwischen maßgeblich „von Rechtsextremen, Reichsbürgern, Antisemiten und absurden Verschwörungsmythikern“ geprägt.

      Sensburg fordert: „Die Verfassungsschutzämter sollten die Querdenker-Zellen daher noch intensiver in den Blick nehmen, um vor ihrer Gefahr faktenreich warnen zu können.“ „Querdenker“-Initiator Michael Ballweg hat bislang alle Vorwürfe antisemitischer und extremistischer Tendenzen in seinen Reihen zurückgewiesen.