Berlin. Die Unterhändler für eine mögliche Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP reden viel und sagen wenig. Ernsthafte Verhandlungen brauchen Vertraulichkeit, so die Begründung.

Über die aktuellen Gespräche von SPD, Grünen und FDP ist vor allem bekannt, was sie nicht sein sollen: Eine Wiederholung der spektakulär gescheiterten sogenannten Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren.

Als CDU/CSU, FDP und Grüne nach der Wahl 2017 über ein mögliches Bündnis verhandelten, saß die Öffentlichkeit praktisch mit am Tisch.

"Dass per Liveticker aus vertraulichen Gesprächen berichtet wird", wie es Grünen-Chefin Annalena Baerbock formuliert hat, das soll sich auf keinen Fall wiederholen.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, meint: "Vertrauen ineinander ist das wichtigste Kapital in der Politik."

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erinnert sich am Mittwoch im "Frühstart" der Sender RTL und ntv an diese Gespräche, an denen seine Partei gar nicht beteiligt war: "Alles wurde öffentlich dokumentiert, öffentlich kommentiert - Streitpunkte, Gemeinsamkeiten."

Beton statt Balkon

Die Bilder plaudernder Unterhändler mit Weinglas in der Hand auf dem Balkon des schicken Abgeordnentenclubs Parlamentarische Vertretung wurden damals zum Symbol für mehr Schein als Sein. Beton statt Balkon ist hingegen das Motto der Unterhändler einer möglichen Ampel-Koalition. Die Gesprächsrunden finden in gesichtslosen Büro- und Messegebäuden statt.

Eine gewisse Lust an der inhaltsleeren Kommunikation ist den Parteivertretern anzumerken, die beherzt wie selten zu Sprachbildern greifen: Von Schrauben ist da die Rede, von Klippen, Hürden und Brücken. Nur eben nicht von Gesprächsthemen.

Das Interesse der Parteien an Vertraulichkeit und das der Öffentlichkeit an Transparenz prallen frontal aufeinander. Auflösen lässt sich dieser Konflikt nicht, sagt Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement an der Universität Leipzig. "Es ist völlig berechtigt, wenn Journalisten hadern mit der augenblicklichen Situation. Die Öffentlichkeit hat schließlich ein legitimes Interesse daran zu erfahren, was hier geschieht", sagt er. Gleichzeitig hätten die Parteien ein nicht minder berechtigtes Interesse an Diskretion.

"Wenn man die Verhandlungen behindern wollte, wäre die Weitergabe halbgarer Informationen aus einem frühen Stadium an die Öffentlichkeit ein naheliegender Weg", stellt Hoffmann fest. "Dass die Beteiligten es schaffen, Vertraulichkeit zu wahren, hat nicht nur symbolischen Wert. Es beweist den jeweiligen Verhandlungspartnern auch, dass man verlässlich ist." Das sei aber nicht mit Einigkeit zu verwechseln - programmatisch lägen die Parteien in einzelnen Punkt schließlich weit auseinander.

Ausloten von Spielräumen

Doch was macht Diskretion überhaupt so wünschenswert aus Sicht der Beteiligten? Beinfreiheit, dürfte die Antwort lauten. Schon der Versuch, Spielräume für eine mögliche gemeinsame Regierung auszuloten, verlangt Rot, Gelb und Grün teils schmerzhafte Kompromisse ab. Jeder muss Lieblingsprojekte beerdigen - und dafür im Gegenzug Bedingungen stellen, über deren Erfüllung aber noch verhandelt werden muss.

"Im Vertrauensraum können Lösungen ausgelotet werden, kann man mal einen halben Schritt auf den anderen zugehen und so neue Ideen entwickeln - ohne sich gleich öffentlich erklären zu müssen", sagt Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner dazu. Ein Kompromiss, der vorzeitig öffentlich wird, kann sich im gleichen Moment auch erledigen.

Am Freitag soll das beredte Schweigen vorerst ein Ende finden: Dann wollen die drei Parteien nach derzeitiger Planung eine Zwischenbilanz präsentieren. Auf dieser Grundlage sollen die jeweiligen Gremien über die Aufnahme möglicher Koalitionsverhandlungen entscheiden - also von Gesprächen mit dem erklärten Ziel, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Das geht nicht ohne inhaltliche Aussagen.

Dass sich eine dermaßen schmallippige Kommunikationsstrategie danach erneut über Wochen hinweg durchhalten lässt, ist nicht zu erwarten. "Aus Sicht von Fachpolitikern kann es sich lohnen, Details durchzustechen und so Druck auszuüben auf die Unterhändler", erklärt Hoffmann. Zumal die Parteien auch ihre eigenen Leute auf dem Laufenden halten müssten.

Die frühe Schweigsamkeit dürfte sich für die Spitzen-Unterhändler der Parteien aber später auszahlen, glaubt er: "Es ist wichtig, dass die Hauptakteure jetzt eine gemeinsame Vertrauensbasis etablieren. Wenn es dann später unvermeidlich zu Durchstechereien kommt, hat sich immerhin die Kernmannschaft nicht sofort im Verdacht."

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