Berlin. Historisches im Bundestag: Gigantische Rettungspakete auf Pump, eingeschränkte Bürgerrechte. Die Kanzlerin muss bald mehr erklären.

Es war ein bewegender Moment. In historischer Stunde erhoben sich alle Abgeordneten des Bundestages und klatschten. Applaus für die Helden und Heldinnen des Alltags. Für Ärzte, Krankenschwestern, Polizisten, Kassiererinnen. Die können sich für die warmen Worte zwar nichts kaufen. Aber dass sich das Parlament vor denen verneigt, die das Land am Laufen halten, ist ein wichtiges Zeichen, wie stark Staat und Bürger für den Moment auf die gefährliche Krise reagieren. Corona ist ein Crashtest für die Demokratie.

Die Herausforderung ist so groß wie nach dem Zweiten Weltkrieg oder der Wiedervereinigung. Genauso stark wie die Solidarität ist die Angst. Die Angst um Eltern und Großeltern, die einst nach 1945 aus den Trümmern die Grundsteine für das Wirtschaftswunder legten – viele von ihnen werden absehbar auf einer Intensivstation um ihr Leben kämpfen müssen. Die Angst um den Job. Die Angst um die Zukunft der Kinder.

Corona-Staatshilfen: Wie kriegt man die Zahnpasta wieder in die Tube?

Bundesregierung, Länder und Kommunen müssen nach dem beeindrucken Kraftakt mit Rettungspaketen von insgesamt 1400 Milliarden Euro jetzt anfangen, an einer Exit-Strategie zu arbeiten. Ex-Finanzminister Peer Steinbrück sagte in der großen Bankenkrise zu den Staatshilfen, das Problem sei, die Zahnpasta wieder zurück in die Tube zu kriegen.

Von drei Monaten war in der von großer Einigkeit getragenen Bundestagsdebatte die Rede. Solange könnte der teilweise Corona-Shutdown von Europas größter Volkswirtschaft dauern. Vielleicht geht es schneller. Vielleicht auch nicht. Teuer wird es in jedem Fall.

Hunderte von Milliarden Schulden müssen zurückgezahlt werden. Finanzmärkte sind erbarmungslos. Das ist eine riesige Last, die unsere Kinder und Enkelkinder tragen müssen. Die Hoffnung, Deutschland könne nach Corona ein besseres Land sein, ist altruistisch verständlich. 95 Prozent der Deutschen stehen hinter den drastischen Maßnahmen des Staates. Machen wir uns nichts vor. Die Stimmung kann kippen.

Auch in der Flüchtlingskrise kippte die Stimmung – die AfD wurde groß

Chefreporter Tim Braune.
Chefreporter Tim Braune. © Funke Foto Services | Reto Klar

Am Münchner Hauptbahnhof wurden 2015 Syrien-Flüchtlinge bejubelt. Aus „Refugees Welcome“ wurde dann – auch aufgrund von Fehlern der Politik – ein Konjunkturprogramm für die AfD. Die zwangsläufigen Einsparungen nach Corona werden erfahrungsgemäß am heftigsten Soziales und Kultur treffen. Tausende Läden in Handel und Gastronomie werden in die Knie gehen. Es wird wieder mehr Arbeitslose geben. Millionen werden auch künftig im Niedriglohnsektor malochen – trotz des Beifalls von den Balkonen und im Bundestag. Gute Löhne und Wohlstand müssen vor dem Verteilen erwirtschaftet werden.

So muss in absehbarer Zeit der Tag kommen, an dem die Kanzlerin den Bürgern einen Ausstiegsplan präsentiert: Wir fahren Ausgeh- und Kontaktsperren stufenweise zurück, weil uns sonst das ganze Land um die Ohren fliegt. Am Mittwoch verfolgte Angela Merkel in der Corona-Quarantäne ihrer Wohnung mit Blick auf das Pergamon-Museum die Reden im Bundestag. Für Beobachter und sie selbst war es sicher ein komisches Gefühl, in diesen schicksalhaften Stunden nicht auf der Regierungsbank zu sitzen.

Merkel muss das Land mitnehmen und darf Fehler nicht verschweigen

Auf Merkel wird es entscheidend ankommen. Sie muss: erklären, erklären, erklären. Mit ihrer überzeugenden TV-Ansprache hat sie einen ersten Schritt gemacht, dass sie aus ihren Versäumnissen in der Flüchtlingskrise gelernt hat. Viele weitere müssen folgen. Ein lapidares „Wir schaffen das“ wäre für die in der eigenen Wohnung einkasernierte Bevölkerung auf Dauer zu wenig. Was sie im Sommer 2015 verpasste, neben Humanität schonungslos über Risiken der Einwanderung zu sprechen, darf sich nicht wiederholen.

Und der Bundestag darf in dieser Corona-Notlage Kanzlerin, Bund und Ländern – bei allem Vertrauen und Anerkennung für die herausragenden Leistungen der Beamten – keinen Blankoscheck ausstellen. Finanzminister Olaf Scholz hat die Bazooka geladen. Mit 1400 Milliarden Euro an Garantien und Steuergeld. Den Waffenschein dafür hat ihm der Bundestag ausgestellt.

Eingeschränkte Freiheits- und Bürgerrechte sind keine Lappalie

Jeder einzelne der 709 frei gewählten Abgeordneten muss nun mit wachsamen Auge das Krisenmanagement und die Milliardenhilfen kontrollieren. Notfalls Alarm schlagen, auch gegen die eigene Parteilinie. Die Corona-Notgesetze sind auf ein Jahr befristet. Wo es nur geht, sollten sie schneller beendet werden. Die Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten ist keine Lappalie.

Corona darf den Parlamentarismus nicht gefährden, für deren Errichtung und Verteidigung in Deutschland einst sehr viele Menschen ihr Leben gelassen haben. In der Finanzkrise waren es die Banken, die „too big to fail“ waren – zu groß zum Scheitern. Jetzt geht es um die Demokratie in Pandemiezeiten. Auch sie ist too big to fail. Die Demokratie war, ist und muss unser höchstes Gut bleiben.

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