Brüssel. Die Nato ist auf Land, in der Luft, zu Wasser und im Internet unterwegs. Nun stößt sie auch in ungeahnte Weiten vor: in den Weltraum.

Beginnt der nächste große Krieg im Weltraum? Deutschland und die anderen Nato-Staaten bereiten sich auf das lange Undenkbare vor: Ein feindlicher Angriff auf strategisch wichtige Satelliten im Weltraum könnte das westliche Bündnis gefährlich schwächen – ohne Navigation und Kommunikation wären Militäreinsätze kaum möglich, das öffentliche Leben wäre gelähmt.

Militärexperten in den USA sprechen bereits von der Gefahr eines neuen Pearl Harbor, also eines vernichtenden Überraschungsangriffs wie im Zweiten Weltkrieg durch Japan. Jetzt will die Nato reagieren: Noch in diesem Jahr wird das Bündnis den Weltraum zum eigenständigen Operationsgebiet erklären.

Eine der Konsequenzen wird nach Informationen unserer Redaktion die Abschreckung auch im All sein: Ein Angriff auf Satelliten eines Nato-Staates würde unter Umständen den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags auslösen – und könnte wie bei Attacken auf der Erde zum Krieg führen.

Es ist ein großer Sprung für die 70 Jahre alte Allianz, er beginnt an diesem Mittwoch: Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel werden die deutsche Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ihre Kollegen zunächst sehr allgemeine Grundsätze der neuen, bislang als streng vertraulich behandelten Weltraumstrategie beschließen.

Nato will nach Boden, Luft, See und Internet auch Weltall überwachen

Auf dem Nato-Gipfel im Dezember in London sollen dann weitreichendere Beschlüsse folgen: Wird der Weltraum wie geplant zum Operationsgebiet erklärt wie bisher Boden, Luft, See und Cyberraum, öffnet das den Militärs Finanz-, Personal- und Planungsressourcen. Nachgedacht wird bereits über die Verlagerung einer erneuerten Version des Frühwarn- und Leitsystems AWACS in den Orbit. Mit der Strategie sollen potenzielle Angreifer abgeschreckt werden – doch könnte die Nato damit auch näher in die Arena neuer Großmacht-Rivalitäten rücken.

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Der Kurs dürfte beim Dezember-Gipfel

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entgegenkommen, der in Amerika bereits eine Teilstreitkraft, Space Force, für den Weltraum plant. Das Verteidigungsbündnis würde mit seiner Ansage deutlicher als bisher die aufstrebende Weltraummacht China in Szenarien einbeziehen: Bislang hat die Nato kaum Berührungspunkte zur Volksrepublik, die Trump längst als den großen strategischen Rivalen begreift.

Die Planungen in der Brüsseler Bündnis-Zentrale sind die Reaktion auf die rapide Aufrüstung im Weltraum parallel zu einer verschlechterten Sicherheitslage unten auf der Erde. 2070 aktive Satelliten sind derzeit unterwegs, alle zwei, drei Tage kommt ein neuer hinzu; ein Viertel bis ein Drittel der Trabanten dürften nach Expertenschätzungen militärischen Zwecken dienen. Noch dominieren die USA, ihnen gehören allein über 850 Satelliten.

China holt bei Satelliten massiv auf

China holt aber inzwischen massiv auf, hat derzeit etwa 290 Satelliten, Russland 152. Aber auch andere Staaten mit Weltraumprogrammen sind beim neuen Wettlauf dabei: Israel, Japan, Nordkorea, Indien und Iran, in Europa vor allem Frankreich, Großbritannien und Italien. Über Satelliten läuft die Wetterbeobachtung, die zivile und militärische Navigation etwa über GPS, die Frühwarnung, die Radarüberwachung, die Kommunikation und Aufklärung bei Militäreinsätzen.

„Das Weltall ist Teil unseres täglichen Lebens“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag in Brüssel. Es könne für friedliche Zwecke genutzt werden, aber genauso für eine Aggression. „Es ist wichtig, dass wir wachsam sind.“

Angesichts der zunehmend ehrgeizigen Weltraumprogramme registrieren Strategen in der Allianz, wie verletzlich die Mitgliedstaaten geworden sind.

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    Das könnte, heißt es unter Nato-Diplomaten, zum Problem werden, wenn es zu ernsten Spannungen mit China oder Russland kommen sollte. Schon seit 2007 ist klar, dass Satelliten nicht mehr sicher sind: Damals demonstrierte China seine Fähigkeiten, indem es einen seiner ausgedienten Wettersatelliten in 860 Kilometer Höhe mit einer Rakete abschoss. Die USA zogen mit einer ähnlichen Demonstration ein Jahr später nach.

    Werden bald Laser-Waffen im All stationiert?

    Experten warnen auch vor Anti-Satelliten-Waffen im Orbit, die dort jahrelang stationiert bleiben könnten, bis sie zum Angriff auf andere Satelliten gerichtet werden. Als Bedrohung gelten Laser, Mikrowellen oder elektromagnetische Strahlung. Selbst technologisch weniger fortgeschrittenen Staaten gelingt das „Jamming“, das Stören der Funkwellen von Satelliten-Signalen. Hacker schließlich könnten Computersysteme von Bodenstationen angreifen und so die Kontrolle über Satelliten erlangen.

    Der US-Militärgeheimdienst warnt, sowohl Russland als auch China entwickelten Fähigkeiten für Anti-Satellitenraketen und Laserwaffen, „die Systeme der USA und von Verbündeten bedrohen“. Die Weltraum-Dominanz Washingtons ist in Gefahr. Die USA reagieren längst.

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    Sie soll die eigene Technik sicherer gegenüber Angriffen machen. „Das Risiko eines Pearl Harbor im Weltraum wächst täglich“, heißt es in einem Report des amerikanischen Centers für Strategische und Internationale Studien. „Ein solcher Krieg würde nicht Jahre dauern – er wäre am ersten Tag vorbei. Ohne Satelliten könnten wir kaum zurückschlagen, wir wüssten nicht einmal, wer uns angegriffen hat.“ Doch es geht den USA um mehr, Trump erklärt: „Es muss eine amerikanische Dominanz im All geben.“

    Verboten wären nur Massenvernichtungswaffen im All

    Dazu arbeiten die USA auch an Waffen, die im Weltall stationiert werden sollen: Teilchenstrahlenwaffen, später vielleicht auch Laserwaffen zur Raketenabwehr. Manches erinnert an die „Star Wars“-Pläne des einstigen US-Präsidenten Ronald Reagan. Deshalb ist auch unklar, was daraus wirklich wird, technologisch und wegen der immensen Kosten. Völkerrechtlich verboten wäre nur die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im All; gegen weitergehende Verbote sperren sich die USA.

    Der Militärexperte Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik warnt, die USA forcierten mit ihren Ankündigungen und Milliardeninvestitionen „die Ängste Chinas und Russlands“. Vor dem Hintergrund der US-Ambitionen werden noch heftige Diskussionen unter den Nato-Mitgliedstaaten über die gemeinsame Weltraumstrategie erwartet. Öffentliche Debatten sind tabu, die Strategie-Entwürfe unterliegen der Geheimhaltung. Doch Experten versichern, die Nato-Staaten würden ganz sicher nicht einer Militarisierung des Alls den Weg bereiten. Ein Nato-Diplomat sagt: „Das All als Kriegsschauplatz will niemand. Aber auf die neuen Gefahren müssen wir uns einstellen.“