Berlin. 1200 Euro mehr im Monat – und das einfach so? Was das bedingungslose Grundeinkommen mit Menschen macht, untersucht eine neue Studie.

  • Insgesamt 1500 Probanden sollen 1200 Euro im Monat geschenkt bekommen – ein Geschenk, das nicht an Bedingungen geknüpft ist
  • Mit einer Studie will das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) herausfinden, welche Auswirkungen das bedingungslose Grundeinkommen auf Menschen hat
  • Finanzminister Olaf Scholz hat eine klare Haltung zum Thema und findet im Gespräch mit unserer Redaktion deutliche Worte
  • Können Sie sich noch für das Grundeinkommen bewerben? Wie funktioniert die Bewerbung?

Der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle wird hierzulande seit Jahren diskutiert. Die Idee dahinter ist, jedem Bürger unabhängig von seiner finanziellen Situation eine Art staatlich finanziertes Gehalt zu zahlen und damit auch Sozialleistungen wie Hartz IV und die Grundsicherung im Alter zu ersetzen.

Während sich letztere Leistungen an Bedürftigkeit orientieren, soll das bedingungslose Grundeinkommen auch Gutverdienern zustehen. Es wäre damit ein Bruch mit derzeitigen Grundsätzen des deutschen Sozialstaats. Eine neue Studie, die Teilnehmern 1200 Euro monatlich verspricht, soll nun neue Antworten geben. Der Andrang ist groß. Lesen Sie hier: Machen 1200 Euro bedingungsloses Grundeinkommen wirklich glücklich?

Grundeinkommen: So teuer wäre es für den Staat

Das Grundeinkommen hat viele Befürworter und Gegner. Kritiker sagen, dass eine solche Leistung den Anreiz zur Aufnahme eines Jobs verringere und die Gemeinschaft zu viel Geld koste. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sprach sich im Gespräch mit unserer Redaktion gegen die Idee aus.

„Das wäre Neoliberalismus. Und wenn man fair und richtig rechnet, ist das auch unbezahlbar“, sagte der Bundesfinanzminister. Er habe die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens schon immer für falsch gefunden: „Das würde viele Errungenschaften des Sozialstaates wie die Renten- oder die Arbeitslosenversicherung gefährden.“ Lesen Sie hier das ganze Interview: Olaf Scholz: „Die Union gehört auf die Oppositionsbank“

  • Rein rechnerisch würde ein Grundeinkommen von 1000 Euro für knapp 83 Millionen Bundesbürger fast eine Billion Euro im Jahr kosten.
  • Die gesamten Staatsausgaben liegen bisher laut Statistischem Bundesamt bei knapp 1,5 Billionen Euro im Jahr.

Die Befürworter argumentieren hingegen, dass der Staat nicht mehr als Kontrolleur oder Bestrafender aufträte. Das Grundeinkommen billige den Bürgern Souveränität in der Lebensgestaltung zu. Unklar ist, wer von beiden Recht hat. Denn das Problem bei der Sache ist: Es gibt kaum praktische Erfahrungen zur Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens.

120 Teilnehmer bekommen monatlich 1200 Euro – drei Jahre lang

In Finnland und Kanada gab es zwar Grundeinkommen-Experimente dazu, allerdings lassen sich die gewonnene Erkenntnisse nicht ohne weiteres auf Deutschland und sein vielschichtiges Sozialsystem übertragen.

Um mehr gesichertes Wissen zu erhalten, beginnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gemeinsam mit dem Verein „Mein Grundeinkommen“ sowie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und der Universität zu Köln eine erste Langzeitstudie. Lesen Sie auch: Grundeinkommen: Studie in Finnland zieht positives Fazit

Über einen Zeitraum von drei Jahren sollen 120 Teilnehmer ab Frühjahr 2021 monatlich 1200 Euro erhalten. Da die Zahlung nicht an Bedingungen geknüpft ist, können Studienteilnehmer unbegrenzt Geld dazuverdienen.

Der Verein teilte am Freitag mit, dass die zuvor veranschlagte Mindestzahl von einer Million Bewerbungen bereits 70 Stunden nach Freischaltung der Internetseite erreicht worden sei. Der bisher auf 120 Testpersonen beschränkte Teilnehmerkreis solle nun vergrößert werden. Um wieviele Plätze hänge vom Spendenaufkommen bis zum 10. November ab. Bis dahin sei eine Bewerbung zur Studienteilnahme weiterhin möglich.

So finanziert sich die Grundeinkommen-Studie

Insgesamt werden 1500 Probanden gesucht. Jene 1380 von ihnen, welche kein Grundeinkommen erhalten, dienen laut DIW als Vergleichsgruppe.

  • Damit wollen die Forscher sichergehen, dass Veränderungen bei den Empfängern tatsächlich auf das ausgezahlte Grundeinkommen zurückzuführen sind.
  • Die Summe von 1200 Euro orientiert sich den Angaben zufolge an der Armutsgefährdungsgrenze und damit oberhalb jenes Betrag, ab welchem die Möglichkeiten zur Lebenserhaltung und Teilnahme an der Gesellschaft als eingeschränkt gelten.
  • Finanziert wird das Projekt über Spenden von 140.000 privaten Geldgebern.

V.l.n.r.: Jürgen Schupp, Senior Research Fellow des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Susann Fiedler, Leiterin Erforschung von Gemeinschaftsgütern am Max-Planck-Institut, Janine Busch, Projektleiterin Pilotprojekt „Mein Grundeinkommen
V.l.n.r.: Jürgen Schupp, Senior Research Fellow des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Susann Fiedler, Leiterin Erforschung von Gemeinschaftsgütern am Max-Planck-Institut, Janine Busch, Projektleiterin Pilotprojekt „Mein Grundeinkommen", und Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins „Mein Grundeinkommen". © dpa | Wolfgang Kumm

Wie ändert sich das Leben der Teilnehmer durch das Grundeinkommen?

„Wir wollen herausfinden, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen Menschen und Gesellschaft verändert. Wir wollen wissen, was es mit Verhalten und Einstellungen macht und ob das Grundeinkommen helfen kann, mit den gegenwärtigen Herausforderungen unserer Gesellschaft umzugehen“, sagt Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins „Mein Grundeinkommen“.

DIW-Forscher Jürgen Schupp betont: „Diese Studie ist eine Riesenchance, um die uns seit Jahren begleitende theoretische Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen in die soziale Wirklichkeit überführen zu können.“

Es gebe zwar bereits weltweit wissenschaftliche Studien zum Thema, aber ihre Erkenntnisse seien begrenzt, denn sie seien „entweder veraltet, nicht verallgemeinerbar oder untersuchen das Grundeinkommen nur für Erwerbslose“.

Die Wissenschaftler wollen durch regelmäßige Befragungen der Teilnehmer herausfinden, wie sich ihr Alltag durch das Geld verändert.

  • Werden sie träge oder engagieren sie sich mehr im Ehrenamt?
  • Nutzen sie die finanziellen Spielräume zur Umsetzung neuer Geschäftsideen oder fahren sie mehr in Urlaub? Legen sie das Geld auf die hohe Kante oder geben sie es mit vollen Händen aus?
  • Wo liegen die Unterschiede zwischen Alleinstehenden und Familien, Alten und Jungen, Frauen und Männern?

Die Forscher richten ihren Blick unter anderem auf das Arbeitsleben der Probanden, auf die Finanzen, den Bereich Familie und soziale Kontakte sowie auf mögliche psychische Veränderungen. Auch interessant: Hartz IV und Corona: Deshalb sorgt die Regelsatz-Berechnung für Kritik

Schupp sagte unserer Redaktion, untersucht würden neben Verhaltensänderungen und Handlungen auch das Empfinden der Menschen. „Es geht darum: Was macht das Geld aus den Menschen, wenn sie es bedingungslos und zur freien Verwendung bekommen?“ Eine Frage dabei sei etwa: „Verlieren Menschen in prekärer Beschäftigung durch das Grundeinkommen womöglich ihre Angst, den Job zu verlieren? Und schlafen sie deswegen besser, weil sie weniger Stress haben?“ Zur Analyse des Stresslevels sollen etwa Haarproben ausgewertet werden.

Wie funktioniert das Projekt bei Hartz IV-Empfängern?

Interessant dürfte für die Forscher auch sein, ob es Erkenntnisse gibt, wie sich der Arbeitsmarkt oder das Machtverhältnis zwischen Beschäftigen und Arbeitgebern verändert. Das gleiche dürfte gelten, was Zuwanderung aus anderen Ländern nach Deutschland anbelangt. Lesen Sie auch: Kindergeld: Wer den Corona-Kinderbonus früher als andere bekommt

Grundeinkommen-Studie: So kann man sich bewerben

Zur Teilnahme kann sich bewerben, wer seinen ersten Wohnsitz in Deutschland hat und mindestens 18 Jahre alt ist. Interessierte müssen unter www.pilotprojekt-grundeinkommen.de einen Online-Fragebogen ausfüllen. Am Dienstag wurde die Bewerbungsseite im Internet freigeschaltet.

Gefragt sind

  • Kontaktinformationen,
  • Angaben zu Geschlecht,
  • Kinderanzahl und
  • Anzahl der Personen im Haushalt sowie zu
  • Schulabschluss,
  • Nettoeinkommen und zum
  • Erhalt von Sozialleistungen.

Die Initiatoren wollten den Auswahl- und Auslosungsprozess starten, sobald eine Million Bewerbungen zusammengekommen sind. Dafür war Zeit bis zum 10. November eingeplant, nun jedoch meldeten sich bereits mehr als eine Million Interessierte binnen 70 Stunden. Nun soll die geplante Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhöht werden.

„Das Ziel in drei Monaten zu erreichen, schien vorgestern fast unmöglich. Nun haben die BewerberInnen das in 70 Stunden geschafft. Wir sind überwältigt“, sagte Michael Bohmeyer, Initiator des Vereins Mein Grundeinkommen. Die Bewerbung zur Studienteilnahme sei weiterhin und noch bis zum 10. November möglich.

„Mehr Bewerbungen heißt mehr Studienplätze – und das sorgt für verbesserte Forschung. Wir rufen nun verstärkt weitere AuftraggeberInnen aus der Zivilgesellschaft auf, die bereit sind, durch ihre Spenden zusätzliche Grundeinkommen zu finanzieren“, sagte Jürgen Schupp, Senior Research Fellow des DIW Berlin und Professor für Soziologie der FU Berlin.

Im Verlauf der Studie müssen Teilnehmer laut DIW jeweils sechs Onlinefragebögen ausfüllen, die unter anderem Fragen zur Erwerbstätigkeit, Zeitverwendung, dem Konsumverhalten, Werten und der Gesundheit enthalten. Das Geld wird den Angaben zufolge wie eine Schenkung an die Teilnehmer überwiesen. Bei Hartz IV-Empfängern wird der Betrag verrechnet.