Washington. Die Ex-First-Lady Michelle Obama prägt mit einem flammenden Appell den Auftakt des virtuellen Parteitages der Demokraten in den USA.

„Wählt Joe Biden, als ob unsere Leben davon abhängen!“ – Der Satz stammt fast wörtlich von Michelle Obama, acht Jahre lang First Lady der USA. Er prägte am Montagabend den Auftakt der wegen der Coronavirus-Epidemie ganz ins virtuelle Videokonferenz-Format verlegten Demokraten-„Convention“, die Joe Biden als Herausforderer von Präsident Donald Trump für die Wahl am 3. November festschreiben wird.

Wenig überraschend ließ der aktuelle Präsident die Aussagen der Demokraten nicht auf sich sitzen. Trump äußerte sich bereits auf seiner Lieblings-Plattform Twitter – und ließ dabei kein gutes Haar an der Regierung Barack Obamas und der Frau des Ex-Präsidenten.

Was man noch dazu wissen muss, hier auf einen Blick:

Parteitag der US-Demokraten: Wer ragte heraus?

Unter den prominenten Rednern ganz eindeutig Michelle Obama. Wer geglaubt hatte, die ehemalige First Lady und Gattin von Präsident Barack Obama könne ihren umjubelten Auftritt beim Parteitag 2016 in Philadelphia nicht toppen, sah sich getäuscht.

Damals hatte die zweifache Mutter Trump (ohne den Namen auch nur einmal zu erwähnen) mit einem Schlüsselsatz zur unwählbaren Person zu erklären versucht: „When they go low, we go high“. Frei übersetzt: Wenn die anderen (Trump und die Republikaner) sich nicht benehmen können, antworten wir mit Anstand und Stil.

Diesmal legte die erfolgreiche Buchautorin in einem sehr persönlichen, fast intimen Appell, der den Schlusspunkt des ersten Abends setzte, noch mehr Scharfsinn, Entschlossenheit und, ja, Gnadenlosigkeit an den Tag.

Was sagte Michelle Obama über Donald Trump?

„Wann immer wir auf der Suche nach Führung, Trost oder einem Anschein von Stabilität auf das Weiße Haus schauen, bekommen wir stattdessen Chaos, Spaltung und einen vollständigen Mangel an Mitgefühl”, sagte Michelle Obama und schlussfolgerte: „Donald Trump ist der falsche Präsident für dieses Land.”

Mit einer feinen Goldkette um den Hals, an der vier Buchstaben schimmerten (V-O-T-E – „Wählt!”), und authentischer Leidensmiene erklärte die in Umfragen beliebteste Frau in den USA, dass niemand darauf vertrauen sollte, dass die Dinge nicht „noch schlimmer“ werden können.

„Vertrauen Sie mir, das können sie. Und das werden sie, wenn wir bei dieser Wahl nichts ändern. Wenn wir irgendeine Hoffnung haben, dieses Chaos zu beenden, dann müssen wir für Joe Biden stimmen, als ob unsere Leben davon abhängen.”

Michelle Obama betonte, dass man sich im Kampf für einen Neubeginn weiterhin nicht auf das Niveau der anderen Seite herablassen dürfe. Aber: „To go high” bedeute nicht, zu lächeln, wenn man mit „Bösartigkeit und Unmenschlichkeit” konfrontiert werde. Sondern „entschlossen gegen den Hass aufzustehen”.

Wie warb Michelle Obama für Joe Biden?

Aus der achtjährigen Nahperspektive aufs Bidens Vizepräsident an der Seite ihres Mannes charakterisierte Obama den 77-Jährigen so: „Er hört zu. Er wird die Wahrheit sagen und der Wissenschaft vertrauen. Er weiß, was es braucht, um eine Wirtschaft zu retten, eine Pandemie einzudämmen und unser Land zu führen“. Joe Biden sei ein „zutiefst anständiger Mann“, der Kraft aus seinem Glauben ziehe.

Als jemand, der früh seine erste Frau und seine Tochter bei einem Unglück und später seinen ältesten Sohn durch eine tödliche Krankheit verloren haben, wisse Biden, „um die Qual, wenn am Tisch ein Stuhl unbesetzt ist“. Mit ihm bekomme Amerika einen Mann, der einem „guten Team“ vorstehen wird. „Er wird als jemand regieren, der ein Leben gelebt hat, in dem sich der Rest von uns wiedererkennen kann.“

Gab es andere Momente, die in Erinnerung bleiben?

Bernie Sanders, Senator aus Vermont und zu Beginn der parteiinternen Vorwahlen Bidens ärgster Konkurrent, versagte sich jeden Anflug von Kritik an der politischen Mittigkeit des Trumps-Herausforderers. Die Ikone des linken Flügels betonte glasklar, dass sein „alter Freund Joe“ viele Projekte und Langfristziele der Linken unterstütze.

Für November habe aber nur eines Priorität: Trump abzulösen, bevor dessen autoritäres Gebaren noch tiefere Wurzeln schlage. Dem müsse sich alles unterordnen. „Der Preis für ein Versagen ist einfach zu groß“, sagte Sanders, „als das man es sich vorstellen könnte.“

Sein uneingeschränktes Votum wurde parteiintern als unmissverständlicher Aufruf an das progressive Lager (und dessen Wähler) verstanden, sich hundertprozentig hinter Biden zu versammeln.

Bernie Sanders, demokratische Senator des Bundesstaates Vermont, während seiner Rede auf dem Parteitag der US-Demokraten.
Bernie Sanders, demokratische Senator des Bundesstaates Vermont, während seiner Rede auf dem Parteitag der US-Demokraten. © dpa | Uncredited

Welche Rolle spielte die Corona-Pandemie?

Unter den Dutzenden Statements, Testimonials und Kurz-Berichten aus persönlicher Betroffenheit normaler Menschen, die teils live kamen, teils als Video-Konserve, ragte die emotionale Abrechnung von Kristin Urquiza heraus. Ihr Vater Anthony habe den Versprechungen von Donald Trump geglaubt, wonach die Regierung das Coronavirus unter Kontrolle habe.

Darum sei er mit Kumpeln im Mai in eine Karaoke-Bar gegangen, berichtete Urquiza. Nur Wochen später starb der 65-Jährige an den Folgen der Virus-Erkrankung. „Seine einzige Vorerkrankung war, dass er Donald Trump vertraut hat, und dafür hat er mit seinem Leben bezahlt“, sagte die ihren Zorn nur spärlich verbergende Frau und erinnert an mittlerweile mehr als 170.000 Corona-Tote in Amerika. Lesen Sie dazu: Donald Trump wechselt seinen Corona-Kurs – alles Taktik?

Für sie steht fest: „Das Coronavirus hat deutlich gemacht, dass es zwei Amerika gibt: Das Amerika, in dem Donald Trump lebt, und das Amerika, in dem mein Vater gestorben ist.”

Parteitag der Demokraten: Was war ungewöhnlich?

Die Anwesenheit des politischen Gegners. Allen voran: John Kasich. Der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Ohio ist Republikaner. Als solcher trat er 2016 gemeinsam mit anderen gegen Donald Trump als Präsidentschaftskandidat an und verlor. Kasich, ein Real-Politiker, der in Deutschland wohl in den CDU-Sozialausschüssen beheimatet wäre, zählt seither zu den schärfsten Kritikern des Präsidenten.

„Ich bin mein ganzes Leben lang Republikaner“, sagte Kasich, „aber das Etikett kommt nach der Verantwortung für mein Land.” Letzteres sieht Kasich an einer Weggabelung, die er auch in seinem, Video als Kulisse für seinen Beitrag nutzte. Trump hetze „uns gegeneinander auf” und sei für das “wachsende Vitriol” im gesellschaftlichen Miteinander verantwortlich.

Warum werben sogar Republikaner für Biden?

Trump noch einmal zu wählen, würde „schreckliche Folgen“ zeitigen, warnte Kasich. Darum werde er, bei allen Meinungsverschiedenheiten, für Joe Biden stimmen. „Ein guter Mann, der uns vereinen kann, der uns helfen kann, wieder das Menschliche in uns zu sehen.“ Kolportierte Sorgen innerhalb des konservativen Lagers, Biden würde politisch „scharf links abbiegen”, seien falsch und überflüssig. „Ich kenne das Maß dieses Mannes, seine Erfahrung, Weisheit und seinen Anstand. Niemand schubst ihn herum.”

Neben Kasich wurde auch anderen Konservativen kurze Redezeit zugestanden: etwa Christine Todd Whitman, früher Gouverneurin von New Jersey, und der ehemaligen Hewlett Packard-Chefin Meg Whitman. Sie sagte: „Trump kann kein Geschäft führen, geschweige denn eine Ökonomie.“ Lesen Sie dazu: „Lincoln Project“ – Diese Republikaner wollen Trump stoppen

Von Carly Fiorina, Ex-Managerin und Trumps einzige weibliche Konkurrentin um die republikanische Kandidatur 2016, wird in naher Zukunft ebenso ein öffentliches Bekenntnis erwartet wie von Ex-Außenminister Colin Powell und Ex-Verteidigungsminister Chuck Hagel. Die ehemaligen Top-Republikaner hatten sich in der Vergangenheit negativ über Trump geäußert und mehr oder weniger direkt zur Wahl Bidens aufgerufen.

Videografik- Der lange Weg ins Weiße Haus

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    Hat das digitale Format ohne Live-Publikum funktioniert?

    Aus Sicht der Demokraten – ja. Ein zweistündiges, ungefiltertes Infomercial unter die Leute zu bringen, das ohne größere technische Pannen aus allen Teilen des Landes zusammengeführt wurde, so etwas hatte es so noch nie gegeben.

    Joe Biden, und darum allein ging es zum Auftakt, sollte – als Kontrastprogramm zu Donald Trump – in möglichst vielen Szenen mit möglichst vielen normalen Leuten gezeigt werden, um seine Empathie, seine Qualitäten als Versöhner und als Mensch mit Maß und Mitte zu unterstreichen. Als jemand, der zuhört, etwa der Mutter des von der Polizei getöteten Schwarzen Eric Garner, und dabei keinen Anspruch auf Allwissenheit zeigt.

    Die zwangsläufige Abwesenheit von echtem Live-Publikum führte dazu, dass nahezu keine Rede Passagen enthielt, die auf Zwischenapplaus und Gejohle getrimmt war. Das machte vieles klarer, direkter, kompakter und aus Sicht von US-Kommentatoren „ehrlicher“.

    Die großen TV-Sender hatten mit dem Format gleichwohl ihre Probleme. Fox News, dem Präsidenten sehr gewogen, übertrug weite Strecken gar nicht. Bei den Trump-kritischeren Kanälen CNN und MSNBC gab es immer wieder Unterbrechungen. Zahlen über die Zuschauer auf den verschiedenen Streaming-Plattformen im Internet werden im Laufe des Tages erwartet.

    Auch interessant: Vergleich: So wählen die Menschen in Deutschland und den USA

    Was macht Trump unterdessen?

    Der Präsident gibt sich vor seinem eigenen Nominierungsparteitag (24. bis 27. August) in dieser Woche viel Mühe, das Medienscheinwerferlicht von den Demokraten weg zu lenken. Bis Donnerstag, wenn er in Bidens Geburtsstadt Scranton/Pennsylvania Kontrapunkte setzen will, wird Trump durchs Land jetten und seine Botschaft verbreiten, die nach Ansicht von Politologen längst demagogische, verhetzende Qualität besitzt.

    Sie lautet: Biden sei der Garant für die „Zerstörung“ Amerikas, das unter demokratischer Führung eine „Art Venezuela in groß“ würde. Biden sei das „trojanische Pferd“ für den „linken Faschismus“, den die Demokraten an die Stelle „amerikanischer Freiheit“ setzen wollten.

    Lesen Sie auch: USA: Trumps „Krieg” um die Briefwahl und die Post eskaliert

    Bei Auftritten in den Bundesstaaten Minnesota und Wisconsin sprach Trump am Montag solche Sätze und erklärte er, dass er im November nur dann verlieren könne, wenn die Wahl „manipuliert wird“. An diese Adresse seiner in überschaubarer Zahl angetretenen Anhänger richtet er eine irritierende Botschaft: „Wir werden für das Überleben unserer Nation und der Zivilisation an sich kämpfen.“ Lesen Sie dazu: Trump versus Biden: Welche Chancen haben die Kandidaten?

    Auch die Rede von Michelle Obama ließ Trump natürlich nicht unkommentiert. Auf Twitter schlug Trump zurück.

    So schrieb er etwa: „Die ObamaBiden-Regierung war die korrupteste in der Geschichte, einschließlich der Tatsache, dass sie beim Ausspionieren meiner Kampagne erwischt wurde, dem größten politischen Skandal in der Geschichte unseres Landes. Das nennt man Hochverrat und mehr. Danke für Ihre sehr freundlichen Worte, Michelle!

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    Außerdem tweetete Trump in Richtung Michelle, dass er gar nicht im „wunderschönen Weißen Haus“ sitzen würde, wenn Ex-Präsident Barack Obama seinen Job richtig gemacht hätte.

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    Wie geht es bei den Demokraten weiter?

    Am Mittwoch wird Präsident Barack Obamas Rede mit Spannung erwartet. Ebenfalls am Mittwoch präsentiert sich Bidens Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris. Das Finale bildet die zentrale Rede von Joe Biden am Donnerstagabend gegen 22 Uhr Ortszeit (4 Uhr morgens am Freitag in Deutschland).

    Lesen Sie auch: Wie Donald Trump versucht, Kamala Harris zu diskreditieren