Washington. US-Präsident nennt seine Virus-Infektion einen „Segen Gottes”. Ein Wissenschaftsmagazin nennt die Regierung „gefährlich inkompetent”.

  • Donald Trump hat seine Corona-Infektion unter anderem als „Segen Gottes“ bezeichnet und dabei auch auf ein „Wundermittel“ aufmerksam gemacht
  • Dabei handelt es sich um das experimentelle Antikörper-Mittel REGN-COV2 des Unternehmens Regeneron
  • Trump erhielt das Präparat auf Basis einer Ausnahmegenehmigung während seines dreitägigen Aufenthaltes im Walter Reed-Militärhospital

Wenn sich das „NEJM”, das „New England Journal of Medicine”, politisch zu Wort meldet, muss Gefahr im Verzug sein. Seit 208 Jahren gilt die US-Zeitschrift weltweit als heilige Instanz medizinischer Berichterstattung.

In einem beispiellosen Schritt hat die Spitze des Magazins in einem von 35 Redakteuren unterzeichneten Leitartikel das Management der US-Regierung in der Coronavirus-Krise jetzt als „gefährlich inkompetent” bezeichnet und unverhohlen zur Abwahl von Präsident Donald Trump aufgerufen; auch wenn dessen Name in dem flammenden Appell nicht ein einziges Mal fällt.

Die „NEJM”-Führung hält Trump vor, zu jedem Zeitpunkt seit Ausbruch der Virus-Pandemie „versagt” zu haben. Aus einer „Krise” sei in Amerika eine „Tragödie” gemacht worden, die bisher 211.000 Tote forderte. Anthony Fauci, der Chef-Immunologe der Regierung, erklärte gestern, dass sich die Opferzahl auf „300.000 bis 400.000” erhöhen könnte, wenn nicht zielgerichteter gegengesteuert werde.

„NEJM“ zur US-Regierung: Akzeptanz von Masken „durchlöchert“

Das „New England Journal of Medicine” wirft der Regierung Trump unter anderem vor, die Akzeptanz der Wichtigkeit von Atemschutzmasken durchlöchert und die zentralen Behörden für Seuchenschutz (CDC) und Arzneimittel-Prüfung (FDA) „unterlaufen” zu haben.

Der spektakuläre Breitband-Vorwurf kam am Mittwochabend zeitgleich mit einem neuen Versuch von Donald Trump, aus seiner Corona-Erkrankung kurz vor der Präsidentschaftswahl politisches Kapital zu schlagen – und von der Tatsache abzulenken, dass mittlerweile im Weißen Haus nach Recherchen des Senders ABC mindestens 34 Angestellte infiziert sind.

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    In einem am Weißen Haus aufgenommenen Video nannte Trump seine Erkrankung einen „Segen Gottes”. Dadurch sei er in den Genuss einer Therapie gekommen, die aus seiner Sicht ein „Heilmittel” sei, das so schnell wie möglich – kostenlos – allen Amerikanern zur Verfügung gestellt werden soll, die es gebrauchen könnten. Dabei handelt es sich um das experimentelle Antikörper-Mittel REGN-COV2 des Unternehmens Regeneron, mit dessen Chef Leonard Schleifer Trump seit langem bekannt ist.

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      Trump erhielt das Präparat auf Basis einer Ausnahmegenehmigung während seines dreitägigen Aufenthaltes im Walter Reed-Militärhospital. Es soll laut Regeneron die Viruslast von Corona-Patienten reduzieren und ihre Symptome lindern, wenn es möglichst schnell nach einer festgestellten Infektion verabreicht wird. Trump erklärte, er habe sich nach der Spritze binnen 24 Stunden „großartig gefühlt“.

      Darum: „Ich will, dass Sie bekommen, was ich bekommen habe – und ich werde es kostenlos machen”, sagte Trump in die Videokamera und sprach von „Hunderttausenden Dosen”, die bald zur Verfügung stünden. Die zuständige Arzneimittel-Behörde FDA hat sich bisher nicht zu einem beschleunigten Zulassungsverfahren geäußert.

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      Denn: Regeneron selbst hatte erst vor wenigen Tagen erste Ergebnisse vorgestellt. Nicht in einer Fachstudie, wie sie nach reiflicher Begutachtung theoretisch im „New England Journal of Medicine” stehen könnte. Sondern in einer Pressemitteilung. Danach wurde das Präparat bisher an 275 Patienten getestet und ausgewertet, die im Schnitt 30 Jahre jünger als Trump (74) waren.

      Über die Sicherheit und Effektivität der Behandlung und über mögliche Wechselwirkungen äußerte sich das Unternehmen, dessen Aktienkurs nach Trumps Intervention gestiegen ist, bisher nicht. In der Fachwelt wurde Trumps Werbefeldzug für das Medikament mit Skepsis aufgenommen. Es handele sich um einen individuellen Heilversuch, dessen Erfolg erst nach Abschluss der dritten Testphase beurteilt werden könne, hieß es.

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      So zeigte sich etwa die deutsche Virologin und Direktorin des Instituts für medizinische Virologie an der Goethe-Universität in Frankfurt, Sandra Ciesek, irritiert von der feierlichen Verlautbarung von Trumps umstrittenem Leibarzt, Sean Conley, dass beim US-Präsident – wenig überraschend bei einer Antikörper-Therapie – Antikörper nachgewiesen wurden. Der Kommentar der Professorin für Virologie: „Es wird immer abenteuerlicher.“

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