Istanbul/Berlin. Merkel wird von Präsident Erdogan ungewohnt freundlich empfangen. Doch die Differenzen bleiben – gerade in der Flüchtlingspolitik.

Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan begegnen sich gerade recht häufig. Erst am vergangenen Sonntag war der türkische Präsident zu Libyen-Gesprächen in Berlin, am Donnerstagabend reiste Merkel nach Istanbul, um mit Erdogan unter vier Augen zu sprechen.

Auch wenn in den deutsch-türkischen Beziehungen keine Eiszeit mehr herrscht – wie noch im Jahr 2017 –, gibt es eine lange Liste von Streitpunkten. Sie reichen aus deutscher Sicht von den wachsenden Demokratie-Defiziten und den umstrittenen türkischen Militäreinsätzen in Syrien und Libyen über die steigenden Flüchtlingszahlen in der Ägäis bis hin zur Affäre um den zum Jahresende festgenommenen Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Ankara und den Haftbefehlen sowie Ausreisesperren gegen mehr als 130 deutsche Staatsbürger.

Erdogan nennt Merkel eine „geschätzte Freundin“

Merkel (CDU) war schon häufig in Istanbul zu Gast, aber so herzlich wie am Freitag wurde sie am Bosporus selten empfangen. Erdogan überschüttete die Besucherin geradezu mit Komplimenten: Er empfinde „großes Glück“, die Kanzlerin nach dem Treffen bei der Berliner Libyen-Konferenz vor fünf Tagen nun in der Türkei willkommen zu heißen. Eine „geschätzte Freundin“ nannte er Merkel.

Früher klang das ganz anders. Noch im September 2017 hatte der türkische Staatschef der Kanzlerin „Nazi-Methoden“ vorgeworfen und erklärt, Deutschland sei von „Nazi-Überbleibseln“ besiedelt. Jetzt beschwor Erdogan anlässlich der gemeinsam mit Merkel zelebrierten Eröffnung der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul „die Freundschaft beider Länder“. Die Kanzlerin stimmte ein: Die gemeinsame Hochschule „ist ein Juwel in den Beziehungen unserer beiden Länder“.

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Türkei schlägt sich klar auf eine Seite im Bürgerkrieg

Den sanften Tönen bei der Universitätseröffnung folgte eine lange Unterredung zu zweit. Die Pressekonferenz im Anschluss an das Gespräch verlief dann nicht mehr ganz so harmonisch. Erdogan kündigte etwa an, die international anerkannte libysche Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch in Tripolis weiter militärisch unterstützen zu wollen.

Er sagte, dass General Chalifa Haftar, der sich mit der Regierung in Tripolis einen Machtkampf liefert, seine Angriffe verstärkt habe. Die Türkei sei entschlossen, die libyschen Brüder nicht allein zu lassen. Sowohl Ankara als auch Berlin setzen sich für einen Waffenstillstand ein, aber die Türkei schlägt sich klar auf eine Seite im Bürgerkrieg.

Merkel: „Ich glaube, da missverstehen wir uns“

Erdogan bezweifelte auf offener Bühne, dass Haftar bei der Libyen-Konferenz in Berlin ernsthafte Absichtserklärungen gemacht habe. Es sei ja nichts von ihm unterschrieben worden. Merkel widersprach. „Ich glaube, da missverstehen wir uns“, unterbrach sie den türkischen Präsidenten. Man habe durchaus bei Haftar etwas erreicht. Was die Ergebnisse des Libyen-Gipfels für Deutschland bedeuten.

Bei bilateralen Themen war man sich hingegen stärker einig. So kündigte die Kanzlerin etwa an, man werde sich intensiv um die Freilassung der inhaftierten Deutschen bemühen. Sie habe mit Erdogan vereinbart, dass man in jedem Einzelfall Lösungsmöglichkeiten prüfen wolle.

Ankara wiederum kritisiert, dass Tausende mutmaßliche Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen in Deutschland Zuflucht finden, dass es bei den Verhandlungen um eine Erweiterung der Zollunion und visafreies Reisen für türkische Staatsbürger in der EU keine Fortschritte gibt und dass die versprochenen EU-Hilfsgelder für die Versorgung der rund vier Millionen Flüchtlinge in der Türkei nicht schnell genug fließen. Erdogan ermahnte bei der Pressekonferenz mit Merkel dann auch die EU, mehr Hilfe bei der Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zu leisten.

Merkel stellt weitere EU-Hilfen in Aussicht

Die Kanzlerin kündigte an, Deutschland werde der Türkei bei der Stärkung der Küstenwache helfen. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Eindämmung der Migrantenströme in der Ägäis. Auch stellte sie weitere Hilfen der EU bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise in Aussicht. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die EU über die zwei mal drei Milliarden Euro hinaus Unterstützung leistet“, sagte Merkel.

Darüber werde in den EU-Gremien besprochen. Was die Türkei leiste sei „bemerkenswert“. „Und jeder kann sich vorstellen – die Türkei hat ungefähr so viele Einwohner wie Deutschland –, wenn man 3,5 oder fast vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien beherbergt, was das für eine Anstrengung ist. Und dafür möchte ich der Türkei auch ganz herzlich danken.“

Erdogan sicherte zu, die Türkei werde sich darum bemühen, dass bald Akkreditierungen für alle interessierten deutschen Journalisten für dieses Jahr ausgestellt würden. Diese Arbeitserlaubnisse laufen jedes Jahr Ende Dezember ab und müssen neu beantragt werden. Die Türkei hatte die Akkreditierungen in mehreren Fällen zunächst verweigert.