Brüssel. Die EU macht beim Thema Klimaschutz ernst: Fürs Tanken und Fliegen muss man bald mehr bezahlen – der Verbrenner steht vor dem Aus.

  • Die EU-Kommission hat ein umfangreiches Klimaschutzpaket für den Staatenbund beschlossen
  • Mit 12 Gesetzesentwürfen soll die EU schrittweise aus dem Verbrauch fossiler Brennstoffe aussteigen
  • Schon 2035 sollen keine Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmotoren mehr zugelassen werden dürfen
  • Die Bundesregierung begrüßt die ehrgeizigen Ziele aus Brüssel, will sie aber konstruktiv prüfen
  • Verkehrsminister Scheuer gab an, zur Erfüllung müssten bis 2030 bereits 14 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen verkehren
  • Wirtschaftsminister Altmaier mahnte unterdessen an, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie müsse gewahrt bleiben

Jetzt wird es ernst mit der Klimaschutz-Wende in Europa. Ob Heizen oder Tanken: Die Preise für fossile Energie werden steigen. Die Autoindustrie steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte, wenn ab 2035 Motoren überhaupt kein Kohlendioxid mehr ausstoßen dürfen. Und die Industrie muss ihre Produktionsprozesse im Eiltempo umstellen. Das sehen die Pläne für ein umfangreiches Klimaschutzpaket vor, das die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel beschlossen hat.

Zwölf Gesetzentwürfe der EU zum Thema Klimaschutz

Mit den zwölf Gesetzentwürfen soll die Union entscheidende Schritte zu ihren ehrgeizigen Klimazielen machen und aus dem Verbrauch fossiler Energieträger wie Kohle, Erdgas oder Mineralöl aussteigen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: "Wir Europäer wollen beweisen, dass es möglich ist, sich vom Kohlenstoffverbrauch zu lösen – und damit nicht nur den Planeten, sondern auch unseren Wohlstand zu erhalten."

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2050 will das vereinte Europa als weltweit erster Kontinent klimaneutral sein, also netto kein zusätzliches Treibhausgas mehr erzeugen. Dafür soll bis 2030 der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid um 55 Prozent reduziert werden (im Vergleich zu 1990). Das neue Paket konzentriert sich auf dieses Zwischenziel von 55 Prozent, weshalb es den Titel "Fit for 55" trägt.

Klima-Plan der EU: Das Ende des Benzin-Autos ist beschlossen

Die EU zieht die Schrauben an, weil der Verkehrssektor bei der Treibhausgas-Reduzierung bislang hinterherhinkt: Ab 2035 müssen alle Neuwagen ohne jeden C02-Ausstoß angetrieben werden. Um diese Zielvorgabe wurde in der Kommission bis zuletzt erbittert gestritten.

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Der Verbrenner vor dem Aus? Die EU will ab 2035 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen.
Der Verbrenner vor dem Aus? Die EU will ab 2035 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen. © IMAGO / Zeitungsfoto.at | IMAGO / Zeitungsfoto.at

Das Ergebnis ist das Aus für Benzin und Diesel, auch für Plugin-Hybride, binnen 14 Jahren. Verboten wird der Verbrennungsmotor aber nicht: Synthetische Kraftstoffe, hergestellt mit Ökostrom, wären noch erlaubt. Bislang sind die aber sehr teuer und wenig effizient – und die Zeit bis 2035 für große Entwicklungs-Durchbrüche ist wohl zu knapp. Deshalb beklagt die deutsche Autoindustrie, dass der Plan den vollständigen Umstieg auf Elektroautos bedeutet und de facto doch ein Verbot des Verbrennungsmotors ist.

Um die Klimavorgaben der EU zu erfüllen, müssen nach Angaben von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bis zum Jahr 2030 insgesamt 14 Millionen Elektroautos mit Batterieantrieb oder Plug-in-Hybride auf deutschen Straßen unterwegs sein. "Das geht nur, wenn die Hersteller zügig gute und für alle bezahlbare Angebote machen", sagt der CSU-Politiker dieser Redaktion.

Scheuer bezeichnet die am Mittwoch von der EU-Kommission vorgelegte Strategie "Fitfor55" als "kaum überraschend, aber herausfordernd". Die ambitionierten Ziele dürften Verbraucher und Wirtschaft nicht überfordern. "Mobilität muss für die Menschen bezahlbar bleiben. Und Wohlstand geht nur mit Arbeitsplätzen", sagte Scheuer.

55 Prozent weniger CO2-Ausstoß bei Neuwagen bis 2030

Als Zwischenschritt soll bis 2030 der C02-Ausstoß bei neuen Pkw bereits um 55 Prozent gegenüber 2021 reduziert werden; erst vor zwei Jahren war eine Zielvorgabe von 37,5 Prozent beschlossen worden. Scheuer warnt deshalb, wenn die Vorgaben "alle halbe Jahre" verändert würden, gefährde dies die Planungssicherheit für die Autobauer.

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Von der Leyen dagegen meint, die Zielmarke 2035 gebe jetzt diese Planungssicherheit, andernfalls werde Klimaneutralität bis 2050 nicht erreicht. In der EU hätten bereits ein Dutzend Autohersteller angekündigt, zwischen 2028 und 2035 auf emissionsfreie Fahrzeuge umzusteigen, sagt von der Leyen. Kritiker hatten gehofft, dass die Kommission in letzter Minute das Null-Emissionsziel aufweichen würde. Aber Neuwagen, die 2035 zugelassen werden, sind im Durchschnitt mindestens bis 2050 auf den Straßen unterwegs – dem Jahr, in dem die EU klimaneutral sein will.

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen präsentiert ein Gesetzespaket zu europäischen Klimazielen.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen präsentiert ein Gesetzespaket zu europäischen Klimazielen. © dpa

Klimaschutz Schritt für Schritt: Erst wird Benzin teurer

Die Kommission will gleichzeitig auch für den Verkehrs- und Gebäudebereich den Emissionshandel einführen, "um Anreize zur Entwicklung sauberer Technologien zu entwickeln", wie von der Leyen sagt. Energielieferanten müssen ab 2026 für jede Tonne C02, die beim Verbrennen von Öl, Gas oder Benzin auch in Autos oder Heizungen entsteht, Verschmutzungsrechte kaufen – die Kosten geben sie an den Verbraucher weiter. Unter anderem die Benzin- und Gaspreise werden sich so zügig erhöhen.

Das lässt sich in Deutschland beobachten, wo Verkehr und Gebäude bereits seit Jahresanfang in den Emissionshandel (zunächst zu festen Preisen) einbezogen sind. Gegen diesen Schritt gibt es deshalb heftigen Widerstand unter den EU-Mitgliedstaaten – vor allem in Osteuropa und auch in Frankreich, wo der Gelbwesten-Protest gegen höhere Benzinpreise bereits das mögliche Konfliktpotenzial gezeigt hat. Auch im EU-Parlament wurde schon vorab viel Kritik laut. Deutschland dagegen unterstützt dieses Vorhaben.

Elektro-Autos: Ladesäulen-Pflicht soll kommen

Im Verkehrssektor nimmt die EU auch die Nationalstaaten in die Pflicht: Alle EU-Staaten sollen zum Aufbau einer ausreichenden Ladesäulen-Versorgung für Elektroautos verpflichtet werden. Bis 2030 muss an jeder Schnellstraße mindestens alle 60 Kilometer eine E-Ladestation eingerichtet werden, alle 150 Kilometer eine Wasserstoff-Tanksäule. Dafür sollen die Staaten auch auf EU-Gelder zurückgreifen können. Mit dem Vorhaben kommt die EU einer dringenden Forderung der Autoindustrie nach. Von der Leyen sagt: "Das macht E-Autos noch attraktiver."

In der EU sollen in Zukunft mehr Ladesäulen für Elektroautos zur Verfügung stehen.
In der EU sollen in Zukunft mehr Ladesäulen für Elektroautos zur Verfügung stehen. © dpa

Der Verkehrsminister sieht den Kurs der Bundesregierung zur Technologieoffenheit bei alternativen Antrieben und Kraftstoffen durch die EU bestätigt. "Wir begrüßen verbindliche Ausbauziele für Wasserstofftankstellen und Ladesäulen", sagt Scheuer dieser Redaktion. Deutschland sei bereits auf einem guten Weg, etwa mit der Förderung von privaten, gewerblichen und öffentlichen Ladepunkten.

Kerosin-Steuer kommt bei innereuropäischen Flügen

Auf umweltschädliches Kerosin wird bei innereuropäischen Flügen ab 2023 stufenweise eine Steuer erhoben. Flugtickets dürften bei Reisen in Europa in vielen Fällen teurer werden. Die Luftfahrtbranche protestiert, sie fürchtet, dass konkurrierende Airlines aus Drittstaaten Wettbewerbsvorteile erlangen. In der Bundesregierung hat deshalb Verkehrsminister Scheuer schon Ablehnung signalisiert. Flugzeuge sollen genauso wie Schiffe künftig zur Nutzung eines höheren Anteils von erneuerbaren Treibstoffen verpflichtet werden.

EU: Industrie zahlt künftig mehr für C02

Die Wirtschaft muss sich vor allem auf rasch steigende Kosten für ihren C02-Ausstoß einstellen. Die Emissionsrechte, die rund 12000 Unternehmen der Industrie, Energieversorger und Luftfahrt schon jetzt pro Tonne C02-Ausstoß benötigen, gibt es zum Teil noch umsonst. Die EU will die Unternehmen aber zu mehr Klimaschutz zwingen und dafür das Angebot an Emissionsrechten schneller verringern. Kostenlose Zertifikate werden schrittweise abgeschafft. Es wird also teurer.

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Der Verband der Chemischen Industrie warnt deshalb: "Die Kluft zu anderen Industrieregionen bei den Klimaschutzkosten wird noch größer. So droht statt einer klimaneutralen europäischen Industrie ein klimaneutrales Europa ohne Industrie."

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    Allerdings will die EU ab 2023 mit einer Art Klimazoll Importe verteuern, die ohne solche Klimaauflagen kostengünstiger hergestellt werden - zunächst für Stahl, Aluminium, Strom und Düngemittel. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) ist skeptisch, will einen anderen Ausgleich: "Zölle auf der einen Seite führen zu Zöllen auf der anderen Seite", sagt BDI-Präsident Siegfried Russwurm.

    EU plant Ausbau der erneuerbaren Energien

    Der Anteil an erneuerbaren Energie soll massiv ausgebaut werden, das Ziel für 2030 wird von 32 Prozent Anteil auf 40 Prozent heraufgesetzt – fast doppelt so viel wie heute. Vor allem beim Heizen und Kühlen sollen Erneuerbare viel größere Bedeutung bekommen. Drei Prozent aller öffentlicher Gebäude müssen jährlich renoviert werden.

    Aus dem neuen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr wird ein Klima-Sozialfonds gespeist. 25 Prozent der Einnahmen – 70 Milliarden Euro bis 2032 – sollen ärmeren EU-Ländern und ärmeren Haushalten zugutekommen. Erstmals würde damit von Brüssel aus gezielt Energiearmut bekämpft. Wer wie viel Geld erhalten wird, dürfte eines der großen Streitthemen werden.

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    Prüfung geplant: So reagiert die Bundesregierung

    Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat die Klimaschutz-Pläne der EU im Grundsatz gutgeheißen. "Ich begrüße die Entschlossenheit der EU-Kommission, das Thema in der notwendigen Breite anzugehen", sagte der CDU-Politiker dieser Redaktion. "Alles was dazu beiträgt, dass wir das Klima schneller und umfassender schützen, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden, ist ein Schritt in die richtige Richtung."

    Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU)
    Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) © dpa | Kay Nietfeld

    Altmaier, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kündigten an, sie wollten die Kommissionsvorschläge konstruktiv, aber sehr genau prüfen. Wichtig sei, möglichst schnell Klarheit für die einzelnen Bereiche zu haben. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit werde der Maßstab für die weitere Prüfung der Vorschläge sein, betonte Altmaier. "Ich begrüße ausdrücklich die Stärkung marktwirtschaftlicher Instrumente wie die Reform des Emissionshandels." Dabei müsse aber die Industrie mitgedacht und Abwanderungsprozesse in andere Länder durch umfassenden Carbon-Leakage-Schutz vermieden werden.

    Klöckner kündigte gegenüber unserer Redaktion an, die neue Klimaschutz-Strategie der EU-Kommission "konstruktiv-kritisch" zu prüfen. Effektiver Klimaschutz sei im Sinne der Land- und Forstwirtschaft. "Und eine stabile Land- und Forstwirtschaft und nachhaltige Ernährungssicherung ist im Sinne aller", sagte die Ministerin.

    Klimaschutzmaßnahmen schon auf dem Weg

    Klöckner erinnerte daran, dass die gemeinsame Agrarpolitik auf europäischer Ebene kürzlich bereits hin zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet worden ist. "In Deutschland haben wir mit unserem Klimaschutzprogramm eine Reihe an Maßnahmen auf den Weg gebracht, wie etwa den stärkeren Humuserhalt und -aufbau im Ackerland, den Erhalt von Dauergrünland, den Schutz von Moorböden sowie den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung unserer Wälder", sagte Klöckner.

    Insbesondere der Wald biete "enormes Klimaschutzpotenzial", die Wälder seien "einzigartige CO2-Speicher". Die langfristige Bindung von Kohlendioxid in Holzprodukten und die nachhaltige Waldbewirtschaftung spielten dabei eine wichtige Rolle.

    Viel Verhandlungsarbeit steht an

    Klöckner mahnte jedoch an, den Praxisbezug der Maßnahmen für mehr Klimaschutz nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Ministerin sagte unserer Redaktion: "Man kann noch mehr Tempo in Brüssel machen, aber biologische Vorgänge und zeitliche Abläufe müssen wir beachten, können Sie nicht ignorieren. Deshalb müssen auch die Praktiker bei allem einbezogen werden."

    Umweltministerin Schulze machte indes klar, dass sie mit "intensiven Verhandlungen" rechnet – im Klartext also viel Streit. Denn Mitgliedstaaten und das EU-Parlament müssen den Vorschlägen noch zustimmen – sie können aber auch Änderungen durchsetzen.