Berlin. Verbraucherschützer und Polizei warnen vor Kriminellen, die bekannte Maschen auf die Corona-Zeiten anwenden. Das sind die Tricks.

Die Täter setzen auf die Neugier der Menschen, ihren Wissensdurst in Zeiten der Pandemie. Und die Täter setzen auf die Angst der Menschen. In Oranienburg bei Berlin klingelten Männer an Türen der Anwohner. Die Täter trugen Schutzausrüstung, sie gaben sich als Mitarbeiter des Gesundheitsamts aus.

Die Männer seien da, um die Wohnung zu desinfizieren. Doch die Männer sind nicht vom Amt. Sie sind Betrüger, warnt die Polizei. Sind die Täter erstmal in der Wohnung, können sie klauen oder einen Menschen ausrauben.

Es ist nur eine Meldung von vielen in diesen Tagen: Kriminelle nutzen die Krise – und erpressen, betrügen oder klauen. Ein Bericht der europäischen Polizeibehörde Europol warnt vor den „Profiteuren der Pandemie“, benennt Fälle. Innenminister Horst Seehofer hat unlängst das Bundeskriminalamt damit beauftragt, einen Lagebericht zur Kriminalität in Zeiten von Corona abzugeben.

Coronavirus: Pandemie ruft Betrüger auf den Plan

Eine Anfrage unserer Redaktion zeigt: Es gibt bisher kaum verlässliche Zahlen, ob und wie stark die Kriminalität in Zeiten der Krise ansteigt – und welche Delikte zunehmen.

So zeichnen sich auch Bereiche ab, in denen weniger Straftaten auffallen: Drogenhandel auf der Straße, Wohnungseinbruch, Taschendiebstahl. Der Grund: Die Menschen aufgrund der staatlich verordneten Kontaktverbote zuhause. Ein Ermittler sagt: „Auch die Mafia sitzt in Quarantäne“.

Extremsituationen würden gute und schlechte Verhaltensweisen verstärken, sagt Klaus Müller, Vorstand beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. „Einerseits beobachten wir in der Corona-Krise beeindruckende Wellen der Solidarität. Andererseits ruft die Krise auch Betrüger und windige Geschäftemacher auf den Plan.“ Die Zentralen würden täglich Hinweise von Verbrauchern im Zusammenhang mit der Corona-Krise.

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    Wo Not herrscht, sind Kriminelle selten weit weg

    Von einem Anstieg der Kriminalität insgesamt könne man derzeit nicht sprechen, sagt Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, unserer Redaktion. „Wir stellen aber aktuell fest, dass die Kriminellen das Thema Corona sehr schnell in bereits bekannte Tatbegehungsweisen einflechten und sich somit die Unsicherheit und in Teilen Angst der Bevölkerung zu Nutze machen wollen.“

    Die Infrastruktur der Kriminellen ist längst aufgebaut – sie haben mit Corona nun eine neue gewinnversprechende Krise. Denn dort, wo Not herrscht und viel Geld fließt, sind Kriminelle selten weit weg. Viele Polizeidienststellen warnen diese Tage vor Trickbetrügern, Sicherheitsfirmen erkennen eine Zunahme der Cyberkriminalität in Zeiten von Corona – und vor allem das kriminelle Geschäft mit Schutzmasken ist im Fokus.

    1. Illegale Geschäfte mit der Schutzkleidung

    Weltweit fehlen im Kampf gegen Corona Schutzmasken in Kliniken und Praxen. Der illegale Handel floriert. Kürzlich klauten Diebe 50.000 Masken aus einer Klinik in Köln. Am Flughafen von Nairobi in Kenia verschwanden sechs Millionen Schutzmasken spurlos, die der Zoll für Deutschland bestellt hatte. Die EU-Polizeibehörde hält fest: Die hohe Nachfrage nach Schutzmasken oder Handschuhen und Reinigungsmitteln habe sehr schnell einen regelrechten Markt für Kriminelle entstehen lassen.

    In einem Fall bestellte ein Unternehmen für 6,6 Millionen Euro Schutzmasken und Reinigungsgels in Singapur. Wegen der extremen Beschaffungsprobleme ließen sich die Käufer auf Vorausbezahlung ein. Das Geld wurde überwiesen – aber die Ware kam niemals an. In einem anderen Fall versuchte eine Firma, 3,85 Millionen Masken zu kaufen. Die Täter kassierten 300.000 Euro Vorauszahlung und tauchten anschließend ab.

    In Bremen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen eine Scheinfirma. Über eine gefälschte Internetseite bot die Gruppe Medizinprodukte an. Vor allem Ware, die in Pandemie-Zeiten besonders nachgefragt ist: darunter auch Schutzmasken. Insgesamt vier Unternehmen gehen den Betrügern auf dem Leim und überweisen laut Polizei rund 200.000 Euro auf das Konto der Firma. Die Täter leiten das Geld sofort an Kontaktpersonen weiter, verschleiern so den Weg der Betrugserlöse. In keinem Fall lieferten die Täter die Ware aus. Die Ermittler von Europol warnen: Die Zahl solcher Fälle werde weiter steigen.

    Auch auf etablierten Plattformen handeln Täter mit gefälschten Masken: Der Online-Händler Amazon musste nach eigenen Angaben bereits ein Million Angebote streichen – weil untaugliche Masken angeboten wurden oder die medizinischen Geräte völlig überteuert verkauft wurden. Verbraucherschützer wissen von Fällen, in denen ein illegaler Anbieter einen Liter Desinfektionsmittel für 199 Euro verkauft.

    „Gegen Auswüchse bei Preisen oder irreführende Gesundheitsversprechen gehen wir als Verbraucherschützer entschieden vor, zum Beispiel über unsere Rechtsdurchsetzung“, sagt Müller von den Verbraucherschützern. „Wir haben bereits mehrere Abmahnungen ausgesprochen.“

    So wird schon nach Wochen der Krise deutlich: Die Corona-Krise treibt den kriminellen Schwindel mit gefälschten Medikamenten und angeblichen Wundermitteln an. Bei einem internationalen Polizeieinsatz Anfang März stießen Ermittler laut Europol auf eine Besorgnis erregend steigende Zahl von Medikamentenbetrug.

    Gefälscht würden etwa antivirale Medikamente oder das Anti-Malariamittel Chloroquine. Angepriesen wird zu Extrempreisen auch Vitamin C mit dem Versprechen, es schütze gegen eine Corona-Infektion. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagt: „Die Zahl gefälschter Medikamente, angeblicher Desinfektionssprays und Wundermittel, die online angepriesen werden, ist schwindelerregend.“

    2. Corona-Not und Datenklau – online und per Telefon:

    Betrüger entwickelten unlängst eine Webseite mit einer Weltkarte. Sie zeigt die Infektionen mit dem Corona-Virus, nach Regionen sortiert. „Corona-virus-Map.com“, heißt die Seite. Viele Menschen wollen jetzt wissen, wie viele Fälle es gibt – in ihrem Land, auf ihrem Kontinent. Die Programmierer der Webseite arbeiten mit den offiziellen Zahlen der Johns-Hopkins-Universität. Doch die Kartei ist ein Lockmittel: Wer darauf klickt, der ist Opfer eines Angriffs: Automatisch installiert sich eine Schadsoftware auf dem Computer des Nutzers. Mit Hilfe des Programms können die kriminellen Hacker Zugang zu Passwörtern, Kreditkartennummern oder Email-Adressen bekommen – je nachdem, wie sorgsam ein Mensch mit seinen Daten auf dem Computer umgeht.

    In Nordrhein-Westfalen fiel Verbraucherschützern eine andere Masche auf, mit der Täter an private Daten von Anwohnern gelangen wollen. In einer Email fälschen Betrüger das Logo der Sparkasse, die Nachricht sieht täuschend echt aus. Die Kriminellen behaupten, die Filiale könne mit Kunden aufgrund der Pandemie nur noch telefonisch Kontakt aufnehmen.

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      Dafür sei ein Abgleich von Adressen, Telefonnummern und Emailadressen nötig – einen Link liefern die angeblichen Bank-Mitarbeiter gleich mit. Doch die Daten landen bei den Tätern. Dreist behaupten die Täter am Ende der Nachricht noch: „Prävention ist keine Hysterie, und Ignoranz ist auch kein Mut! Wir hoffen sehr auf Ihre Solidarität und Ihr Verständnis!“

      Mehrere Fälle dieser sogenannten „Phishing-Mails“ listen Polizeidienststellen und Verbraucherschützer. Kriminaloberrat Schmidt von der Polizeilichen Kriminalprävention berichtet von der „Mikrosoft-Support-Masche“. Etliche Mitarbeiter sind aufgrund der Corona-Pandemie in Heimarbeit. Jetzt rufen Täter an und geben vor, sie seien von „My IT Department“, die Telefonnummern sind oftmals mit spanischer Vorwahl, die angeblichen IT-Fachleute sprechen mit indischem Akzent. Und sie wollen die Opfer überzeugen, eine „Fernwartung“ auf dem Computer zu installieren. Mit der Schadsoftware klauen sie dann die Daten des Nutzers.

      3. Corona-Betrug mit dem „Enkeltrick“:

      Eine Email sorgte dieser Tage für Aufsehen bei der Bremer Polizei. Adressat: Pflegeheime für ältere Menschen. In der Nachricht verlangt der Erpresser 2000 Euro. Sonst würde er sich in die Einrichtung schleichen – und den Corona-Virus streuen. Falls die Heimleitung die Polizei einschalte, komme er schon morgen. Vier dieser Fälle bestätigt die Polizei Bremen auf Nachfrage unserer Redaktion. Es sei zu keinem Schaden gekommen. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft.

      Auch das ist nur ein Fall von Betrug und Erpressung in Zeiten von Corona. Ermittler berichten von Tätern, die sich am Telefon als Ärzte ausgeben. Der Angerufene stehe unter Verdacht, mit dem Corona-Virus infiziert zu sein, so die Lüge. Jemand komme vorbei, mache einen Test. Die Kosten: 200 Euro.

      Auch bei den sogenannten „Enkeltricks“ haben die Täter längst ihre Maschen auf die Corona-Krise angepasst. Am Telefon behaupten Kriminelle, dass sie mit dem Corona-Virus infiziert seien und Geld für die Behandlung benötigten. Sie bitten um Geld und andere Wertgegenstände, ein Freund komme sie abholen.

      Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte unserer Redaktion: „Die alten Enkeltrick-Betrüger laufen jetzt zum Beispiel im weißen Kittel von Tür zu Tür.“ Bisher sei die Sicherheitslage allerdings stabil. „Trotzdem beobachten wir, dass einige Kriminelle versuchen, die Not der Menschen schamlos auszunutzen.“ Daher sei es wichtig, dass die Menschen „auch in diesen schwierigen Zeiten nicht zu leichtgläubig werden“, sagte Reul. Es könne nicht schaden, in der Nachbarschaft mehr aufeinander zu achten.

      Die EU-Polizeibehörde Europol berichtet von Fällen, in denen der Täter angibt, ein Verwandter des Angerufenen sei mit Corona infiziert und liege im Krankenhaus. Ein Arzt müsse kommen und schnell einen Corona-Test machen. Mitten in der Nacht erscheinen die Komplizen im Arztkittel und mit Schutzmasken, täuschen eine Untersuchung vor – und rauben das Opfer aus.

      Laut der Polizeilichen Kriminalprävention bewegen Abzocker Eltern dazu, Nachhilfeunterricht für Kinder zu organisieren. Die Täter rufen an, nutzen die Notlage der geschlossenen Schulen aus. Kosten dieser monatlichen Abo-Verträge: 1200 Euro. „Man ist komplett chancenlos in der Falle, wenn man sich überrumpeln lässt und zeitnah oder noch während des Telefonats eine angebliche Probestunde oder tatsächliche Unterrichtsstunde beispielsweise online oder persönlich mitmacht“, sagt Kriminalbeamter Schmidt.