In Krisenzeiten wie diesen muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehr Klartext wagen, findet Korrespondent Alessandro Peduto.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist für eine zweite Amtszeit gewählt. Er wird für fünf weitere Jahre der erste Mann im Staat bleiben. So hat es die Bundesversammlung mit übergroßer Mehrheit am Sonntag entschieden.

Das Grundgesetz gewährt dem deutschen Staatsoberhaupt kaum politische Macht. Und doch hat das Wort des Bundespräsidenten Gewicht. Steinmeier kann also durchaus Einfluss nehmen. In Zeiten wie diesen muss er es sogar.

Dass er fortan stärker dazu gewillt, hat er in seiner Rede am Sonntag deutlich gemacht. Steinmeier war wohltuend klar. Gut so! Gerne mehr davon. Denn die Bundesrepublik und Europa steuern in eine ungewisse Zukunft. Die Verunsicherung bei vielen wächst, und das aus gleich mehreren Gründen. Steinmeier hat dies in seiner Ansprache skizziert.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekommt nach der Verkündung des Ergebnis der Wahl des Bundespräsidenten Blumen von Bundeskanzler Olaf Scholz.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekommt nach der Verkündung des Ergebnis der Wahl des Bundespräsidenten Blumen von Bundeskanzler Olaf Scholz. © Wolfgang Kumm/dpa | Wolfgang Kumm/dpa

Corona: Steinmeier im Kampf gegen die Pandemie

Da ist zum einen die Pandemie. Zwei Jahre Corona haben die Menschen ausgelaugt. Für viele ist daraus eine persönliche, oft auch eine existenzielle Krise entstanden. Und noch immer ist nicht absehbar, wie lange das Virus unseren Alltag noch beherrschen wird.

Auch der Demokratie hat die Pandemie schwer zugesetzt. Grundrechte wurden zeitweise geschliffen, die Hoheit über den eigenen Körper soll durch eine geplante Impfpflicht beschränkt werden. Menschen gehen auf die Straße, um gegen die Maßnahmen zu protestieren, darunter auch Radikale, die die Pandemie dazu nutzen, ihre demokratiefeindlichen Überzeugungen lauthals zu verbreiten. Unser Zusammenleben in Deutschland ist unter massiven Druck geraten. Lesen Sie auch: Elke Bündenbender – Wer ist die Frau von Steinmeier?

Klimakrise sorgt für gesellschaftliche Reibungen

Über allem schwebt die Klimakrise. Sie bedroht die Zukunft unseres Planeten und die Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Die Lösung wird vermutlich auch darin liegen, unseren Wohlstand neu zu definieren.

Alessandro Peduto Mitarbeiter der Funke Mediengruppe. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services
Alessandro Peduto Mitarbeiter der Funke Mediengruppe. Foto: Reto Klar / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wir werden in Zukunft gezwungen sein, ein anderes, bescheideneres, aber dafür nachhaltigeres Leben zu führen. Die Menschen werden Verzicht üben müssen, und es wird Verteilungskämpfe geben. Es drohen neue gesellschaftliche Reibungen.

Ukraine: Steinmeier muss Brücken bauen

Hinzu kommt die Gefahr eines erneuten Krieges in Europa. Der Konflikt zwischen Russland und dem Westen droht zu eskalieren. Der Frieden ist in ernsthafter Weise bedroht. Was bis vor Kurzem unvorstellbar war, scheint plötzlich sehr nahe.

Es sind komplizierte Zeiten, in denen viele Menschen Orientierung suchen. Daher schlägt jetzt mehr denn je die Stunde des Bundespräsidenten. Denn selten war die Verunsicherung so groß, die Gräben in der Gesellschaft tiefer. Steinmeier versteht sich selbst als Vermittler und Brückenbauer. Genau diese Rolle muss er in seiner zweiten Amtszeit als Präsident noch viel entschlossener anpacken.

Es wird in Zukunft nicht mehr reichen, ausgewählte Bürgerinnen und Bürger zum Austausch an eine Kaffeetafel am Dienstsitz im Schloss Bellevue einzuladen. Brücken zu bauen ist anstrengender und kann gerade in Krisenzeiten schweißtreibend sein. Steinmeier sollte sich beherzt darauf einlassen, so wie er es jetzt angekündigt hat. Das Amt des Bundespräsidenten ist zwar überparteilich. Doch das Grundgesetz verbietet es dem Staatsoberhaupt keineswegs, unbequem zu sein.

Diesen Spielraum sollte Steinmeier fortan viel häufiger und stärker ausreizen. Er muss ins Risiko gehen und mehr Klartext wagen. Die Zeiten erfordern es. Das gilt nicht allein mit Blick auf die Gesellschaft, sondern auch auf die Regierenden und die Krisen im In- und Ausland. Es braucht eine stärkere Einmischung Steinmeiers. Für Zurückhaltung steht derzeit zu viel auf dem Spiel. Das Risiko, häufiger anzuecken und auch den Regierenden auf die Nerven zu gehen, sollte Steinmeier nicht scheuen. Auch das ist ihm laut Verfassung gestattet.