Paris. Auf nationaler Ebene müssen sowohl Frankreichs Sozialisten als auch die konservativen Republikaner um ihren Fortbestand fürchten.

Für Frankreichs traditionsreiche Volksparteien stellt das Ergebnis der ersten Runde der französischen Präsidentenwahlen eine Katastrophe dar. Die Spitzenkandidatin der konservativen Republikaner (LR), Valérie Pécresse, wurde von den Wählern mit kümmerlichen 4,8 Prozent abgespeist.

Noch schlimmer traf es die sozialistische Bewerberin Anne Hidalgo, die nicht über lächerliche 1,7 Prozent hinauskam. Eine absolute Schmach für die beiden früher so stolzen Parteien, die sich sechs Jahrzehnte lang in der Regierungsverantwortung abgewechselt und sieben Präsidenten des Landes gestellt haben.

Eingeläutet wurde der scheinbar unaufhaltsame Niedergang von Republikanern und Sozialisten allerdings schon 2017, als ihre Repräsentanten erstmals bei Präsidentenwahlen die zweite Runde verfehlten und stattdessen mit Marine Le Pen und Emmanuel Macron eine Rechtsextreme und ein linksliberaler Newcomer ins Finale einzogen.

Frankreich-Wahl: Sozialisten und Republikaner nutzen Jahre nicht

Bei den diesem politischen Erdbeben folgenden Parlamentswahlen kam LR nicht mehr über 101 Abgeordnetenmandate hinaus, die „Parti Socialiste“ (PS) musste sich sogar mit lediglich 28 Sitzen abfinden lassen. Beide Parlamentsfraktionen fristen seither angesichts der absoluten Mehrheit von Macrons Partei „La République en Marche“ (LREM) ein Mauerblümchendasein.

Frankreich-Korrespondent Peter Heusch.
Frankreich-Korrespondent Peter Heusch.

Fünf lange Jahre in der Opposition aber haben weder die Sozialisten noch die Republikaner nutzen können, um aus ihrem historischen Tief herauszufinden und sich neu aufzustellen. Das liegt nicht nur daran, dass es LR wie PS an starken Führungspersönlichkeiten mangelt. Beide Parteien nämlich zerfleischten sich in Flügelkämpfen um ihre programmatische Positionierung.

Wobei sowohl für die Republikaner als auch für die Sozialisten gilt, dass Auseinandersetzungen über die politische Linie zwischen Hardlinern und Gemäßigten von Anfang an die Geschichte ihrer Parteien prägten. Bloß verhinderten Machtausübung, Machtperspektive oder energische Vorsitzende zuvor das Ausufern der internen Konfrontationen.

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Besonders deutlich treten die Auswirkungen der Flügelkämpfe bei den Republikanern zu Tage, die nicht wissen, wie sie ihre sowohl von Macron als auch von Le Pen umworbene Wählerschaft bei der Stange halten wollen. Während ein Teil der Parteikader für einen knallharten Rechtskurs eintritt, liebäugeln Vertreter des gemäßigten Flügels, soweit sie nicht bereits ohnehin in Macrons Lager übergelaufen sind, mit einer Annäherung und taktischen Wahlbündnissen mit der LREM-Partei.

Rebellion der "Verfechter der reinen Lehre"

Auch Valérie Pécresse gehört dem gemäßigten Flügel an und verließ die Partei 2019 sogar vorübergehend, weil die Hardliner ihr zu tonangebend waren. In diesem Wahlkampf versuchte sie trotzdem, Le Pen und dem zweiten rechtsextremen Bewerber Eric Zemmour mit rechtsnationalen Tönen Wähler abzujagen – und scheiterte, weil sie unglaubwürdig wirkte.

Die Sozialisten ihrerseits, die mit einer Rebellion der „Verfechter der reinen Lehre“ bereits die Präsidentschaft von François Hollande torpedierten, leiden darunter, dass sie im linken Lager seither nicht mehr tonangebend sind. Überflügelt wurden sie nicht allein von den Grünen, sondern vor allem von dem Ex-Sozialisten Jean-Luc Mélenchon und dessen linksradikalen Partei „France Insoumise“ (FI).

Gegenüber Mélenchon (der mit 20 Prozent nur knapp den Sprung in den Stichwahlgang verpasste), einem mit allen Wassern gewaschenen Volkstribun, wirkte Hidalgo so blass und chancenlos, dass am 10. April selbst zahlreiche Sozialisten für den „Verräter“ als einzig glaubhafte linke Option stimmten.

Macron hatte im Präsidentschaftswahlkampf 2017 die traditionelle Rechts-Links-Konfrontation als überholt bezeichnet. Das durften und sollten PS wie LR durchaus als Kampfansage verstehen. Und dem – noch – amtierenden Präsidenten ist es tatsächlich gelungen, die beiden alten Volksparteien durch seine erst vor knapp sechs Jahren gegründeten LREM zu ersetzen, welche sich als jene Partei der Mitte versteht, die es in Frankreich zuvor bestenfalls als Splitterformation gegeben hat.

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Altparteien: Erhebliche finanzielle Konsequenzen

Allerdings gilt das nur für die Nationalversammlung und die nationale Politik. Auf kommunaler Ebene und in den mit den deutschen Bundesländern vergleichbaren 13 Regionen nämlich konnten Sozialisten und Republikaner dank ihrer lokalen Verankerung bislang sämtliche Bastionen verteidigen.

Es kommt hinzu, dass beide Parteien an Auszehrung leiden. Nicht nur einfache Mitglieder sondern auch zahlreiche Kader sind in den letzten Jahren in das LREM-Lager übergelaufen. Dass sie von Macron mit offenen Armen empfangen wurden, zeigt schon allein der Blick auf dessen Regierungskabinett.

Unter anderem gehörten der aktuelle wie der erste Premierminister Macrons, der Wirtschafts-, oder der Innenminister früher LR an, während Ressorts wie Äußeres, Gesundheit, Verteidigung und Bildung von ehemaligen Sozialisten geleitet werden.

Ganz gleich wie die Stichwahl am 24. April ausgeht, LR und PS werden weitere fünf Jahre lang bei der „großen Politik“ nur Zuschauer sein. Ein langer, vielleicht zu langer Zeitraum, um zu überleben. Zumal ihr Debakel in der ersten Präsidentschaftsrunde auch erhebliche finanzielle Konsequenzen hat. Nur Kandidaten, die über die 5-Prozent-Schwelle kommen, ersetzt der Staat die Wahlkampfkosten bis zu einer Höhe von 7 Millionen Euro.

Die Sozialisten, welche 2018 ihre Pariser Parteizentrale verkauften und schon 2017 einen eisernen Sparkurs einleiteten, mögen noch Rücklagen haben, um diesen Tiefschlag zu verdauen. Den Republikanern hingegen droht der Ruin. Pécresse, die sich zur Finanzierung ihres sehr aufwendigen Wahlkampfs sogar persönlich mit 5 Millionen Euro verschuldete, hat bereits einen Spendenaufruf an die LR-Parteimitglieder gerichtet - mit dem Unterton blanker Verzweiflung.

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