Berlin . Der Krieg geht weiter. Erste Gespräche zwischen Russen und Ukrainern brachten keine Annäherung. Worum es geht: Vier mögliche Szenarien

Nach den ersten gescheiterten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine hat Präsident Wladimir Putin klar gemacht, worum es ihm geht: Um eine "Entnazifizierung" der ukrainischen Regierung und um die "Neutralität" des Staates, wie er dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Montagabend am Telefon erklärte.

Umgekehrt hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Moskau zum "sofortigen Waffenstillstand" und zu einem Abzug der russischen Truppen aus seinem Land aufgefordert. Die Bundesregierung wurde in ihrer Erwartung bestätigt, dass es sehr schwierige Gespräche sein werden. Und doch hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in einem ZDF-Interview keinen Zweifel gelassen: "Diplomatie kann nicht zu Ende sein."

Beide Kriegsparteien vereinbarten eine Fortsetzung der Verhandlungen. Ein direkter Dialog des Westens mit Putin – Macron scheint als einziger noch den Draht zu pflegen – kommt momentan nicht in Frage. Ein vorschnelles Zurück zur Tagesordnung wäre das falsche Signal. Man wartet den Ausgang des Krieges ab und will sehen, wie Russland aus ihm hervorgeht, gestärkt oder geschwächt; und nicht zuletzt, ob Sanktionen Wirkung zeigen.

Ukraine-Konflikt: Frieden – drei Szenarien eines OSZE-Experten

Selbst Militärs fragen sich, was Putins Kriegsziel ist: Eroberung? Unterwerfung? Oder "Verhandlungen und einen Regierungswechsel erzwingen", was Heinrich Brauß, Generalleutnant a. D. des Heeres, für möglich hält.

Baerbock deutete den Rahmen für einen Dialog an. Sie hat nicht auf das Normandie-Format oder das Minsker Abkommen abgehoben – beides gescheitert – , sondern einen anderen Vertrauenskorridor gewählt: Wie nach der Annexion der Krim 2014 käme es auf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an. Baerbock: "Natürlich muss man in diesen Formaten wieder reden."

In OSZE-Kreisen wurden bereits vor Kriegsausbruch drei Modelle erörtert, wie der frühere OSZE-Generalsekretär Thomas Greminger der "Neuen Zürcher Zeitung" erzählte. An die könnte man anknüpfen. Die drei möglichen Szenarien:

  1. "Immerwährende Neutralität" für die Ukraine. Für die Regierung in Kiew: unverhandelbar. Unter russischem Druck vielleicht doch? Das Vorbild wäre Österreich. Trotz seiner in der Verfassung verankerten Bündnisfreiheit war es der Alpenrepublik möglich, der EU beizutreten und sich an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu beteiligen. Ein solcher Weg würde der Ukraine sogar eine Westanbindung ermöglichen.
  2. Moratorien, die der Ukraine auferlegt werden. Keine Atomwaffen, keine Stationierung fremder Truppen, keine Nato-Mitgliedschaft, womöglich kein Militär. Nicht zufällig redete Putin oft von einer Demilitarisierung des Nachbarstaats.
  3. Weniger wie ein Diktat mutet das Szenario eines völkerrechtlichen Vertrages an. Dafür gibt es ein Beispiel: Den so genannten Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einheit. Damals trug man durchaus russischen Sicherheitsbedenken Rechnung. US-Soldaten sind in Rheinland-Pfalz oder Bayern stationiert, aber bis heute nicht auf dem Gebiet der früheren DDR. Das ist das Ergebnis von regionalen Rüstungskontrollmaßnahmen.

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Es gibt noch ein viertes Szenario, das Greminger unerwähnt ließ, weil es ein unechtes Modell ist: Die Installation einer Putin-hörigen Regierung. Die Ukraine würde zum Vasallenstaat wie das benachbarte Weißrussland werden. Das ist weder für sie noch für den Westen eine Option.

Es ist schwer zu sagen, ob sich die USA überhaupt noch auf Verhandlungen einlassen wollen. Für sie ist Russland mehr denn je ein Schurkenstaat. Durchgespielt haben sie Modelle allerdings schon.

Frieden: Das Grunddilemma bei Verhandlungen

Das zeigt ein Interview, das US-Außenminister Tony Blinken der "Süddeutschen Zeitung" gab. "Wenn es darum geht, Vertrauen aufzubauen, Risiken zu verringern, Rüstungskontrolle zu betreiben, die Stationierung von Waffensystemen, Streitkräften oder Übungen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zu überprüfen, dann könnten wir Schritte unternehmen, um die kollektive Sicherheit zu stärken", sagte er.

Das "Grunddilemma" (Greminger) ist das Aufeinanderprallen zweier Prinzipien. Auf der einen Seite: die freie Bündniswahl souveräner Staaten – das Anliegen der Ukraine. Auf der anderen Seite: die "Unteilbarkeit von Sicherheit", dass also ein Land seine Sicherheit nicht auf Kosten eines anderen Landes erhöhen darf – Putins Punkt.

Regeln der Weltordnung neu schreiben?

China hat den Ukraine-Krieg kritisiert, aber eben auch an Russlands Sicherheitsinteressen erinnert. Aus der Sicht des Westens geht es um den unverhohlenen Versuch Moskaus "die Regeln der Weltordnung neu zu schreiben“, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte. Aus der Sicht Putins und vermutlich Chinas geht es darum, dass er am Tisch der Mächtigen auf Augenhöhe mit den USA und China sitzt.

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt