Berlin. Erste Ziele für die Gasvorräte sind erreicht. Das macht Hoffnung. Jetzt muss die Politik anderswo Tempo machen, meint Christian Kerl.

Endlich mal gute Nachrichten in einem Sommer düsterer Krisenwarnungen: Die Gasspeicher in Deutschland füllen sich schneller als gedacht. Die für Anfang September geplante Vorratsmenge ist längst erreicht, die Zielmarke für Oktober von 85 Prozent Füllstand dürfte bereits in wenigen Tagen geschafft sein. Prompt geben im Großhandel die Gaspreise etwas nach. Eine akute Notlage in diesem Winter, bei der Industriebetrieben und im Extremfall Privathaushalten das Gas abgestellt wird, ist unwahrscheinlicher geworden.

Vor allem die Industrie hat in den vergangenen Monaten bereits deutlich Gas eingespart, durch Produktionsumstellungen oder den Verzicht auf Stromerzeugung in Gaskraftwerken. Parallel ließ sich die Drosselung russischer Gaslieferungen durch andere, allerdings viel teurere Bezugsquellen ausgleichen. Europäische Partner wie Norwegen oder die Niederlande haben ebenso ausgeholfen wie Flüssiggas-Lieferanten in Übersee.

Das Krisenmanagement ist also auf dem richtigen Weg. Doch zur Wahrheit gehört: Die Richtung stimmt, am Ziel ist Deutschland noch lange nicht.

Gas: Jede Wartungspause bei Nord Stream eine Zitterpartie

Der zügig wachsende Brennstoff-Vorrat ist Grund zur Zuversicht, nicht zur Entwarnung. Denn erstens ist bei den Speichern noch einiges zu tun: Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat die Gas-Bevorratung mit dem Aufpumpen eines Fahrradreifens verglichen – am Anfang ist es noch leicht, die Speicher zu füllen, am Ende muss man schon einige Kraft aufwenden.

Deutschland bleibt sehr verletzlich: Sollte sich der russische Präsident Wladimir Putin dazu entscheiden, die Gaslieferung über die Pipeline Nord Stream 1 nicht nur wie derzeit zu verringern, sondern den Hahn komplett zuzudrehen, werden die Vorräte hierzulande zügig aufgebraucht sein. Dann droht doch noch die Versorgungs-Notlage.

Christian Kerl, Politik-Korrespondent
Christian Kerl, Politik-Korrespondent © Privat

Auch ein richtig eisiger Winter mit langer sibirischer Kälte würde die Situation wieder verschärfen. Selbst wenn alle Speicher in Deutschland komplett gefüllt sind, decken sie nur ein Viertel des gesamten Jahres-Gasverbrauchs hierzulande. Jede Wartungspause der Nord Stream-Pipeline, wie sie diese Woche wieder ansteht, bleibt eine Zitterpartie.

Gaskrise: Es muss weiterhin Gas eingespart werden

Die guten Nachrichten dürfen deshalb niemanden täuschen: An der Notwendigkeit, Gas einzusparen, hat sich in Deutschland wie in Europa überhaupt nichts geändert. Einsparen, Speichern und anderswo Gas beschaffen als Ersatz für russische Energieexporte – alle drei gehören zusammen.

Eine Verringerung des Gasverbrauchs um 15 Prozent ist das Minimum, 20 Prozent sollten es nach den Regierungsplänen sein. Die Bewährungsprobe für die Republik kommt in ein paar Wochen, wenn die nächste Heizperiode beginnt: Die Heizung zu drosseln ist dann nicht nur die Devise in Büros und Fabrikhallen. Auch die Privathaushalte mit Gasversorgung sind gefordert, ihren Verbrauch deutlich zu reduzieren.

Gaskrise: Die Regierung muss die Bürger schnell entlasten

Am Verzicht auf kuschelige Wärme in der Wohnung führt allerdings für viele Bürger schon wegen der explodierenden Kosten kein Weg vorbei: Denn trotz voller Speicher werden die Gaspreise und auch die Energiepreise allgemein im Winter auf extremer Höhe liegen. Zu hoch für viele Bürger, die obendrein mit einer fragwürdig konstruierten Gasumlage noch extra zur Kasse gebeten werden.

Mit welcher staatlichen Hilfe Haushalte und Unternehmen im Winter rechnen können, lässt die Bundesregierung aber weiter offen. Worauf wartet die Koalition noch? Tempo ist nicht nur beim Befüllen der Gasspeicher das Gebot der Stunde, sondern auch bei der Entlastung der Bürger.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.