Berlin. Die Regierung bereitet sich auf einen totalen Gas-Lieferstopp aus Russland vor. Welche Maßnahmen können die Auswirkungen abmildern?

Russland hat die Gaslieferung durch die Pipeline Nord Stream 1 erneut unterbrochen. Dauer der Wartungsarbeiten: ungewiss. Die Bundesregierung bereitet sich mittlerweile auf einen totalen Lieferstopp aus Russland vor. Was bedeutet das für Verbraucher und Unternehmen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wird Russland überhaupt wieder Gas durch Nord Stream 1 liefern?

Es sieht nicht gut aus. Die russische Regierung verfolgt ein Schwarzer-Peter-Spiel: Siemens Energy sei verantwortlich, dass Wartungsarbeiten bei Nord Stream 1 nicht vorangingen, heißt es aus Moskau. Die Bundesnetzagentur weist dies zurück. „Die von russischer Seite behaupteten Mängel sind technisch kein Grund für die Einstellung des Betriebs.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stellt sich bereits auf einen totalen russischen Lieferstopp ein. „Wir sollten nicht darauf bauen, dass über den Winter Gas aus Nord Stream 1 kommt“, betonte der Minister. „Womit ich rechne, ist, dass wir uns auf keinen Fall auf Russland verlassen können oder auf Gazprom verlassen können.“

Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern).
Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). © dpa | Stefan Sauer

Wie voll sind derzeit die Gasspeicher in Deutschland?

Die Speicherstände gehen weiter nach oben. Die Speicher seien mittlerweile zu mehr als 85 Prozent gefüllt, teilte das Wirtschaftsministerium am Sonntag mit. Damit ist das von einer Verordnung der Bundesregierung vorgegebene Ziel, am 1. Oktober mindestens 85 Prozent Füllstand zu erreichen, mit deutlichem Vorlauf erreicht. Experten halten einen weiteren Anstieg trotz des russischen Ausfalls für möglich.

Wie wird russisches Gas ersetzt?

Deutschland erhält inzwischen deutlich mehr Gas aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden, als vor dem Lieferstopp durch Nord Stream 1 eingeführt wurde. Darüber hinaus solle Frankreich Bezugsquelle werden, heißt es im Wirtschaftsministerium. Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass bereits im Oktober Erdgas über Frankreich nach Deutschland fließen wird.

Anlaufstellen für zukünftige Importe sind zudem die schwimmenden Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) an Nord- und Ostsee. Die ersten Stationen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel sollen bereits zum Jahreswechsel ans Netz gehen.

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Bei einem dauerhaften Ausfall der russischen Gasversorgung sei die nächste Zielmarke von 95 Prozent am 1. November allerdings nur mit großen Anstrengungen zu erreichen, sagte Sebastian Bleschke, Geschäftsführer vom Branchenverband Initiative Energien Speichern (INES).

Reichen die neuen Gasquellen, um über den Winter zu kommen?

Die bei einem Füllstand von 95 Prozent gespeicherte Gasmenge entspricht etwa dem bundesweiten Verbrauch der beiden Monate Januar und Februar 2022. Sie reicht also nicht für eine komplette Heizperiode. Lesen Sie auch: Hartz IV, Rente & Co. - Das Entlastungspaket im Überblick

Wie viel Gas hat Deutschland bereits eingespart?

Insgesamt wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2022 knapp 15 Prozent weniger Erdgas verbraucht als im Vorjahreszeitraum. Das zeigen vorläufige Zahlen des Bundesverbandes für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ein Grund hierfür sei die deutlich mildere Witterung als im Frühjahr 2021, da Gas vorwiegend zum Heizen eingesetzt werde. Aber auch ohne Temperatureinflüsse habe der Erdgasverbrauch im ersten Halbjahr noch um rund acht Prozent unter dem Wert des ersten Halbjahres 2021 gelegen, erklärt der BDEW.

Nicht nur die Verbraucher, auch die Unternehmen drehten an der Einsparschraube. Der Erdgaskonsum von Industriekunden in Deutschland lag im Juli rund 21,3 Prozent unter dem Juli-Mittelwert der Jahre 2018 bis 2021, schreibt die Bundesnetzagentur. Im Juni habe der Wert 13,6 Prozent, im Mai 11,6 Prozent unter dem Vierjahresmittel gelegen. „Der Rückgang des Gasverbrauchs in der Industrie zeigt, dass wir es schaffen können, eine Gasnotlage abzuwenden“, sagte Behördenpräsident Klaus Müller.

Welche zusätzlichen Maßnahmen sind nötig?

Der Appell der Energie-Experten ist eindeutig: Sparen, sparen, sparen. „Deutschland kann auch ohne russisches Gas über den Winter kommen, die Importabhängigkeit ist schon massiv gesunken“, sagte Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unserer Redaktion. „Wichtig ist allerdings, dass Deutschland mehr Gas einspart, der Gasverbrauch noch weiter zurückgeht. Die Wirtschaft hat den Gasverbrauch schon deutlich vermindert, jetzt geht es darum, dass auch private Haushalte möglichst viel Gas einsparen.“

Ähnlich äußert sich der Bundesverband für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Bleiben Lieferungen aus Russland vollständig aus, wird das zu einer großen Herausforderung für die Energieversorgung in Deutschland“, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae unserer Redaktion.

„Wir müssen alles in die Waagschale werfen, um auf diesen Ernstfall so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Je mehr wir jetzt vorsorgen, desto besser kommen wir durch den Winter. Das bedeutet zum einen: Wir müssen so viel Gas einspeichern wie möglich. Hier kann und muss jeder mithelfen – vom Industriebetrieb bis zum einzelnen Haushalt.“

Wird Gas nun noch teurer?

Das ist schwer vorherzusagen. Der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas, der als richtungsweisend für Gaspreise in Europa angesehen wird, war Ende August zunächst deutlich in die Höhe gegangen. Danach ging es allerdings ebenso steil bergab auf wieder etwas über 200 Euro.